Ein scharlachroter Tod

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Meister
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Beitrag von Meister » 13 Okt 2012, 12:49

ZWISCHENSPIEL III


Der junge Beshameth besiegt den Dämon

"Komm schon, mein Sohn, du musst dich bewegen!", rief Vater. Aber der junge Beshameth hatte Angst. Die Wellen wurden immer größer (zumindest sah es so aus), und ganz sicher würden ihn gleich kalte glitschige Klauen packen und in die Tiefe ziehen. "Halte deinen Kopf über Wasser, es ist nicht so schwer", sagte der Nordmann. Ja, der konnte gut Reden schwingen, er war ja auch nicht ins Wasser geworfen worden und konnte nicht schwimmen!
Beshameth schluckte Wasser. Er hustete, er strampelte mit den Füßen, wie ein Hund. Dann fühlte er, wie ihn etwas packte. Der Dämon aus der Tiefe. Gleich würde er ihn in seinen Höllenschlund ziehen und er wäre tot, für immer verdammt auf dem Grund des endlosen Meeres. "Besiege die Furcht, da ist sonst nichts!", rief Vater.
Nichts? Aber spürte er nicht die Hand des Dämons? Er machte einen kräftigen Tritt und befreite sich. Dann noch einen, um die Bestie zu vertreiben. Dann ruderte er mit den Armen und auf einmal waren die Wellen nicht mehr groß und das Meer ganz ruhig. Er paddelte, brachte die Bewegungen der Arme und Beine in Einklang und erreichte plötzlich mühelos den Strand. "Ich kann es, ich kann schwimmen", freute sich Beshameth, dessen Vater schon mit einer warmen Decke auf ihn wartete.
Sie umarmten sich, und Beshameth war stolz. Das Reiten lernte ein Hun früh, das Schwimmen aber war eine ganz andere Sache, aber er hatte sie gemeistert. Da kam schon Mutter und rief seinen Vater. "Hakir, die Gesandten sind eingetroffen."
Und sein Vater nickte. Dann schaute er auf das Meer hinaus, wie in eine ferne Vergangenheit, die er ob seiner großen Freude für seinen Sohn wohl schon vergessen hatte oder am Ende nur zu erahnen im Stande war.

Aus den Erinnerungen Elyrios

"Wenn ich über das Meer schaue, dann sehe ich nicht nur die Wellen, die an die Küste schlagen, die Möwen, wie sie die Fischer begrüßen und die endlose Weite des Ozeans. Nein, ich sehe, was einst gewesen und in gewisser Weise immer wieder geschehen ist. Wie wir uns am Blauen Turm versammelten und unser Geschick in die Hand nahmen, wie ich die Mutter meines Sohnes das erste Mal sah und lang darauf warten musste, sie ein erstes Mal zu berühren. Es gab keinen Grund, viel Hoffnung zu schöpfen.
Aber alles was eines Tages gut wird, muss erst durch ein finsteres Tal laufen, um sich zu erheben wie der Feuervogel, den wir am Ende aller Dinge sahen. Jetzt, da es so lang her ist, danke ich den Göttern für mein erfülltes Leben, fasse Alysares Hand und schreite mit ihr zusammen den Hügel hinauf, umgeben vom Grün der Heide und dem Blau des Himmels, dem Baum des Lebens entgegen, wo uns die anderen erwarten. Damals, es ist so lange her, war es für keinen der Hüter zu erwarten gewesen. Dass ich eines Tages, wenn Ofeigur und Albertus, die junge Alysare und all die anderen schon lange gegangen wären, selbst ein Hüter der Insel und der Quelle sein würde, ich hätte es niemals erwartet. Und jetzt, da ich den letzten aller Schritte gehe, meinen Nachfolger eingeweiht habe in alle Geheimnisse von Gut und Böse, da ich ihm alles gegeben habe, was er braucht, um die Quelle vor der Finsternis zu bewahren, fühle ich mich erfüllt. Wie ein Brunnen, der allen Wasser spenden kann und niemals austrocknet. Ich sehe die warmen Gefilde, ich liebe das Leben und den neuen Weg, den es nun gehen wird. Sie werden alle bei mir sein.
Dass wir den Schwarzen Panther so sehr erzürnt hatten, wussten wir nicht. Auch nicht, nachdem wir ihm das erste Mal begegnet waren. Wie er am Ende in sein Schicksal gegangen war, ich hätte es mir nicht vorstellen können. Aber so vieles wäre nicht denkbar gewesen. Weder das, was im Labor 47 wartete, noch was danach geschehen war. Ich weiß nicht, ob Aethel und die anderen wirklich glaubten, dort zu sterben. Also kann ich auch unmöglich sagen, was sie in diesem Augenblick, als es wahr wurde, wirklich dachten. Wie oft es geschah? Ich habe keine Ahnung.
Dass aber die Liebe einer Frau einen anderen dazu gezwungen hat, die Entscheidung zu treffen, die wirklich alles verändert hat, das weiß ich. Die Liebe ist die größte Macht dieser Welt - sie kann Schlechtes zum Guten wandeln und das Gute ebenso verderben."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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Beitrag von Meister » 22 Okt 2012, 16:15

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Ein Käfer erleichtert sich

Der Käfer war alt. Er hatte den Krieg gegen die Anderwelt gesehen und viele Feen vernichtet. Er war stolz und angesehen im Stock. Aber seine Heimat war weit weg. Genau konnte er es nicht spüren. Aber hier, in diesem Gewölbe, fühlte er sich wohl. Der Zweck und Sinn des jetzigen Krieges, ging ihm nicht auf. Die Königinnen taten das, was sie tun mussten - so wie er.
Und jetzt wollte er nur eines tun: sich erleichtern. Er krabbelte durch das Wasser, fand eine schöne warme Nische, stellte sich auf die Vorderbeine und ließ alles heraus, was ihn schon lang geplagt hatte. Dass er ein letztes Mal unter sich lassen würde, hatte er nicht erwartet. Die Vergangenheit war nur ein Schatten und die Zukunft bedeutungslos. Das Jetzt war wichtig. Leider traf ihn im Jetzt eine dornenbesetzte Axt, schlug seinen Hinterleib auf, traf seinen Kopf.
Er hatte das letzte Mal geschissen.

Der Alte

"Fliegt, meine Krähen, fliegt, fliegt!", rief der Alte in den Sturm, als er seine geisterhaften Gefährten in die Wildnis und Dunkelheit entließ. Er wollte sie alle warnen, alle weisen Männer und Frauen, gleich ob in der Ostfold, der Vestfold, in Skona oder dem Jorganschelf: Die Finsternis war zurückgekehrt. Seinen Eber schickte er in den Godewald. "Halte Winterschlaf. Oder finde einen neuen Herrn, sollte ich versagen."
Denn bei dem, was er nun zu tun gedachte, konnte der Alte keine Hilfe oder Gesellschaft gebrauchen. Von einigen Alanen, die es nicht wagten, ihn anzugreifen, hatte er gehört, dass Diener Hels in den Süden gekommen waren, um der Finsternis zu dienen. Sie würden sicherlich versuchen, Skjöldburs Quelle zu erreichen und ebenso die Dvergenquelle. Also wollte er ihnen zuvorkommen und die Runen von Rewulf stärken. Gleichsam war sein nächstes Ziel das Lager, das die Finsternis als ihre Heimstatt auserkoren hatte, während der Schlacht um Skjöldburs Quelle. "Du bekommst sie nicht", flüsterte der Alte, als er Baum und Fels mit seinen Zeichen und anderen Runen versah. Er war so beschäftigt, dass er die Gnolle und Schatten, die sich ihm näherten, zu spät bemerkte. Dann sah er die Wolke und darin die Gestalt eines Ledharthien.
"Ich bin Hrabanus. Wir müssen uns... unterhalten", sagte die Gestalt.

Gwayan

"Mutter Erde, was du verlangst, ist viel. Glaubst du, ich bin der Richtige?", fragte Gwayan Einohr, die Hand auf den Boden gelegt. "Ich weiß. Ja, ich habe den Bewohnern Skjöldburs das Mittel gegeben, um Derkos und Fenthros zu heilen. Sie dürften nunmehr gefunden haben, was sie brauchen, um die Quelle und ihre Leben zu retten. Aber, Mutter, muss ich es sein? Muss ich den Schwarm tragen? Kann denn nicht die Frau ihn behalten?"
Die Erde wurde etwas wärmer, Gwayan antwortete ihr wieder: "Natürlich wünsche ich Erika ein Leben ohne diese Last. Aber was, wenn sie es als einen Segen empfindet? Ja, sie wäre immer ein Ziel, solange es die Finsternis gibt. Doch warum bin ich es?"
Seine Mutter warf ihre Gedanken in seinen Geist. "Ich verstehe es, Mutter. Doch nun will ich Owen, Theornon und die Kinder finden. Was? Owen ist in Skjöldbur, mit den Kindern? Wo ist dann Theornon?"
Gwayan spürte, dass sie ihn zum Weitergehen drängte. Sie antwortete dann auf ihre Weise: Mitten im Sturm, unter einem Felsvorsprung an einer verlassenen Bärenhöhle, sah er einen Mann, der sofort aufstand, sein Schwert zog: "Wer da?", fragte er.
"Mein Name ist Gwayan, und ich habe dich gesucht."
Es war Theornon. "Schön. Dann sag mir, wo bin ich hier. Durch das Unwetter habe ich die Orientierung verloren. Ich war in der Ostfold und in der Vestfold. Dann habe ich eine gewisse Spur verfolgt."
Gwayan bemerkte einen anderen Mann, geknebelt und gefesselt. "Wer ist das?", fragte er Theornon.
"Das ist ein Soldat. Er gehört zu einem Mann namens Aestrinor."

Hrabanus

Die Wolke flog durch die Nacht. Der Sturm war auf ihrer Seite, und die Finsternis fühlte, wie nah sie ihrem Ziel war. Bald würde der Runenleser Derkos ihr dienen und die Zerstörungsrune den Weg zur Quelle freigeben. Leider war es nicht gelungen, die Dvergenquelle zu erobern und Gwayan zu töten. Was er den Skjöldburern gegeben hatte, das wusste die Finsternis nicht. Wohl aber war sie sicher, bald die Quelle zu erreichen und durch sie ihre neue Macht nutzen zu können. Dass ihre Feinde immer noch dachten, sie wäre im Augenblick an Blyrtindurs Hauptquelle interessiert, belustigte sie. Nein, die Quelle später. Jetzt brauchte sie den Schwarm, um die Erschaffung zu vervollständigen. Die Zeitbeherrschung in Labor 47 war in vollem Gange, und beides zusammen gäbe ihr die größte Macht der Welt.
Die Finsternis konnte nicht ihre ganze Armee in den Kampf gegen Skjöldbur werfen, denn die Schatten aus der Anderwelt hatten eine andere Aufgabe. Die 'Nacht' war ebenso notwendig zum Sieg. Dass Dakhil Al Khan eine Waffe gegen die Zendavesta gefunden hatte und sie sogar mit jenen vom Blauen Turm teilte, war eine wundersame Wende des Schicksals. So konnte sie sich ganz darauf konzentrieren, sich zu verwandeln in einen Gott, so wie es immer sein sollte. Die Waffe gegen die Lichtwesen aus der Zukunft war ausgerechnet auf der Insel des Himmelseisens gefunden worden. Bei dieser Ironie spürte die Finsternis, wie Hrabanus lachte.
Als sie das Ziel erreichte, mit den neuesten Berichten der untoten Vögel, die Skjöldbur nie aus den Augen ließen, da wuchs sie heran, streckte ihre Arme aus und warf sich selbst in die Schlacht. Schlammhexen und verwesende Wölfe traten an ihre Seite.
Das Ziel war nur eines: Zeit gewinnen.

Tysandra

In Hohenfels gab ihr ein Diener frische Kleidung und man bereitete ihr eine einfache Mahlzeit zu. Gern hätte sie etwas Met oder Wein getrunken, aber das Leben in ihr wollte sie um jeden Preis schützen. Auch wenn der Vater ihres Kindes sie belogen hatte. Was Dakhil wollte, konnte nicht gerecht sein, auch wenn er stets behauptet hatte, Amur hätte ihn erwählt, um die Macht der Erschaffung der Finsternis zu nehmen und sie dann zu vernichten - oder die Welt neu zu formen, falls das Böse siegen würde. Um einen Widerstand zu bilden, der gegen sie und ihre Schergen bis in alle Ewigkeit kämpfen würde. Dass Dakhil aber bereit wäre, dafür vorher einen Krieg zu beginnen, möglicherweise sogar gegen das Reich und nicht nur gegen den Blauen Turm, das war etwas, das sie ganz und gar nicht verstehen konnte. "Für dich werde sogar Nour verlassen", hatte er ihr versprochen. Dieses Versprechen verblasste allmählich ebenso wie alles andere. Sie hatte gesündigt, ihren Ehemann betrogen. Und den Mann, der sie wirklich liebte, Velas, hatte sie belogen. Er hatte geglaubt, er wäre der Vater und er glaubte es wohl immer noch, als er im kalten fernen Blyrtindur das Kommando über Brumalis übernommen hatte.
Tysandra hatte sogar sein Wissen über das Traumlesen für Cleophos und Dakhil gestohlen. Alles nur, weil sie nicht stark genug war, sich zu wehren gegen die Männer. War sie wirklich nur eine schwache Frau, wie Nour es immer sagte? War denn eine Hun besser, die sich vor fremden Männern versteckte und nur sprach, wenn sie aufgefordert wurde?
Sie fürchtete sich vor Dakhil, das wurde ihr nun bewusst. Ebenso hatte sie Angst vor Cleophos. Nicht nur weil er zu ahnen schien, dass weder er noch Velas der Vater des Kindes waren. Auch weil Cleophos seit der Rückkehr der Finsternis anders geworden war. Schon immer war er nach Außen hin ein höflicher Mann gewesen, der in seinem Inneren stets eigene Pläne verfolgt hatte. Das war schon in den Thronfolgekriegen so gewesen, als er Petyr und Irinia mit Waffen versorgt hatte, während er vorgab, Theresia zu dienen. Aber nun sprach er im Schlaf von der Finsternis, ihrer Macht und der Möglichkeit, durch sie eine Lichtgestalt zu werden, wenn Dakhil erst den Stab geborgen hätte. Sie hatte Dakhil gesagt, dass Cleophos und auch Zhaerius ihn eines Tages betrügen würden. "Der Panther ist immer wachsam." Das war Dakhils Antwort gewesen. Und Nour, seine Hauptfrau, warf ihr vor, ihm nur gefallen zu wollen. "Die Katze kennt ihre Beute", hatte Nour eines Tages geflüstert und ihr einen Dolch an die Kehle gehalten. Tysandra hatte es Dakhil nie berichtet, denn - was auch immer es war - noch mehr fürchtete sie sich vor Nour. Da war etwas in ihren Augen, etwas Dunkles, das sie niemals und unter keinen Umständen kennenlernen wollte.
"Es ist Zeit, Mylady", sagte ein Diener.
"Gut."
Der riesige Nordmann, den sie alle nur 'den Berg' nannten, brachte sie auf verschlungenen Pfaden bis an die Grenze zu Edai, wo man ihr die Augen verdeckte. Niemand sprach ein Wort, bis man ihr am Ziel die Augenbinde wieder abnahm: Ein Lager, irgendwo im Wald. Es gehörte der Nachtwache. "Wo bin ich?", fragte sie.
"Das ist egal. Aber hier seid Ihr sicher, Weib", brummte der Berg. Sie nickte und tat, was sie immer tat: Tysandra von Aestrinor fügte sich in ihr Schicksal.

Erec

Endlich konnte er sich an alles erinnern. Nachdem er im Turm versagt hatte und Hrabanus, der Ledharthien und der Stab in der Finsternis verschmolzen waren, da hatte er seinen Ring benutzt und war zurück auf die Schlucht der Thylianeis gegangen. Lange hatte er dort am Abgrund gestanden, ziellos, mit Tränen in den Augen, die seinem Bruder galten.
Wie war es nur so weit gekommen? Die Tage, die sie als Weisen durch das vom Krieg gebeutelte Bretonia geirrt waren, sie fühlten sich nun, als er in die Tiefe schaute, so gut, so nah und doch so fern, wie eine geliebte Erinnerung an, die man verloren hatte. Hätten sie doch niemals diese Höhle gefunden. Wäre der verfluchte Stab der Erschaffung doch für immer verborgen geblieben, es wäre niemals geschehen, was nun geschehen war. Durch nichts konnte er es rückgängig machen, durch gar nichts. Und würde er jetzt springen, es hätte keine Bedeutung. Er war auf einmal ganz unwichtig geworden.
Erec erinnerte sich, wie er verzweifelt versucht hatte, sich das Leben zu nehmen und wie kein Weg der richtige war, wie nichts davon Erfolg brachte. Es war, als würde das Leben ihn verfluchen und der Tod ihn nicht wollen. Verlassen. Verlassen von allen, von Liras und Leban, von Gefährten und Freunden. Und wenn sie ihn jetzt noch nicht hassen würden, dann müsste nur einer begreifen, dass alles seine Schuld gewesen war, bis sie ihn alle verachteten. Ach, wenn doch nur einer ihn endlich töten würde, hatte er gehofft, während er allein durch den Sturm gelaufen war, durch die Ebene der Vergessenen. Der Name war ihm so passend erschienen. Und dann war Hrabanus gekommen, um ihn zu verführen. Er hatte die Pflanze erschaffen und von Gnade und Güte gesprochen, bis ein einzelner Ruf und eine Gestalt Erec zur Vernunft gebracht hatten: Seine Mutter, die Tänzerin.
"Wieso hast du mich gesucht, Mutter? Ich habe versagt. Hrabanus ist tot, er ist nun ein anderer. Er ist die Finsternis."
"Es ist alles eingetreten, wie Amur es will."
"Wie kann Amur so etwas wollen? Ich dachte, er wäre ein Gott der Güte und der Gnade? Stattdessen habe ich eben zu einer schrecklichen Gestalt gesprochen, durch und durch vom Bösen erfüllt, und sie hat stattdessen von Gnade und von Güte geredet! Wie kann es sein?", hatte er wütend gefragt.
"Es ist nicht an uns, es zu verstehen. Aber du, mein Sohn, hast eine Aufgabe. Deine wirkliche Erfüllung, sie ist nicht hier. Sie war niemals auf der Thylianeis oder dort, wo du die Schatten aus der Anderwelt befreit hast. Es war nie deine Aufgabe, das Abyssarium zu besiegen, denn es wird sich selbst besiegen."
"Was meinst du damit, Mutter?"
"Es ist ein Krieg unter den Insekten ausgebrochen. Du aber musst an einen anderen Ort. Du musst aufbrechen, zur Insel Blyrtindur, bevor es nicht mehr geht, denn die Hüter werden sie verschließen. Man braucht dich dort, Erec."
"Und mein Vater? Was ist mit Elyrio?"
"Er wird es verstehen. Du musst den Hütern das hier geben", sagte sie und legte eine Karte in seine Hand.
"Was ist das? Wohin führt sie?"
"Der erste Hüter der Quelle hat sie gezeichnet. Sie führt euch zu seinem Testament. Die Finsternis versucht, die Zeit zu beherrschen. Und wenn es ihr gelingt, dann sind wir alle ihre Sklaven, bevor all das hier geschieht."
"Weißt du nicht, wo sein Testament ist? Du bist die Tochter Amurs."
"Nein, ich weiß es nicht. Die Geheimnisse der Hüter sind sogar vor den Göttern verborgen, selbst vor Amur und all seinen Kindern, ob du sie Liras und Leban oder Odin und Thor nennen magst. Nur ihr könnt es finden, du, die Hüter und ihre Gefährten. Rettet die Welt."
Nun dachte Erec daran, wie die Tänzerin ihn zu Enyra brachte, die schon ein Schiff vorbereitet hatte, wie sie ihm Proviant und Kleidung gaben. Dann die Fahrt durch das Meer, der schreckliche Sturm und wie Siebenstilzchen sich an den Noncorpus erinnerte, der auf dem Berg in Yarun entstanden war und durch drei Körper, Wu, Bannon und Yishan gewandert war, bis er seinen Träger gefunden hatte. Der Noncorpus war nun verloren, nachdem Hrabanus den seinen und Erecs benutzen wollte, um die Finsternis einzusperren - vergeblich, weil Erec ihn mit einer Klinge durchbohrt hatte.
"Die Welt retten", wiederholte er leise, während er auf die Hüter wartete, die unten am Strand mit Kommandant Velas über die geflohenen Soldaten Roglunds sprachen.

Dakhil

Durchaus hatte ihn das Auftreten Callums beeindruckt. Auf jeden Fall war der Nordmärker bereit, jeden Schritt zu unternehmen, die Erfüllung der Weissagung zu verhindern. Natürlich würden er und seine Freunde scheitern, aber es stand ein guter Kampf bevor, und Dakhil war erregt genug, sich mit einigen Nebenfrauen zu vergnügen. Nour hatte eine eigene Aufgabe zu erfüllen. Die Waffe gegen die Zendavesta war bereit, nun brauchten sie nur noch eines, um zu siegen. "Du, dreh dich herum. Und du, fass sie dabei an", befahl er.
Die Frauen dienten ihm und seinem Verlangen. Natürlich waren sie weniger süß und scheu als Tysandra und erst recht weniger heißblütig als Nour, aber der Panther, in den er sich nun auch unwillkürlich verwandelte, war bescheiden, angesichts der Tatsache, dass die ganze Welt bald seinen Namen rufen würde. Er, der Retter, er, der die Finsternis besiegte. Wenn erst der Schwarm seinen Sohn berühren würde, dann wäre Tysandra nur noch eine Last - er hatte Nour versprochen, sie durch die Ebene jagen und dann reissen zu dürfen.
"Großer Khagan, Maegranth ist zurück", sprach einer der Krieger.
"In die Schmiede. Ich bin gleich dort."
Der Lebaner lehnte an der Wand, als er Dakhil erwartete. "Khagan, Leban mit Euch", sagte er. Wie immer hatte er dieses kalte Lächeln auf den Lippen, vor dem Nour ihn gewarnt hatte.
"Zhaerius, es ist gut, Euch in anderer Gestalt zu sehen. Als Panther beleidigt Ihr jeden meiner Krieger."
"Und doch ist es sicherer."
"Ja. Habt Ihr sie gefunden?"
"Ich habe Lady Aestrinor nicht finden können, Khagan. Sie ist geflohen, aber jemand muss ihr geholfen haben."
"Ihr solltet sicherstellen, dass Ihr nützlich für mich seid, Lebaner. Es wäre bedauerlich, müsste ich mich Eurer entledigen."
Zhaerius lächelte wieder. "Eines Tages werde ich Euch zeigen, wie ich Blyrtindur erreiche, trotz der Entrückung. Also spart Euch dies, Khagan. Ich werde Tysandra finden, und Ihr könnt den Schwarm von Erika auf das Ungeborene transferieren, wie ich es Euch versprochen habe. Erinnert Euch, dass ich es war, der Euch den Hinweis gegeben hat."
Ja, das hatte er. Und Dakhil hatte nicht gefragt, woher er es wusste. Dennoch vertraute er dem Lebaner nicht. "Findet sie. Ich brauche sie."
"Natürlich. Manche Dinge aber brauchen Zeit. Sie wird Euch vermissen und vielleicht von selbst kommen. Oder wir helfen nach, man wird sehen. Ihr solltet Euch auf den Blauen Turm konzentrieren. Ich sage Euch, Zabestian ist immer noch dort. Was können die Magier schon ausrichten gegen Eure Horde?"
"Magie ist Macht. Außerdem leben im Wald diese Kelten. Man wird sie rufen. Ich will vorsichtig sein."
"Der Panther muss nicht vorsichtig sein, denn seine Beute kann niemals entkommen. Sagt Ihr das nicht immer?"
"Es ist nicht mein Wunsch, einen Krieg zu beginnen. Wenn es ein anderes Mittel gibt, dann nutze ich es. Ich muss an die Zukunft denken, Maegranth. Sicher tut Ihr das auch."
"Oh ja, das tue ich. Aber die Zukunft, sie gehört Euch. Wenn Cleophos Erfolg hat, dann ist Erika bald in Euren Händen. Aber Ihr braucht Zabestian, das wisst Ihr."
"Sorgt Euch nicht um mich", antwortete Dakhil, "findet Tysandra und ich belohne Euch mit dem, was ich Euch versprochen habe. Das Szepter des Lethos, es wird Euch gehören."
Zhaerius verneigte sich, dann verließ er die Schmiede und das Lager. Dakhil rief seine Dienerin, ließ sich etwas Tee und Honig bringen, dann betrachtete er seine Karte der bretonischen Lande. Der Turm war magisch gesichert, aber die Wachen der Tirinaither schwach und feige. Er bedauerte, dass er unter Umständen keine andere Wahl hätte, als den Turm tatsächlich anzugreifen. Auch wenn er liebend gern die Turmherrin in sein Bett geführt hätte.
"Shamir!"
Der Krieger trat ein. "Mein Khagan."
"Aktiviert die Waffe und findet das Tor. Es ist Zeit, den Zendavesta ihre Macht zu rauben. Bereite die Krieger vor. Wir töten die Loyalisten zuerst, wenn wir da sind."

Allyen

Sir Allyen betrat die Kanzlei und wurde umgehend vom Hausdiener in Baelons Stube geleitet. Der erste Ritter des Bretonischen Reiches erinnerte sich an die vielen Stunden und Tage, die er mit Baelon verbracht hatte; wie sie den Schwertkampf und den Kampf zu Pferde geübt hatten, wie sie nach dem Training die Abende bei Bier und Wein verbracht hatten oder wie er Baelon eines Tages die Freuden im Haus der dicken Bertha gezeigt hatte - anonym, versteht sich. Der junge Lord war von Beginn an geschickt im Kampf, doch ebenso - wie man von den jungen Damen des Bordells gehört hatte - in Sachen Liebe. Auch war er schon immer trinkfest gewesen.
Als Allyen jedoch die unzähligen leeren Krüge und Flaschen sah, die auf dem mit Pergamenten gesäumten Tisch standen oder irgendwo auf dem Boden herumlagen, da musste er kein Medicus sein, um zu erkennen, dass Baelons Sorgen ihm Probleme bereiteten. "Mylord, ist es nicht etwas viel für eine Nacht?", fragte er ihn.
Baelon, müde im Blick und mit zerzaustem Haar, schaute auf. "Ich weiß, ich weiß."
"Wascht Euch, trinkt Ziegenmilch und sammelt Euch, Kanzler." Allyen wusste, dass er der einzige - vielleicht neben der Königin - war, der auf diese Weise mit ihm reden konnte.
"Wenn ich hier fertig bin. Habt Ihr schon gehört? Maga Theralia hat den Dybbuk befragt. Wir müssen umgehend eine Nachricht in die Heimat der Nordleute schicken."
"Ich kann einen Reiter nach Tilhold senden."
Baelon schüttelte den Kopf. "Nein, ich meine Midgard."
"Was ist geschehen? Was hat dieses Ding gewusst?"
"Die Zendavesta, sie haben ein Artefakt errichtet. Es befindet sich in den Wolken über Midgard, sie nennen es 'den Kreis'."
Allyen hatte davon noch nie gehört. "Was soll das sein?"
"Wie es scheint, haben sie magische Spuren auf der Insel Blyrtindur gesammelt, schon vor der Abriegelung. Spuren von Lazarus. Ihr erinnert Euch an Arans Berichte?"
Ja, Allyen konnte sich gut daran erinnern. Lazarus, eine Art Halbgott, gelenkt von der Finsternis. Damals hatte ihn eine Schar Abenteurer besiegt. "Natürlich. Auch wenn ich denke, dass Arans Berichte nie vollständig waren."
"Ganz sicher nicht. Aber vollständig genug: Die Zendavesta wollen eine Art Kuppel über Midgard erschaffen. Wie es scheint, haben sie ein erhöhtes Interesse an Skjöldbur. Ihr kennt den Ort, nehme ich an?"
"Allerdings, Mylord. Theornon hat mir eine Nachricht geschickt. Er konnte mit Zhaerius von Maegranth sprechen. Dieser befindet sich als Spion in den Reihen eines Hun namens Dakhil Al Khan. Dieser Hun, er sagt er wäre ein Khagan, aber nicht einmal Khagan Shanesh hat von ihm gehört, will ein Artefakt bergen, das sich in der Finsternis befindet, seit diese ausgebrochen ist. Den sogenannten Stab der Erschaffung. Außerdem hat Theornon Aestrinors Spuren verfolgt. Und sie führen nach Midgard. Vielleicht sogar nach Skjöldbur - dort soll eine Quelle sein", erklärte Allyen.
"Auch das noch. Sind nicht Theornons Kinder dort? Ich meine, ich hätte es irgendwo vernommen."
"Ja, das sind sie. Ich habe nachgefragt. Der Lebaner Owen ist bei ihnen. Außerdem ist es möglich, dass die Schergen der Finsternis Skjöldbur attackieren, wenn dort wirklich eine der Quellen liegt."
Baelon seufzte. "Hat irgendjemand Lady Hlifa informiert?"
"Ich habe bereits einen Reiter nach Hohenfels geschickt. Sie sollte wissen, dass ihr Ehemann nach Midgard gereist ist", sagte Allyen, nahm eine Karte des nördlichen Kontinentes und zeigte auf eine Siedlung: "Das ist Ostfold, hier liegt die Vestfold. Falls Cleophos von Aestrinor dort auftaucht, werden wir es erfahren. Skjöldbur liegt dort", fügte er hinzu und zeigte auf einen kleinen Punkt weiter im Süden.
"Wenn da eine Quelle ist und wenn Aestrinor tatsächlich mit diesem Khagan oder gar der Finsternis im Bunde ist, dann wird er diesen Ort ebenso suchen. Hoffen wir, die Menschen dort sind auf der Hut", antwortete Baelon mit dem Blick auf der Karte.
"Sie wissen, was sie tun, da bin ich sicher. Wie gehen wir in Sachen Dakhil Al Khan weiter vor? Ich habe gehört, dass er ebenfalls den Blauen Turm aufgesucht haben soll", sagte Allyen. Seine Informanten hatte er überall. Es war seine Aufgabe, das Reich zu sichern, so wie zum Beispiel Emes die Königin selbst.
"Arbeitet mit Khagan Shanesh zusammen. Das Lager dieses Hun muss beobachtet werden. Falls er mit seinen Leuten aufbricht, gleich ob in unsere Richtung oder durch den Wald, will ich das wissen. Haben wir Tysandra von Aestrinor ausfindig machen können?"
"Leider nicht. Sie ist auf der Flucht. Man hat sie in der Abtei und anschließend bei Lethos Mercutio gesehen, danach fehlt jede Spur. Allerdings bestätigt sich das Gerücht, dass sie ein Kind erwartet. Nicht von Cleophos, sondern von Velas, seinem Bruder, den man in Terra Brumalis zum Kommandanten gemacht hat, nachdem Argus sich als Dybbuk herausstellte. Mylord, es war eventuell falsch, Velas von Aestrinor auf der Insel zu lassen. Wir haben keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Und ebenso bestätigt sich, dass er die Gabe des Traumlesens hat."
Baelon warf einen Krug gegen die Wand. "Bei Liras, wie kann es sein, dass das Reich wieder so nah am Abgrund steht? Wir haben doch wirklich alles getan, um es zu schützen, oder etwa nicht?"
Das war also der Grund für die Sauferei. Nicht nur zu viele Probleme, sondern ebenso die Tatsache, dass wohl alles, was man tat, zu keiner Lösung führen würde. Als wäre das Reich wirklich von Beginn an verflucht, wie es Sicarion Grauwind vor einer gefühlten Ewigkeit gesagt hatte - bevor man den tectarischen Eroberer bezwungen hatte.
"Es trifft Euch keine Schuld. Es sind die Umstände, Baelon. Wir können nur eines tun: nicht aufgeben."
"Ich gebe nicht auf", antwortete Baelon leise.
"Natürlich nicht."

Cleophos

Das Meer tobte in dieser Nacht. Je weiter die 'Rote Freude' in den Norden fuhr, umso höher die Wellen und kälter die Winde. "Geht besser unter Deck, Mylord", sagte einer der Seeleute. "Es wird ungemütlich."
Cleophos schüttelte den Kopf. "Nein, solange es geht will ich diese Luft atmen."
Der rote Lord, wie einige ihn nannten, hielt sich am Mast fest, trug die Kapuze seines scharlachroten Umhangs weit in das schon von Regen und Meerwasser durchnässte Gesicht und hielt die andere Hand am Schwert. In dieser Gegend, sagte man, hätte es Piraten. Nun, bei diesem Wetter war wohl kaum damit zu rechnen. Ab und zu fühlte es sich an, als würde das Schiff jeden Augenblick vom Ozean verschlungen und auf den Grund gerissen werden. Aber Cleophos wusste, dies würde nicht geschehen. Dachte Dakhil Al Khan tatsächlich, er wäre der einzige, der sich Auserwählter nennen konnte? Er musste lauthals lachen, bei dem Gedanken, der Hun würde wirklich glauben, dass er die Kontrolle gehabt hatte, als er Cleophos befohlen hatte, nach Midgard zu reisen. Nachdem Zhaerius von den Plänen der Zendavesta berichtet hatte, Midgard durch 'den Kreis' zu verschließen, so wie die Hüter Blyrtindur verschlossen hatten, hatten ein paar Worte und Andeutungen genügt, den Hun auf die Idee zu bringen, ihn zu entsenden. "Der Panther schickt dich nach Midgard, Scharlachlord", hatte Shamir gesagt.
"Wie er befiehlt."
Und nun war er fast da. Um seinen Bruder Velas konnte er sich ohnehin erst kümmern, wenn Blyrtindur wieder erreichbar wäre. Allerdings hatte er dafür gesorgt, dass Dakhil auch davon erfuhr und dass nicht nur Ascanio, sondern ebenfalls andere auf der Suche nach Erec waren, dessen Schiff wohl zur Insel aufgebrochen war, vor der Entrückung. Was er Dakhil natürlich nicht berichtet hatte, war, dass er selbst ebenso Leute auf die Insel geschickt hatte. Nicht wegen Erec, denn der bedeutete ihm nichts, sondern wegen der Hütte von Lazarus und dem Herrn der Berge. Cleophos hatte einen Verdacht, was Zhaerius anging und nur auf diese Weise konnte er seine eigene Position in Dakhils Reihen verbessern: Zhaerius anschwärzen und ausliefern. Es war kein Problem gewesen, die Soldaten Roglunds, die im Wilderland vor den Hohenfelsern und Wilderländern geflohen waren, dazu zu bewegen, in Blyrtindur neu anzufangen. "Findet Arans Aufzeichnungen", hatte er befohlen.
Im Morgengrauen erreichten sie das Land der Nordmannen. Cleophos gab dem Kommandanten eine Karte. "Dort schlagt ein Lager auf, ich reise umgehend weiter."
Dann nahm er ein zweites Schiff und fuhr gen Süden, die Küste entlang - bis er schon aus der Ferne den Schlachtenlärm vernahm. "Es hat also schon angefangen", murmelte der Auserwählte.

Nour

Die Hauptfrau Dakhils schlich durch das dunkle Dickicht. Auf dem Schnee hinterließ sie als Panther keine Spuren und Abdrücke. Ihre Instinkte und Sinne waren so viel stärker als in menschlicher Form. Der Nachteil war, dass sie manchmal von ihren Zielen abgelenkt wurde, wenn Beute in der Nähe war, so wie jetzt. Aber der Hirsch, dort drüben auf der Anhöhe, er war so verlockend. Sie folgte ihm eine Weile, bis er an einen Fluss kam. Dann beugte sie sich etwas, schnalzte leise mit der Zunge, verengte die Augen, die sich nur noch auf das Fleisch konzentrierten. Sie sprang. Ihre Klauen schlugen in den Rücken des Hirsches, dann biss sie ihm die Kehle durch und genoss den Geschmack von Blut, als sie seine Innereien fraß. Plötzlich drehte sie den Kopf herum und ließ von der Beute ab. Da war wieder das Ziel.
Nour lief durch den Wald, bis sie Lärm hörte. Im nächsten Moment verwandelte sie sich zurück, griff in den Beutel, den sie hier vergraben hatte und kleidete sich an. Sie war immer noch schwarz wie die Nacht. Der Lärm führte sie an ein Ufer, und sie sah, wie geisterhafte kleine Gestalten, von Dampf angetriebene Maschinen und nordische Krieger gegen die Finsternis kämpften. "Skjöldbur", sagte sie ganz leise und blieb in ihrem Versteck.
Schon sah sie bekannte Gesichter, denn die Beschreibungen, die sie von Dakhil bekommen hatte, waren sehr genau gewesen. Sie erkannte Hrafna, und dort, ganz in der Nähe, da war das Ziel: Erika. Kurz musste sie abfällig lächeln: Nordfrauen waren so hässlich und sie wagten es, ihren Männern zu widersprechen. Erstaunlich, dass der Schwarm ausgerechnet dieses Weib auserwählt hatte. Nour beschloss, das Ende des Kampfes abzuwarten und dann zuzuschlagen. Dakhil wollte das Weib lebend, damit er den Schwarm auf das Ungeborene übertragen konnte. Sie bedauerte es, denn gern würde sie das zornige Gesicht von diesem Hrafna sehen, wenn er sein totes Weib in den Armen tragen würde. Getötet von der schwarzen Katze, von Nour. Dass Dakhil ausgerechnet eine Bretonin geschwängert hatte, um einen Träger für den Schwarm zu haben, störte sie nicht. Immerhin würde sie es sein, die Tysandra eines Tages langsam und qualvoll töten dürfte.
Schon lief ihr das Wasser im Mund zusammen und sie hatte Mühe, sich auf Erika zu konzentrieren. Der Kampf war vorüber, nun war die Gelegenheit. Sie sah schon, wie sie schnellen Schrittes auf die Gruppe zuspringen würde, den Wicht und den anderen kleinen Mann mit zwei Schnitten ausschalten und dann Erika greifen würde. Aber dann vernahm sie einen vertrauten Geruch. Es war der Mann, dem sie eine Nacht geschenkt hatte, dafür er dass er ihr die Traumkunst seines Bruders weitergegeben hatte: Was bei Amur hatte Cleophos hier zu suchen?
Nour brach den Angriff ab und schlich ans Ufer. Hatte Dakhil sie verraten? Vertraute er ihr nicht? Einer von beiden würde es bereuen.

Ein Loyalist spricht seinen Eid

"Ich will, dass du es vor den Göttern schwörst, denen auch du einst gedient hast", sagte sein Gegenüber, den Zweihänder gezogen.
"Du willst mir meinen Wunsch nicht erfüllen. Was du nun ewartest, ist viel."
"Ja, das ist es. Aber ich habe nachgedacht. Man kann die Zeit nicht betrügen. Und wenn dieser Hun Erika entführt, ich würde ihr folgen. Bis an das Ende der Welt. Und wenn du ich bist, und wenn ich du bin, dann tust du es auch."
Der Loyalist nickte. "Ja, das stimmt. So schwöre ich vor Odin, Thor und all ihren Brüdern, Schwestern und Söhnen. Ich werde es tun."
Er sah, wie Hrafna sein Schwert durch den Leib eines Gefallenen zog, damit Blut daran war. "Sie werden dir glauben?"
"Sie fragen nicht. Und ich weiß, dass es so richtig ist. Ich kann dich nicht töten. Ich würde mich selbst töten. Dann wäre ich genau so ein Feigling wie ich es wäre, wenn ich Erika nicht retten wollen würde."
"Das gilt auch für mich."
"Nun verschwinde. Finde deinen Weg... Hrafna", sagte der Nordmann und ging wieder zu Erika, Harding und den anderen.

Beshameth spricht zum Khagan

"Dann hat Vater mich umarmt. Er ist stolz."
"Das hast du gut gemacht. Du wirst ein guter Krieger sein und ihn mit noch mehr Stolz erfüllen. Nun wollen wir aufbrechen. Es ist der Jahrestag des Sieges über die Finsternis, junger Beshameth."
"Ja, mein Khagan."
Beshameth lief zu seiner Mutter und ließ sich einkleiden. "Ich habe mit dem Khagan gesprochen. Ich darf ihn auch begleiten!"
"Dakhil ist ein weiser Mann. Er weiß, dass du eines Tages ein großer Panther sein wirst", antwortete die Tänzerin.

Der Lebaner und das Haus

Nur ein Schütteln, dann ein Licht. Schon war Zhaerius von Maegranth an seinem Ziel. Draußen schneite es, und er beschloss, den Sturm abzuwarten. Er hatte alle Zeit der Welt. Junker Callum und den anderen hatte er die reine Wahrheit gesagt - bis auf zwei Kleinigkeiten: Er hatte Erika an Dakhil verraten. Das war notwendig, für das große Ganze. Außerdem sagte er auch Dakhil nicht alles. Das waren eben diese Kleinigkeiten, wie auch das Szepter des Lethos. Er wollte es gar nicht. Er wollte etwas, das kein anderer wollte.
Die andere Kleinigkeit war, was er gerade eben getan hatte: Zhaerius hatte Blyrtindur erreicht.
Alea iacta est.

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Beitrag von Meister » 25 Okt 2012, 15:31

ZWISCHENSPIEL IV


- Jetzt und zu anderen Gezeiten -


Hrabanus

Der Schmerz war kaum zu ertragen. Das Donnerkraut hatte seine Wirkung voll entfaltet, und die Finsternis spürte immer noch, wie das Feuer brannte, das diese vermaledeiten Feuergeister entfacht hatten. Es blieb ihr keine Wahl, als sich zurückzuziehen. Und ihr wurde immer deutlicher, dass sie auf diese Weise die Quelle Skjöldburs niemals erreichen würde. Sie könnte ebenso eine andere auswählen, aber immerhin war hier Erika, hier war der Schwarm.
So jagte die Wolke durch die Nacht, ihre Bestandteile folgten ihr, und in einer verlassenen Höhle setzte sie sich zusammen. Sie war geschwächt. Einen weiteren Angriff, hier, würde sie ebenso erfolglos ausführen wie den der vergangenen Nacht. Sie hörte, wie Hrabanus ihrer spottete, aber im nächsten Moment Teil der Schmerzen und des Zornes wurde. "Ich werde zurückkehren, aber nicht jetzt", dachte das Urböse, während es in alle Zeiten und Welten und in alle Lande und Städte schaute, auf der Suche nach einem neuen Weg. In Labor 47, das sie bereits vorbereitet hatte, harrte sie der Dinge:
Der Angriff an zwei weiteren Orten war in vollem Gange und sie spürte den Sieg. Wie süß schmeckte diese Freude, die sie die Schmerzen vergessen ließ, welche ihr diese verfluchten Skjöldburer angetan hatten! Und gerade als sie verwundert einen weiteren Teil des Schwarmes hörte, wie er leise sang, mitten in der Ostfold, da musste sie sich einer anderen Sache widmen. Etwas rief nach ihr, und sie hatte keine andere Wahl als diesem Zwang zu folgen.
Da war eine Maschine, hoch in den Wolken über Midgard.

Ein Kind begegnet einem Menschen aus der Tiefe

Der Vater des Mädchens hatte gerade die Graser in den Stall getrieben, denn der Winter war gekommen. Erst mit leisen Schritten, war er heute bereits auf den Gipfeln und auch darunter mit Neuschnee hereingebrochen. Die Kinder spielten unten im Dorf, denn mit dem kalten Wetter kamen auch die weißen Wölfe. Das Mädchen trocknete gerade ein paar Kleider für das morgige Fest, begrüßte seinen Vater und half ihm, den Stall zu verschließen.
Plötzlich fuhr Vater herum, und das Mädchen erschrak. "Wer ist das, Vater?", fragte es leise.
"Geh ins Haus und verschließe alle Türen und Fenster."
"Aber, Vater...?"
"Alysare, höre auf mich. Ich komme nach", sagte er eindringlich und schaffte es, trotzdem zu lächeln.
Das Mädchen hörte seine Schreie noch Jahre später, nachdem sie das Dorf schon lang verlassen hatte. Auch als alte Frau erinnerte sie sich an die trüben Augen und die fahle Haut dieses Menschen, der nach Algen und Tod gerochen hatte.

Aus den Erinnerungen Elyrios

"Ich hatte bereits angedeutet, dass die Geschehnisse rund um Dakhil vielleicht anders ausgegangen wären, hätten wir mehr Vertrauen gehabt. Aber letztlich blieb uns doch keine Wahl, immerhin war er bereit, für seine Ziele - die sich von unseren kaum unterschieden - über Leichen zu gehen. Unsere, die des ganzen bretonischen Volkes und ebenso der anderen. Am Ende hatte er uns doch nur diese eine Entscheidung gelassen, dessen bin ich mir heute immer noch so sicher wie damals. Hätte ich aber gewusst, was danach passieren würde - nicht nur für mein eigenes Seelenheil hätte ich mir einen anderen Weg für uns alle gewünscht.
Dass ausgerechnet diese Maschine Dinge in der fernsten Vergangenheit überhaupt erst ausgelöst hatte, konnte niemand wissen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Zendavesta es jemals wirklich vorausgesehen haben. Nun, wir können sie wohl kaum noch fragen.
Was? Du fragst mich, ob ich davon gehört habe, was Hrafna und die anderen aus Skjöldbur dachten als wir uns begegneten? Das kann ich nicht beantworten. Noch nicht."
Alea iacta est.

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Beitrag von Meister » 31 Okt 2012, 17:16

3


Theralia

Sie war wie eine Schwester, dachte sich Maga Theralia, während sie in der Ostfold wartete. Theornon, Owen und Brutus waren aufgebrochen, zurück nach Bretonia. Sie sah Hrafna und den anderen nach. Ja, Erika war wie eine Schwester, von Anfang an. Als sie das Ritual von Hand und Auge gemeinsam mit Harding ausgeführt hatten, da hatte sie so viel gesehen, was sie an sich selbst erinnerte.
Theralia hatte kein Heimweh mehr nach Bretonia, als sie versuchte, die Freunde der Skjöldburer zu erreichen. Sie waren irgendwo da oben, auf dem Kreis, um die Zendavesta zu vernichten. Es wäre das Ende der Zeitmagie, mit der so viel Pein über alle Menschen gekommen war. Das Ende der Zeit, nannten die Eingeweihten es. Sie hatte im Laufe der Jahre alles über die höhere Magie und die Ströme gelernt und ihr war klar, dass so etwas wie die Zeitmagie die Hände der Sterblichen verlassen musste.
Jetzt aber musste sie noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Sie sprach eine große Teleportation, die einer Ortung folgte. Dann fand sie etwas: Ein kleines magisches Objekt, mit transversalen Elementen beladen. Das mussten sie sein! Aber das Objekt war nicht aufgeladen. "Bitte, werft Magie in dieses Ding", flüsterte sie immer wieder, bis es endlich geschah. So konnte sie Hlifa und die anderen holen. Aber der Donnerhall, die Zerstörung des Kreises, hatte eine Druckwelle entstehen lassen und die Gefährten in einen tiefen Schlaf gelegt.
"Hetman Blakkur, wir müssen sie magisch ernähren. Gestattet Ihr das?"
"Natürlich, junge Dame. Wollen ja nicht, dass die uns verrecken."
"Ich werde bei ihnen bleiben."
Aber dann spürte sie Erika und hörte ihren Ruf. Sie brauchte Theralias Teil der Hand Amurs, des Schwarms. Schnell rief sie einen Runenmeister, der die Nährung der Schlafenden solange übernehmen musste. Aber sie hatte keine Ahnung, wo Erika war. Theralia lief hinaus, nahm ein Pferd und ritt los. Auf halbem Weg zwischen Ostfold und der Wegscheide nach Mularn traf sie einen Reiter.
"Kann ich dir helfen, Zauberin?", fragte der Nordmann.
"Ich bin auf der Suche nach Erika aus Skjöldbur."
"Na, das ist aber kein Zufall, hm? Ich suche meinen Hetman und die anderen ebenso. Mein Name ist Fenthros."
Theralia stellte sich vor. "Sie sind in Not und sie brauchen uns."
"Sie sind nicht mehr in Ostfold?", fragte Fenthros.
"Nein."
Der Nordmann dachte nach. "Warte mal. Komm, wir reiten zur Dvergenquelle. Dort ist ihnen neulich ein weiser Mann erschienen, ein Oger. Vielleicht weiß er etwas. Habe nur keine Ahnung, ob Rewulfs Runen uns einlassen."
Als sie den Eingang zu einer alten Mine erreicht hatten, da wirbelte die Erde auf und plötzlich stand der Oger vor ihnen.
"Mein Name ist Gwayan. Wir haben nicht viel Zeit. Kommt mit."
Ohne die Runen zu stören, ging er mit den beiden in die Dvergenquelle. Theralia spürte, wie die Präsenz der grünen Magie ihre eigenen Kräfte erhöhte. "Ich sehe sie! Sie sind im Stock des Abyssariums. Die Rebellen haben gesiegt, aber Hrabanus ist dort. Schnell, wir müssen etwas tun!"
Gwayan sprach seltsame Worte. Dann konnten sie, Fenthros und er durch die Erde laufen, ohne zu ersticken, bis sie den Stock erreichten. Aber Hrabanus war entkommen, durch eine Teleportation, die an den Thron im Inneren gebunden war. Gwayan verabschiedete sich, und Theralia konnte den Zauber aktivieren - sie erreichten das Archiv der Diener des Meeres, die Nacht: Die Schatten aus der Anderwelt hatten die Insektenrebellen dort überfallen und Hrabanus sah bereits seinen Triumph. Doch dann schritt Erika entschlossen auf Hrabanus zu. Als aus beiden Frauen die Hand Amurs kam und sich vereinte, da war das Gefühl, Erika schon immer gekannt zu haben, noch größer. Mit all ihrer Liebe dachte sie an den Sieg. Und die Hand Amurs schleuderte Hrabanus auf die Insel des Himmelseisens.
Das Abyssarium würde nun die Nacht benutzen, um seine alte Heimat zu finden. Ihre große Suche mochte eine Ewigkeit dauern, aber irgendwie wusste Theralia, dass auch dies gelingen würde. Von sich selbst wusste sie eines ganz sicher: Sie wollte nicht mehr zurück nach Bretonia. Midgard, es war schon immer ihre Heimat gewesen, trotz allem, was dort geschehen war.

Hrabanus

Er saß auf dem Thron der Dunkelheit, inmitten der schwarzen Wolke, die durch einen schrecklichen Sturm immer weiter in den Himmel stieg. Dann sah er einen Fels und darauf eine Maschine. Die Zendavesta bewachten sie, gemeinsam mit ihren Schergen, den Loyalisten. Aber bevor er in den Kampf gehen konnte, um wenigstens Hlifa zu töten, erschien der Lebaner Zhaerius. Was er und die Finsternis sprachen, das verstand er nicht.
"Erobere mir das Abyssarium. Es soll neben den Wesen aus dem Malstrom meine neue Armee sein", befahl die Finsternis.
So warf es ihn hinaus, und er stürzte in die Tiefe. Er liebte die Finsternis, denn sie machte ihn zu einem Gott, den alle lieben mussten. Aber warum ließ sie ihn allein? Vielleicht, damit er ihr gefallen könnte?
Hrabanus rief die Insekten, die den Zendavesta loyal waren. "Eure Herren werden fallen. Der Kreis wird zerstört werden. Aber wenn ihr herrschen wollt, dann folgt mir und tötet die Rebellen!"
Die Königinnen, die sich vor der Finsternis fürchteten, setzten ihre Armeen in Marsch und sie überfielen den Stock der Rebellen. Sie waren wehrhafter als Hrabanus sich vorher gedacht hatte. Als er Erika und die anderen sah, die sich durch die Reihen kämpften, da sah er wieder eine Chance, die Hand Amurs zu erbeuten. Und ihm kam ein Gedanke: "Wieso mit ihr teilen? Wenn sie mich nicht haben will, in ihrem Kampf oben auf dem Kreis, dann soll sie mich auch nicht bekommen." Er wollte die Macht der Erschaffung nun für sich allein. Dann spürte er, dass es einen zweiten Schwarm, die andere Hälfte der Hand Amurs gab. Er öffnete ein Tor, floh ins Innere des Stocks, um sich zu sammeln. Doch sie folgten ihm. Zhaerius erschien und warf ihn einfach in die Nacht. War es ein Plan der Finsternis, ihn endgültig loszuwerden?
Schnell rief Hrabanus die Schatten aus der Anderwelt herbei, dass sie ihm beistehen würden gegen die Rebellen, denen die Nacht gehörte.
Aber es war alles vergeblich. Als die Hand Amurs ihn schwächte, da versuchte er ein letztes Mal, sie zu greifen und zu besitzen. "Liebe wird nicht erzwungen. Sie ist", sagte eine Stimme. Es war er selbst. Wie er war. Und er erinnerte sich an die schönen Tage, er dachte an seinen Bruder und wie sie zusammen waren. All die guten Gedanken aber verschwanden, als er zerstört wurde und auf einer einsamen Insel sich wieder materialisierte. Die Finsternis war dort. Sie nahm ihn auf und verschloss ihn mit all den anderen Seelen.
Nur manchmal, wenn sie ruhte, ließ sie ihn hinaus. Dann schaute er auf das Meer hinaus, sehnte sich nach Blyrtindurs Quelle. Er versuchte, sie sich vorzustellen. Dann versuchte er, sich den Stab der Erschaffung vorzustellen. Es gelang nicht. Das einzige, was er sah, war ein Gesicht, eine Person.
Erec.

Baelon

Von einem wahren Donnerhall berichteten die Seefahrer, die gerade aus Midgard gekommen waren. Der Himmel, sagten sie, wäre beinahe auf das Land gestürzt, so laut sei der Schall gewesen. Baelon neigte dazu, den Berichten von Seeleuten, egal woher sie kamen, zwar zu glauben, aber ein wenig Aberglaube und Übertreibung abzuziehen. Dann hatte man ungefähr die Wahrheit oder wenigstens einen Teil davon. Als aber Sir Allyen und ein Vertreter der Akademie einige Tage darauf die Aussagen bestätigten und ebenso noch mehr dazu zu sagen hatten, da war er sich sicher, dass er die ganze Wahrheit der Geschehnisse kannte:
Allyen hatte Informationen aus einer 'unbekannten Quelle',wie er sagte, und sie betrafen Blyrtindur. Den Hütern und ihren Begleitern war es gelungen, die Reise der Insel durch die Zeit - Teil der Zeitmanipulation durch die Finsternis - zu beenden. Der Preis dafür war, dass jeder, der die Insel nun verlassen würde, um 500 Jahre alterte. "Lasst Velas also wo er ist. Ich hoffe, ich täusche mich", hatte Baelon befohlen.
Der Vertreter der Akademie hatte von den Zendavesta berichtet: "Mylord, die Zendavesta sind nicht mehr. Sie und der Kreis sind zerstört worden. So ist es auch mit der Finsternis."
"Die Finsternis ist fort?"
"Sie ist gebannt worden, auf die Insel des Himmelseisens", hatte der Magier geantwortet.
Baelon hatte sich daraufhin mit der Königin beraten und gemeinsam hatten sie einen Entschluss gefasst. "Wir müssen auch mit den Vertretern der anderen Vöker sprechen, auch was die Wesen aus dem Malstrom angeht. Ich werde Lariena zuerst informieren", hatte die Königin gesagt.
Und nun stand Baelon in der Zelle Roglunds, der immer noch von einem Dybbuk beherrscht war. Theralia hatte vor ihrer Abreise nach Midgard einen Zauber um Roglund gelegt, damit der Dybbuk ihn nicht töten und entkommen würde. Einer war immer noch frei. Wo auch immer er war, man würde sicher wieder von ihm hören.
"Mylord, der Erlass. Die Abschriften sind fertig", sagte der Kammerdiener.
"Sehr gut. Schickt Reiter an alle Orte, im Norden, Süden, Osten und Westen. Es gilt für alle."
Der Erlass verfügte, dass niemand sich der Insel des Himmelseisens, nunmehr Insel der Finsternis genannt, nähern durfte. Die Finsternis war dort. Und Hrabanus. Beide eingeschlossen für immer - aber da. Und morgen schon würde ein Schiff aufbrechen und einen magischen Schild um die Insel legen, zur Sicherheit. Immer am ersten Tag eines Monats.
"Das Erbe der Finsternis plagt dich, Baelon", kicherte Roglund.
"Sollte es das nicht? Wenn du glaubst, mich beunruhigen zu können, dann täuschst du dich, Dybbuk."
Baelon verließ die Zelle. Was ihn plagte, das war in der Tat das Erbe der Finsternis. Nicht so sehr die Insel, denn alle versicherten ihm, dass Hrabanus und die Finsternis sie nimmer mehr verlassen könnten. Es war etwas anderes. Und das waren die Zonen:
Schon bevor die Zendavesta in einem großen Donnerhall gemeinsam mit dem Kreis untergegangen waren, da fiel ein schwerer Sturm auf das Land nieder. Der Regen war unnatürlich und stank wie die Hölle selbst. Kurz darauf waren die Wesen des Malstroms den Meeren und Flüssen entstiegen, griffen Eisenwall, Burg Witrin und Festung Wilderberg an. Martus von Brioless konnte entkommen, ebenso Aurelion und Aurelia von Torbrin. Aber von Elyarn von Dryr und Saban von Torbrin hatte niemand mehr etwas gehört. Schnell waren die ersten Menschen infiziert, und als Baelon hörte, dass jeder gefallene Soldat binnen kurzer Zeit sich zu einem Malstromwesen veränderte, da ritt er selbst zusammen mit Emes zu jedem der einzelnen Orte und verhandelte mit den Kreaturen.
"Sie denken", sagte er leise zu Sir Allyen, der die Kammer betrat.
"Wie meinen?"
"Die Malstromwesen. Diese kahlen grauhäutigen stinkenden Wesen. Ihre leeren Augen sagen etwas anderes, aber sie denken wie wir."
"Darüber können wir jetzt froh sein, Mylord. Dieser Pakt mit ihnen ist im Moment das einzige, was uns schützt. Ich komme wegen der aktuellen Berichte."
Baelon wollte es gar nicht hören. "Wie sieht es aus?"
"Dreihundert Infizierte pro Tag, aber es werden weniger. Kaum jemand wagt sich noch in eine Zone."
"Das ist bei aller Traurigkeit noch eine gute Nachricht, Allyen. Was gibt es noch?"
"Ascanio und sein Gefolge haben das Lager errichtet. Alchemisten, Heiler, Mönche und Zauberer sind dort, wie befohlen. Sie beginnen mit den Forschungen. Abt Aldwyn und Lethos Mercutio haben Lebaner und Paladine zur Bewachung abgestellt."
"Gut. Ich hoffe wir erhalten Ergebnisse. Etwas Neues von Aestrinor oder Maegranth?"
"Nein. Beide sind unauffindbar. Dakhil Al Khan hat sein Lager in der Ebene seit Tagen nicht verlassen. Unserem Gesandten hat er versichert, dass sein Eheweib Nour keinerlei Informationen von sich gegeben hat, als er ihr Gefangener war. Auch er weiß nichts über ihren Verbleib oder den der anderen."
"Sucht weiter."

Erec

"Du hast eine neue Aufgabe", hatte der Geist der alten Frau ihm gesagt. Ebenso hatte sie darauf hingewiesen, dass Ofeigur und Albertus in ihrem Tagebuch viele Hinweise über Unentdecktes auf Blyrtindur finden würden. Darunter auch 'der Spiegel', der den letzten Fluch der Finsternis brechen könnte. Das Vermächtnis Alysares war groß, und Erec hatte dennoch keine Scheu, ihr Erbe auf Alt-Blyrtindur anzutreten.
Er war der neue Hüter, sie hatte ihn erwählt. Er wusste nicht warum, aber nachdem er gehört hatte, dass Hrabanus durch die Helden Skjöldburs auf die Insel des Himmelseisens gebannt worden war, da spürte er nicht den Drang, ihn noch einmal zu sehen. Vielleicht hatte er damit abgeschlossen, vielleicht war Blyrtindur und die Anwesenheit der Hüter eine Salbe für die Wunden seiner Seele gewesen. Oder es war die neue Aufgabe. Er würde immer an seinen Bruder denken und niemals vergessen, wie sie als Jungen mit nicht mehr als Lumpen auf kalter Haut durch das vom Krieg geschundene Land gewandert waren - und doch glücklich. Wenn man die guten Erinnerungen bewahrte, dann waren sie die größte und stärkste Waffe gegen die schlechten. Hrabanus war nun frei. Nicht das, was die Finsternis aus ihm gemacht hatte, sondern der Hrabanus, den er kannte. Und er selbst würde wieder ein Ziel haben: Alt-Blyrtindur beschützen, koste es was es wolle.
Nach dem Abendessen in Brulund gab Ofeigur ihm den ein oder anderen Rat und Albertus wirkte einige Schutzzauber auf ihn. Er nahm ein paar Kochrezepte Liurroccars mit auf den Weg und verabschiedete sich auch von allen anderen. Von Namid, Mellwen, Arn und Maruk. Von Heron und Siebenstilzchen, von Algrin und allen anderen. Er war nur kurze Zeit dort gewesen, aber er empfand die Insel - und er zählte das kleinere Alt-Blyrtindur dazu - als eine neue Heimat. Vergessen war die Thylianeis oder der Turm, in dem die Finsternis ihren Siegeszug begann, der an ihrer eigenen Gier doch gescheitert war. Vergessen waren die Schatten aus der Anderwelt und der Frevel. Es war für Erec wie eine neue Welt.
Nach seiner Ankunft legte er Proviant und Waffen in eine der Hütten, nahm einen Besen und kehrte alten Staub davon. Er suchte Feuerholz und warf den Kessel an. Heißer Met, daran könnte er sich gewöhnen, stellte er mit einem Lächeln fest. Er wusste, dass viel auf ihn wartete: Da waren die Wesen aus dem Malstrom und möglicherweise hatten einige der Hun doch noch überlebt. Die Toten bestattete er im Feuer. Er sah Spuren des faulen Wassers und wusste, dass einige sich verwandelt haben mussten. "Ich werde mich um alles kümmern", sagte er leise. "Ja, das wirst du mein Sohn", antwortete die Stimme der Tänzerin. Sie war nicht wirklich da, aber sie war bei ihm.
Noch am gleichen Abend warf er sich ein Fell über, nahm eine Feldflasche mit und einen Speer zur Hand, den er als Wanderstab benutzte. Er lief den Pfad an der Küste entlang, bis er das alte Dorf Alysares fand. Bis tief in die Nacht bestattete er die Skelette dort. In der alten Taverne machte er ein Feuer an und aktivierte den Golem, den der erste Hüter gebaut hatte. "Aethel", sagte er ihm, und das Losungswort ließ den Golem sprechen. "Hüter, ich heiße dich willkommen."
"Nenn mich einfach Erec."
"Was darf ich für dich tun?"
"Zuerst muss ich das Losungswort ändern. Nicht dass ich den Hütern nicht vertrauen würde, aber ich möchte es."
"Wie soll es lauten?"
"Hrabanus."

Die Finsternis

Sie hatte sich gerade von den schrecklichen Ereignissen in Skjöldbur und wie man sie vertrieben hatte erholt und war schon auf dem Weg zurück, da spürte sie auf einmal einen unheimlich verlockenden Ruf. Es war die Melodie der Hand Amurs, die sie so gern besitzen wollte, um ihre Kraft der Erschaffung auf die ganze Welt erstrecken zu können!
Die schwarze Wolke erhob sich in den Himmel, bis sie einen Fels sehen konnte, der über Midgard schwebte, weit über dem Unwetter, das ihre eigene Bosheit verursacht hatte.
Als sie die Maschine und die Zendavesta sah, diese widerlichen Lichter, da wusste sie, dass der Lockruf eine Falle gewesen war: Das war der Kreis, mit dem sie sie fangen wollten. Doch dann warf sie ihre Tentakel darüber, um sich zu befreien und sah in der Magie der Zendavesta eine ähnliche Macht wie die ihre: Die Macht, zu erschaffen. So setzte sie fast all ihre Kraft ein, um mit Hilfe des Kreises und dem Prisma, dass der Tirinaither Chrysolithus bei sich trug Leben zu schaffen: Die Wesen aus dem Malstrom. Sie würden in der Vergangenheit durch sie entstehen und sie anbeten wie einen Gott. Es gelang. Der Lebaner hatte ihr gesagt, dass sie noch mehr schaffen könnte, hätte sie nur das Prisma ganz für sich. Was er dafür wollte, schien ein angemessener Preis zu sein.
Aber als sie das Prisma in ihren Schlund warf, da fühlte sie den Sand, der sie so sehr schmerzte. Der Sand hatte die Macht des Himmelseisens bekommen, das vor Ewigkeiten von den Göttern in das Meer geworfen worden war. Auch von Amur. Seine Kraft war es, die ihre schwinden ließ. Und so schnell sie im Turm der Thylianeis sich befreien konnte, so schnell wurde sie wieder zur Gefangenen.
Hier, allein, auf der Insel. Und sie konnte nicht entkommen. Manchmal sah sie ein Schiff und hoffte, jemand käme an Land und würde sich ihrer erbarmen. Aber das geschah nie. Ihre einzige Gesellschaft war Hrabanus.
Aber dann, nach einigen Tagen, da hörte sie, wie ihre Kinder sie aus der Ferne riefen. Auch für sie war der Ort verschlossen. Aber zu wissen, dass ihre Schöpfung in der Welt war, ließ sie friedlicher ruhen und mit Millionen von Seelen böse Spielchen treiben. All jene, die sie im Laufe ihres ewigen Lebens schon verspeist hatte.

Zhaerius

Niemand würde es verstehen oder ihm vergeben. Aber unter all den Auserwählten dieser Tage, so fand der Lebaner, musste es einen geben, der die Dinge rational betrachtete. Als er oben auf dem Kreis erschienen war (er hatte eine der Statuetten Dakhils gestohlen) und Hlifa und die anderen gesehen hatte, war ihm klar geworden, dass sein Spiel vorbei war: Sein Spiel, das nicht so sehr um Macht als um Wahrheit ging.
So schloss er seinen Pakt mit der Finsternis - und betrog sie. Er hatte ihr gesagt, dass sie unbedingt das Prisma, entstanden aus dem Sand der Insel des Himmelseisens und der Essenz des Roten Todes, erbeuten müsste. Im Tausch dagegen wollte er nur eines - und er hatte es bekommen. Die Finsternis war auf seinen Trick reingefallen und hatte in ihrer unermesslichen Gier nicht bemerkt, wie er sie und Hrabanus getrennt hatte. So war es schließlich Erika möglich gewesen, gemeinsam mit Theralia, Hrabanus ebenso zu bannen. Das hätte schon vorher geschehen können, aber Zhaerius benötigte Zeit, das zweite, was er wollte, zu kriegen - und auch das hatte er bekommen. Sein Geheimnis, wie er nach Blyrtindur reiste, hatte er mit Dholon und den Hütern geteilt. Ein notwendiges Teilen, ein notwendiges Übel. Sie wären sowieso auf seine Aura angewiesen, die beide Häuser (das von Lazarus und sein Duplikat) aktivierte. All das war also notwendig gewesen.
Nun war er in seinem Versteck, das keines war, angekommen. Nah genug an Witrin, wo nun die Malstromwesen waren, nah genug am Blauen Turm, wo Caldorvan nun residierte. Und seine Verbündete, der er er gesagt hatte, dass sie Dakhil freilassen müsse und Cleophos unbedingt verschonen, war auch da.
"Leban mit dir."
"Und Amur mit dir", sagte Nour.
"Ich möchte dir zeigen, was ich besitze."
"Der letzte Mann, der das gesagt hat, wurde nur von mir verschont, weil du darum gebettelt hast. Warum, Zhaerius?"
Zhaerius schmunzelte. "Weil ich der bin, der dir Tysandra von Aestrinor servieren kann. Und weil ich zwei Dinge habe, die dich sehr interessieren dürften."
"Und was soll das sein?"
Als Zhaerius ihr zeigte, was er durch Geduld und Manipulation bekommen hatte, da weiteten sich die Augen der schwarzen Katze Lebans.

Aus den Erinnerungen Elyrios

"Wie wir am Blauen Turm die Nachricht erhielten, dass Skjalgur, Hlifa und die anderen Erfolg hatten und in der Ostfold ruhten, da war wenig Zeit für Freude: Wir hörten seltsame Schreie, die von Witrin bis zu uns kamen. Ihnen folgte der Untote Lord. Caldorvan berichtete von der Ankunft der Malstromwesen. Am nächsten Tag ritten Valertha und ich in die Kernlande. Auf dem Weg sahen wir überall Scheiterhaufen, in denen die ersten Infizierten brannten.
Wir erfuhren, dass Ascanio ein Krankenlager weit weg von allen Dörfern errichtet hatte. Abt Aldwyn sprach von einer neuen Zeit. Schon am Tag darauf waren Eisenwall und Wilderberg in ihrer Hand. Brioless konnte entkommen. Er und Aurelia lebten nun bei der Königin und ihrem Gemahl Aurelion. Als wir dann erfuhren, wie man sich infizierte und was mit allen Toten geschah, da tat Baelon das einzig Mögliche: Er schloss einen Pakt mit den Wesen. Jetzt hatten wir drei Zonen.
In Midgard war es nicht besser. Ich wusste lange nicht, ob überhaupt jemand aus der Vestfold noch lebte. Die Ostfold blieb weitgehend verschont, aber im Godewald muss es schlimm gewesen sein. Skjalgur hatte nie gesagt, wie schlimm.
Du willst wissen, was mit dem Auserwählten passierte? Dakhil war noch immer in der Ebene. Er brauchte lange, um zu überwinden, dass ihm das genommen wurde, wozu Amur ihn erwählt hatte. Ich denke, das war auch der Grund für seine folgenden Taten. Hingegen hatten wir von Nour wieder recht schnell gehört. Genau wie von Zhaerius. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal, junger Radulf, Sohn von Erika und Hrafna."



Epilog


Saban

"Der Pakt mit Baelon. Wird er uns aufhalten?", fragte Szynric.
Saban schüttelte den Kopf. "Er ist ein Geschenk. Doch nun, sorgen wir uns besser um den Scharlachroten Lord."

Cleophos

Der rote Lord ging an Land. Die Rauchschwaden waren schon lang verzogen, und es schien wieder Ruhe dort eingekehrt zu sein. Er hoffte nur, dass Waldyr und Dagharn wirklich abgereist waren.
"Ist das wirklich eine so gute Idee?", fragte einer der Soldaten.
"Haben wir denn noch eine Wahl? Der Kreis ist vernichtet. Ich muss ihr Vertrauen gewinnen", antwortete Cleophos und begrüßte die Nordmannen am Ufer.
Alea iacta est.

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Beitrag von Meister » 02 Nov 2012, 17:12

Kapitel Fünf: Numerus Mysticus


Prolog



Der Hüter findet die Zukunft

Erec hatte die ganze Nacht mit dem Golem des ersten Hüters gesprochen. Viele Geheimnisse hatte er erfahren über diesen Ort. Als nächstes ging er über den Dorfplatz, vorbei an den alten Scheunen und oben in den Wachturm. Die Sprossen der Leiter waren morsch. Er musste sehr vorsichtig sein. Oben angekommen untersuchte er das Holz. Da war es tatsächlich.
Eilig notierte er, was er dort las: 3x4. 1+2+3. 7. 11-1.


Der Panther spricht ein Gebet

"Oh Amur, Herr der Gerechten, Herr der Himmel, Gebieter über die Engel, die Welt und alles, was lebt. Warum hast du mich erwählt und dann in den schweren Stunden verlassen? Es ist verloren. Dreizehn Silberlinge zahlte man dem, der dir den Stab der Erschaffung genommen hatte. Nun fühle ich mich selbst wie ein Verräter, der in Demut vor dir steht, denn ich habe versagt. Die Kraft der Erschaffung ist verloren, und nun ist die Finsternis auf ewig verbannt auf der Insel des Himmelseisens. Was willst du, das ich tue? Wie kann ich die Heimat deines auserwählten Volkes erretten?"
Nach dem Gebet erhob sich Dakhil Al Khan, und einer seiner Männer brachte Nachricht von den Falken. "Wenn Tysandra in den Nordlanden ist, so haben wir sie nicht entdeckt. Vielleicht ist sie noch immer in Hohenfels."
"So ich sie nicht finde, soll sie doch sterben", fauchte Dakhil. Denn wozu wäre der Bastard, den diese Ungläubige in die Welt werfen würde, noch gut?
"Und wenn sie dich wirklich liebt, mein Khagan?"
"Würde sie das, sie hätte mich nicht verlassen. Was sind die Berichte der anderen Falken?"
Sein Krieger berichtete ihm von der Ausbreitung der Seuche im Bretonenland. "Interessant. Ich will mit diesem Ascanio sprechen und hören, was er weiß."
Der Krieger nickte und folgte dann Dakhils Blick. Er hatte eine kleine Gestalt wahrgenommen, die sich dem Lager unbewaffnet näherte. Es war eine Thel'Ein, und er kannte sie.


Saban erforscht einen Turm

Das Wesen aus dem Malstrom lief die dunklen Gänge entlang. Die Erinnerungen aus einem früheren Leben machten es einfach. Er kannte noch alle Türen, alle geheimen Handgriffe, die er Caldorvan oder Aurelia abgeschaut hatte. Sprechen, das konnte er noch immer nicht, aber die Kraft Larienas wirkte Wunder. So konnte er mittels Gedanken zu Szynric sprechen. "Hier hatte er eine Art Schrein. Von Leban. Aber es ist nicht das, was wir suchen." Szynric nickte nur und folgte Saban in einen weiteren Raum. Dort lagen überall Pergamente. Aufzeichnungen über Hlifa Waldyr - unwichtig. In einem anderen Stapel lagen Berichte über Sicarion Grauwind und seine Eunuchen - ebenso uninteressant. "Es muss hier sein." Da hielt Szynric ein Papier in der Hand und zeigte es ihm. "Ist es dies?" "Ja."
Der Turm war nicht weit weg. Oben war ein großer Spiegel, der mit Hilfe des von allen Wesen des Malstroms verhassten Feuers den Weg weisen könnte. "Was geschieht nun?", fragte Szynric.
"Wir warten. Auf 'ihn'."


Der Mann in Schwarz

Zufrieden schritt der Mann in Schwarz durch die Reihen seiner kleinen Armee. Es waren nicht viele, aber durch den Fluch waren sie bis zum Tode loyal - und auch darüber hinaus. Sie dienten nur zur Sicherheit, aber sie mussten bereit sein. Die Wölfe knurrten, und ihre Augen verengten sich. Aber als der Mann in Schwarz ihnen frisches Fleisch auf den Boden warf, da vergaßen sie ihren Unmut schnell. "Lykanthropen. Sehr nützlich", sagte der Mann in Schwarz. Die Katze fauchte leise.
"Aber, aber, mein Kind. Du weißt, dass wir sie brauchen. Ich frage mich, wer sie anführen sollte?", fragte er, während er gemeinsam mit der Katze Lebans die Moorkrieger inspizierte. Ihnen folgten die Loyalisten. Sie waren auch immun - das war sehr interessant.


Ein Gelehrter wacht auf

Das erste, woran sich der Gelehrte erinnerte, waren Flammen und herabstürzende Trümmer. Dann war da eisige Kälte, die er immer noch fühlte. Der Kälte war Hitze gefolgt, bis endlich der Ozean gekommen war. Labor 47 war vernichtet worden. Er weinte dem Ort keine Träne mehr nach. Auch dem früheren Leben nicht. Wie lang er als Skelett dort gelegen hatte, das wusste Lathias von Carmon nicht - wohl aber, was nun zu tun war:
Das Wesen aus dem Malstrom hatte sich wieder geformt und sein Wissen war zurückgekehrt. Jetzt machte er sich auf den Weg, lief durch das Meer, bis er zur Nebelküste kam, wo Sylthir ihn schon begrüßte. "Man wartet auf dich, Gelehrter. Viel Arbeit liegt vor uns."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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Meister
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Beitrag von Meister » 05 Nov 2012, 18:24

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Die mit dem geteilten Herzen

Die junge Lady saß, eingehüllt in ein Fell, am Lagerfeuer und lauschte Geschichten, die sie nicht interessierten. Von Tectaria, von irgendwelchen Raubzügen, Verhandlungen und Abenteuern. Einmal fiel der Name Sicarion. Von ihm hatte sie gehört. Er hatte Hohenfels erobert, aber Baelon, Theornon, Hlifa und einer großen Streitmacht war es gelungen, die Feste zurückzuerobern. Sie stellte sich vor, was passieren würde, wenn Dakhil die Burg angreifen würde. Keine Streitmacht wäre auf ihn wirklich vorbereitet. Auch fragte sie sich, ob sie es Hlifa hätte sagen müssen. Aber man hatte ihr erklärt, dass sie hier in Sicherheit wäre. Also hatte Dakhil auch keinen Grund, Hohenfels anzugreifen.
Schon verfluchte sie sich für ihre Gedanken, die ohnehin zu nichts führten. Einerseits fürchtete sie Dakhil, andererseits liebte sie ihn. Und dann war da auch noch Velas. Was hatte sie nur angerichtet? Wegen ihr war er nach Blyrtindur gegangen. Er glaubte immer noch, dass sie sein Kind erwartete. Außerdem hatte sie ihm die Traumlesekunst gestohlen. Alles aus Furcht. Ihr Herz war geteilt und weinte.
Immer wieder sah sie die Falken, die Tilhold umkreisten. Manchmal wünschte sie sich, er würde sie endlich finden und es wäre vorüber. Dann wieder verbarg sie sich ganz schnell, besonders wenn die Wachen ihr sagten, dass sie gefälligst vorsichtiger sein solle. Am liebsten wäre sie auf das Feld gelaufen und hätte dem letzten Falken zugerufen. Sie wusste, er würde sie hören. Was hatte sie nur Velas angetan und dann auch noch ihm? Es gab dann noch ihren Mann, der wahrscheinlich noch in Midgard war. Von allen war er der letzte, den sie sehen wollte. Die mit dem geteilten Herzen wusste nicht mehr ein und aus. Vielleicht wäre es für das Kind das beste, es würde nie geboren werden. An ein Messer kam man hier leicht. Ein schneller Schnitt, in der Dunkelheit, und jede Hilfe würde zu spät kommen.
"Liras, hilf mir doch", schluchzte sie leise. Aber da war nur Leban, der in der kalten Nacht wie ein spöttelndes Lächeln zu ihr schaute. Und er befahl ihr, die Klinge in die Hand zu nehmen und ihr Leben zu beenden. Es hörte sich lieblich an, wie ein Geschenk. Der kalte Stahl lag auf ihren Adern und fast fühlte sie, wie sich die Haut mit dem Eisen vereinte. "Das wirst du nicht tun", sagte eine innere Stimme. Es war Velas. "Tu es nicht."


Der Graulord

Gerade entließ er einige Krieger, da kroch etwas in die Halle, die zu verlassen er vor langer Zeit kaum noch in der Lage gewesen war. "Sie ist verwandelt", sagte der Page. "Gut. Bringt sie in mein Gemach. Ich werde mich später um sie kümmern." Er schickte den Pagen fort und betrachtete das, was in die Halle eingedrungen war.
"Ich erkenne dich", sagte der Graulord.
Eine Stimme antwortete. "Dann weißt du auch, dass du mir nichts antun kannst."
"Was möchtest du? Hast du dich umentschieden?"
"Das nicht. Aber ich bin neugierig geworden. Wie kannst du einem Gott dienen, der alles verneint, was geschaffen wird? Müsste er nicht auch dich verneinen?", fragte die Stimme.
"Und doch hat man uns geschaffen. Hat sie uns geschaffen. Hat er uns geschaffen. Nur eines haben wir nicht."
"Oh, ich weiß", lachte die Stimme, "und ich amüsiere mich darüber."
"Dann lache über uns und unsere Not, aber verschwinde", antwortete der Graulord.
"Ich biete dir etwas an."
"Und was kannst du mir bieten? Das, was wir suchen, eine Seele, kannst du mir nicht geben."
Die Stimme flüsterte nun. "Bist du dir sicher?"
"Erkläre es mir."
Als die Quelle der Stimme wieder verschwunden war, befahl der Graulord Szynric und Sylthir zu sich. "Wie steht es an der Küste? Und haben wir es gefunden?"
"Das Ecaloscop des Panthers ist unauffindbar. Was sollen wir jetzt tun?", fragte Sylthir.
"Ruft Saban."


Der mit dem gebrochenen Herzen

Er sah dem Reichsritter nach, der sich ihm vorgestellt hatte. Nun, offenbar vertraute man ihm in Bretonia nicht. Ein Wunder war es nicht, und es war schon überraschend gewesen, dass man nicht gleich nach seiner Wahl zum Kommandanten jemanden geschickt hatte, wie Bephemos eines Abends am Lagerfeuer angemerkt hatte. Oder sollte dieser Mann der sein, den sein Bruder schickte, ihm das Leben zu nehmen? "Ich möchte wissen, was er so tut, solange er hier ist. Gebt ihm Zugang zu allem, was sein Rang erlaubt. Aber wie ich sagte, ich muss wissen, was er treibt", sagte der mit dem gebrochenen Herzen zu Bephemos, der den Befehl stumm annahm.
Die Hüter schienen ihn zu respektieren. Das was sie ihm über das Traumlesen offenbart hatten, dass ihm die Gabe gestohlen worden war, das war für ihn ein Vertrauensbeweis gewesen. Sie hätten auch schweigen können. Um Vertrauen war es in bretonischen Gefilden nich sehr gut bestellt. Er fragte sich, wie es seinem Bruder gelungen war, ihn dessen zu berauben. Vielleicht Tysandra, während er und sie das Lager geteilt hatten? Es war kaum vorstellbar. Sie erwartete ein Kind von ihm. Sie liebten einander.
"Du bist es, den ich wirklich liebe", hatte sie gesagt.
"Und spielst es meinem Bruder vor."
"Ich habe doch keine Wahl. Er würde dich und mich umbringen, wenn er es erfahren würde. Das weißt du", sagte sie.
"Ja, ich weiß."
Dann senkte sie den Kopf und schluchzte leise. "Da ist noch etwas. Ich erwarte ein Kind."
Ein Kind. Es machte alles noch schwerer. Wie sollte er je ein Vater sein, wenn er die Mutter seines Sohnes oder seiner Tochter nur im Verborgenen sehen durfte?
"Dann muss ich wirklich fortgehen, wie ich es dir schon einmal gesagt habe, meine Liebste. Wenn er erfährt, dass du ein Kind erwartest... ihr habt das Bett schon lang nicht mehr geteilt. Zu lange."
"Nein, warte, ich..."
Er wollte in jener Nacht nichts mehr hören. Sein Herz brach und blutete schwere Wunden in seine Seele, als er das schon gepackte Bündel nahm und sie zurücklassen musste. Was sie ihm noch sagen wollte, hörte er nicht mehr. "Wir sehen uns nicht wieder."
So kam er auf die Insel, diente unter Aran und Argus, bis man ihn zum neuen Kommandanten erwählt hatte. Ihm war klar, dass er sie niemals mehr sehen durfte, zu ihrer Sicherheit. Sie könnte immer noch das Kind als das eines einfachen Mannes ausgeben und zur Abtei bringen. Es wäre eine Möglichkeit. Aber er wäre nie ein echter Vater.
"Kommandant, es gab einen Zwischenfall, oben, bei der Statue. Die Wesen haben angegriffen. Es ist zum Glück niemand zu Schaden gekommen. Wir brauchen aber einen Magier da oben, der alles untersucht."
"Schickt einen hinauf, ich bin gleich da."
Er nahm sein Schwert und übergab Bephemos solange die Aufsicht. Dann zögerte er einen Moment. Der mit dem gebrochenen Herzen fühlte etwas. Eine Art Präsenz. Nicht sichtbar, aber ganz nah. Es war, als wollte sie eindringen, aber dann verschwand sie ganz schnell. So seltsam und heimlich, wie sie gekommen war.
Zu späterer Stunde spürte er so etwas noch einmal, aber es war anders. Da war es voller Wärme. "Das wirst du nicht tun. Tu es nicht", sagte er im Schlaf und wachte davon auf. Er erinnerte sich an den Mond und an ein kaltes Messer. Dann hatte er ein Gesicht gesehen.


Die schwarze Katze

Sie durchstreifte das Moor, auf der Suche nach Beute. Die Brücke zur Burg wollte sie meiden, so wie es ihr neuer Gefährte befohlen hatte. "Er hat Glück, dass ich auf ihn höre. Er wäre eine gute Mahlzeit, ein saftiger Happen", dachte die schwarze Katze, während sie die Weiher ebenso mied und durch den Nachtregen schlich. Dort sah sie eine Moorechse, hier roch sie einen Dachs. Aber es war ihr alles nicht genug. Ein fettes Moorschwein wich ihr aus und lief schnell ins Dickicht. Ein Wesen des Faulwassers erkannte sie, verwandelte sich und verfolgte sie, aber die schwarze Katze war geübt und sehr schnell. Sie interessierte sich für den Zweibeiner, den sie gewittert hatte, in der Nähe des Blauen Turmes.
"Du darfst jagen, was du willst. Aber gehe nicht nach Witrin und halte dich am Turm bedeckt", hatte er sie gewarnt. "Ich höre auf dich, weil das, was du mir gezeigt hast, die Wahrheit ist. Aber wehe dir, wenn du mich betrügst. Das hat mein Ehemann schon getan, und sein Leben verschonte ich für dich", war ihre Antwort gewesen.
In der Tat war sie kurz davor gewesen, ihren Ehemann zu töten. Ihre Eifersucht auf die andere Frau war groß. Am liebsten würde sie ihr das Ungeborene einfach herausfressen. Er aber musste in diesem Moment genügen. "Nicht!", rief der, der ihr neuer Gefährte war.
"Warum nicht? Er hat den Tod verdient."
"Das mag sein. Aber er kann die Kuppel über Samariq vernichten. Du willst doch deine Kinder sehen, oder?"
So sehr vermisste die schwarze Katze ihren Wurf nicht. Aber Samariq war ihre Heimat. "Vielleicht. Aber biete mir etwas mehr, dass ich Gnade walten lasse."
"Komm mit mir und ich zeige es dir. Aber lass ihn gehen."
Es fiel ihr schwer, aber sie entließ ihren Ehemann aus ihren Klauen. Sie folgte dem, der ihr neuer Gefährte geworden war in eine Kammer.
"Dies ist mein Tempel. Mit ihm kann ich in wenigen Augenblicken Blyrtindur erreichen. Wenn du dich fügst, unter meinen Befehl, dann wirst auch du es können."
"Was sollte ich dort wollen?"
"Wahrheit. Wahrheit wartet auf jeden von uns dort. Und nicht nur da. Was weißt du über das Große Geheimnis, süßes Kätzchen?"
"Nenne mich nicht so", fauchte sie.
"Was weißt du darüber, mh?"
Sie wusste nichts davon, und das sagte sie ihm auch. Er erklärte ihr die Bedeutung der Zahlen und was sie vermochten. Von Liedern erzählte er und wo man sie vielleicht finden würde. "Darum muss diese Kuppel weg. Ich verspreche dir, die Frau ist dein, wenn du tust, was ich dir sage." "Ich bin einverstanden", flüsterte sie.
"Dann zeige ich dir nun, was ich gefunden habe. Was ich bekommen habe."
Die schwarze Katze erinnerte sich noch gut an das Gefühl, das sie fast überwältigt hatte, nachdem sie seinen Schatz gesehen hatte. Wie sie dem Tirinaither die Kehle durchbiss und sein Blut trank, da spürte sie erneut dieses Gefühl. Erhabenheit. Größe. Erkenntnis.


Der Bucklige

Der Bucklige hielt eine kleine Phiole in der Hand. Mit etwas Kohle hatte er sieben kleine Striche daran angebracht. Mutter hatte ihm genau beigebracht, was zu tun war. Als er gerade geboren war, so hatte er es gehört, hatte Tepok ihn verstecken lassen. Ein Oger mit einem Buckel, dazu seltsamen Augen und einer merkwürdigen Art zu sprechen, wäre wohl nie von den anderen akzeptiert worden. Die Frau, die ihn geboren hatte, war von einem der Wache mit Gewalt genommen worden. Sie hatte kein Interesse an ihrem Sohn. Und es war wohl nur Tepoks Laune, die ihn am Leben gelassen hatte. Dieser hatte befohlen, dass seine Beraterin sich um ihn zu kümmern hatte. Dies hatte sie mehr schlecht als recht getan. Weinte er, schlug man ihn. Wenn er bei den Versammlungen oder den Waffenübungen sich weigerte, zu sprechen oder zu kämpfen, peitschte man ihn. Tepok hatte alle gewähren lassen, aber ihnen verboten, die Missgestalt zu töten - als hätte er etwas Besonderes mit ihm vor. Irgendwann hatte der Junge genug. Es war ein Tag wie jeder andere, aber Zorn und Verzweiflung hatten ihn vollständig gepackt. Im Zweikampf erschlug er seinen Gegner mit nackter Faust, riss ihm den Kopf von den Schultern und machte sich eine Keule daraus. "Wer will als nächstes?", fragte der Bucklige. "Na endlich", grollte es vom Thron her. "Du kannst es ja doch." "Ich spucke auf dich, Tepok!"
Heute wusste der Bucklige, dass er an diesem Tag endlich sterben wollte. Aber Mutter Erde hatte wohl etwas anderes mit ihm vor. Denn Tepok schnitt ihm nur ein Ohr ab und bannte ihn dann aus dem Land der Oger. Er war lang durch die Welt gewandert, bis er tief in den Bergen eine Höhle fand. Der Bucklige hatte eine Fackel entzündet und bemerkte, wie sein Schatten an der Wand zu leben begann, sich ihm näherte und in seinen Leib schlüpfte. Von Angst erfüllt wollte er die Höhle verlassen, aber ein Beben ließ den Eingang einstürzen. "Mutter Erde, wieso hast du mich nun doch verlassen?", fragte er den Boden und die Steine. "Du bist ein Noncorpus und du bist mein Sohn", sagte Mutter. "Was?"
So hatte der Bucklige gelernt, wie lang er schon auf der Welt gelebt hatte, in anderen Körpern, anderen Landen, und was er alles gesehen hatte. Die Kunst des Traumlesens stieg wieder in seine Erinnerungen. "Jeder Traumleser kann das große Geheimnis lesen, wenn er bereit ist", hatte sie am Ende aller Übungen gesagt.
Und genau das wollte er nun tun. Der Bucklige kletterte aus der Erde, betrachtete das Dorf mit dem Wachturm, schlich an den kleinen Menschen heran und schlug ihn nieder. Das Traumwasser war eingeflößt, und der Bucklige bettete den Mann in der alten Taverne. "Zeige es mir und erkenne es selbst", flüsterte der Bucklige. Dann wartete er, bis sich eine Tür öffnete.


Der Lord von Wein und Met

"Mylord? Mylord, wacht auf!", knurrte Allyens Stimme. Der Lord von Wein und Met schaute auf. Zuerst sah er nur Umrisse, die sich langsam wieder zu einem etwas klarer werdenden Bild formten. Sein Kopf dröhnte, und die Stimme des Ritters hörte sich wahrscheinlich lauter und dumpfer an als sie wirklich war. "Sir Allyen. Wie spät ist es?"
"Es ist gleich Mittag, und Ihr habt das Treffen mit der Königin versäumt, Mylord. Das ist das zweite Mal in dieser Woche."
"Verdammt." Der Lord von Wein und Met lag inmitten einer Lache aus Schnaps und Bier, es roch außerdem stark nach Rotwein, und sein Wams war verklebt mit Met. "Was ist denn hier passiert?", fragte er den Ritter.
"Ihr seid hier passiert, Kanzler. Eure Nächte werden zu lang und die Tage immer kürzer. Ihr seid wie der Winter, nur weniger kalt", sagte Allyen, gab ihm eine Hand und zog ihn auf einen Stuhl.
"Mir ist ganz übel."
"Kein Wunder. Mir ist klar, dass dieser Pakt und auch die Zonen beschäftigen. Das Reich kommt nicht zur Ruhe und Euch steht die Arbeit weit bis in den Kopf. Aber eben leider auch der Alkohol. Das muss aufhören. Wascht Euch, geht zur Königin und entschuldigt Euch", befahl Allyen regelrecht.
"Was wurde ohne mich besprochen? Ich will nicht unvorbereitet erscheinen, Allyen."
"Was schon? Die aktuellen Berichte von den Grenzbereichen. Ein Esel hatte sich in die Eisenwallzone verirrt, und ein kleines Mädchen folgte ihm. Zu unserem Glück sind kleine Mädchen für gewöhnlich nicht bewaffnet und gelten auch nicht als kriegerischer Akt, wenn sie sich verirren."
"Die Wesen haben nichts getan?"
"Nein, sie haben den Esel eingefangen, das Mädchen gehörig erschreckt und es dann zur Grenze gebracht, wo zwei unserer Soldaten warteten."
Der Lord von Wein und Met nickte langsam. "Dann scheint der Pakt seine Wirkung zu zeigen. Gut. Was noch?"
"Noch zeigt er sie, ja. Es bleibt die Frage offen, warum sie überhaupt darauf eingegangen sind. Wir forschen da noch nach. Desweiteren ist uns nicht entgangen, dass ein Reiter dieses Khagans - Dakhil Al Khan - bei Hohenfels gesichtet worden ist. Ich habe umgehend eine Nachricht an Sir Roymar und Theornon schicken lassen, mit der Frage, ob es Neues gibt. Bisher keine Antwort, aber ich behalte das im Auge."
"Sie werden wissen, was sie tun. Was ist mit Ascanio?"
"Da gibt es leider nicht viel zu sagen. Alle Proben jedenfalls zeigen keine Ergebnisse."
Als der Lord von Wein und Met einen Krug greifen und mit etwas abgestandenem Bier füllen wollte, da schlug Allyen diesen aus seiner Hand und packte seinen Kragen. "Ich habe gesagt, wasch dich, Junge! Willst du so Theresia gegenübertreten? Mach dich nicht zur dritten Schande des Hauses Glan."
Für einen Augenblick wusste er keine Antwort darauf. So hatte er Allyen noch nicht erlebt. "Was wird das? Sammelt Euch, Sir. Ihr sprecht mit dem Kanzler", sprach der Lord von Wein und Met. Er bemerkte jedoch selbst, dass es eher sein Benehmen war, das unpassend zu sein schien und nicht die Worte Allyens. Vielleicht hatte er nur so geantwortet, um sich zu verteidigen. Dabei waren Allyens Truppen schon weiter als in seinem Vorgarten. "Hör sich das einer an! Spielt den Kanzler nicht nur, seid es, verdammt nochmal."
Dann packte Allyen sich den Lord von Wein und Met, rief den Kammerdiener und befahl, einen Zuber mit kaltem Wasser zu füllen. "Nein!", rief der Lord, aber Allyen kannte keine Gnade. "Aufwachen, Junge! Willst du, dass Alysare dich so sieht?"
Nein, das wollte er nicht. Theresia würde ihn disziplinieren, aber Alysare würde es überhaupt nicht verstehen. Er wusch sich mit kaltem Wasser, ließ sich ein Tuch bringen, sowie frische Kleidung. "Ich glaube, ich habe diese Worte gebraucht, Allyen. Es tut mir leid."
Der Ritter nickte und ließ den Kanzler dann von den Bretonianern zur Königin eskortieren. Der Lord von Wein und Met wusste immer noch nicht, was er am selben Tage erfahren würde. Dass Allyen - und nicht der Lord des Hauses Glan - sein Vater war.


Der Scharlachrote Lord

"Was willst du hier, Bretone?", fragte der Nordmann.
"Ich komme aus der Ostfold hierher", antwortete der Scharlachrote Lord und stellte sich vor. Der Nordmann nannte ebenso seinen Namen. "Ich frage noch einmal, was willst du hier? Ich kenne dich nicht, und mein Hetman kennt dich sicher auch nicht."
"Ich suche lediglich Obdach. In meiner Heimat verfolgt man mich als Verräter. Ich hatte zuerst mit dem Gedanken gespielt, mich an Skjöldbur zu wenden, aber ich habe meine Zweifel. Sie sind nicht gut auf mich zu sprechen", sagte der Scharlachrote Lord.
"Und da erwartest du, dass die Markomannen der Vestfold dich besser behandeln? Man wird seine Gründe in Skjöldbur haben. Aber ich biete dir an, mit meinem Hetman zu sprechen, wenn du und deine Zinnsoldaten ihre Waffen ablegen. Ansonsten verpisst ihr euch und sucht euer Glück anderswo. Es gibt andere größere Probleme als einen bretonischen Hosenscheißer, der vor seinen eigenen Herren wegrennt."
Der Scharlachrote Lord befahl seinen Männern, die Waffen abzulegen und auf dem Schiff zu warten. "Dann bring mich zu ihm."
Etwas später stand er einem riesigen Nordmann gegenüber, der sich als Sven Björnbard vorgestellt hatte. "Warum sucht man dich in deiner Heimat, Lord Rotrobe?"
"Ich habe versucht, dem Land auf meine Weise zu helfen, aber meine Versuche wurden als Verrat gedeutet. Kennt Ihr einen Mann namens Dakhil Al Khan?"
"Nein, sollte ich?", fragte Björnbard.
"Vielleicht. Er könnte hier sein. Oder sein Eheweib, eine besonders gefährliche Person. Über sie habe ich versucht, einen anderen Mann, Zhaerius von Maegranth, zu entlarven. Ich nehme an, dass es seine Schuld ist, dass meine Ehefrau verschwunden ist." Der Scharlachrote Lord erzählte ihm von Velas und allem, was geschehen war.
"Ist doch nicht meine Schuld, wenn ihr alle eure Schwänze nicht lassen könnt, wo sie hingehören."
"Nun, das nicht. Was aber, wenn ich dir sage, dass es eine Möglichkeit gibt, die Wesen aus dem Malstrom zu töten und die Seuche zu beenden? Es hat mit alledem zu tun, möchtest du es hören?" Der Nordmann war neugierig geworden und hörte sich alles an. Sie sprachen bis zum Nachmittag. "Vielleicht sollten wir mit den Skjöldburern darüber sprechen, Lord Rotrobe."
"Ich rate davon ab. Ich weiß nicht, ob Nour sie noch beobachtet oder ob sie das Land verlassen hat."
"Das ist mir ganz egal. Ich..."
Weiter kam Björnbard nicht, als seine Wachen Alarm schlugen und er nach draußen lief. Der Scharlachrote Lord folgte seinem Gastgeber. Aus dem Fluss hatten sich die Wesen erhoben und es stürmte. Man konnte den gewöhnlichen Regen nicht mehr vom Faulwasser unterscheiden, und blitzschnell veränderten sich die Krieger, ob gefallen oder noch lebendig, in die Wesen, die nun die ehemaligen Kameraden angriffen und verwandelten. "Sören, bring die Frauen und Kinder zur anderen Seite, zu den Gepiden. Sie sollen den Rückzug in den Wald decken! Du, Rotrobe, bewaffne deine Männer und helfe ihnen. Wir treffen uns im Lager vom Wal", befahl Björnbard.
Der Scharlachrote Lord lief schnell über die Brücke, gab den Befehl an seine Männer weiter. "Beschützt seine Leute. Ihr vier kommt mit mir, wir müssen zurück und dem Hetman beistehen!"
Aber es war zu spät. Die Wesen hatten die Vestfold schon nach einer Stunde überrannt. "Hetman, wir müssen hier weg." "Nein! Meine Söhne, meine Tochter!" "Wir müssen gehen, Sven!", rief der Scharlachrote Lord und wollte den Hünen auf das Schiff zerren. "Er hat Recht", sagte Sören, bevor er sich verwandelte und plötzlich seinen eigenen Hetman attackierte. Der Scharlachrote Lord hielt sein Schwert dazwischen und stieß Björnbard mit aller Kraft an Deck des Schiffes. "Los!" Sie fuhren den Fluss hinab, bis sie die See erreichten.
"Wohin fahren wir?", fragte Björnbard leise.
"Skjöldbur. Ein anderes Ziel weiß ich jetzt nicht."
Ausgerechnet dorthin. Nach seinem nicht sehr unterhaltsamen Gespräch mit Nour wollte er es eigentlich vermeiden, diesen Leuten zu begegnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn ausliefern oder sofort töten würden, war wohl nicht gering. Andererseits: War nicht Theralia dort? Wenn sie die Ostfold verlassen hatte, aber kein Schiff nach Bretonia genommen hatte, dann musste sie dort sein, wo sonst? Sie würde wenigstens seine Geschichte bestätigen können, da gab es keine Zweifel. Und wenn er erst die Numerus Mysticus erwähnte, dann hätte zumindest sie keine andere Wahl als ihn für nützlich zu halten.
Er hatte die Zahl gesehen, als er sich in einen Traum geschlichen hatte: Leider konnte er nicht sehen, was hinter der Tür lag, die der Träumer geöffnet hatte. Denn der Scharlachrote Lord bemerkte plötzlich, dass ein zweiter Traumleser im gleichen Traum war. Ein großer buckliger Mann, ein Oger. Viel mächtiger in der Traumlesekunst als er selbst war.


Der Hirte des Mysteriums

Er hatte alle Zahlen notiert und machte sich wieder an den Abstieg. Der Golem hatte ihm gesagt, dass die Zahlen der Schlüssel zur unendlichen Weisheit der Himmel wären. Zuerst hatte der Hirte nicht verstanden. "Die Weisheit der Himmel? Ist sie nicht allein den Göttern vorbehalten?", hatte er den Golem gefragt. "Dies war auch Alysares Frage gewesen. Und die Hüter vor ihr haben ebenso reagiert. Ich sage dir, was ich ihr und den anderen gesagt habe: Die Weisheit des Himmels ist nicht die Macht der Götter, sondern eure Fähigkeit, hinter das Geheimnis zu schauen, Hüter."
Da hatte er eine Ahung bekommen. Damals, vor so vielen Jahren, in der Abtei, hatte Abt Aldwyn nach dem ersten Jahr der Höheren Schreibschule die Lehre von den Zahlen unterrichtet. Die Eins stand zum Beispiel für die Schöpfung, da alles aus ihr hervorging. Die Zwei hatte eine Bedeutung und auch alle folgenden Zahlen. Und die Zehn, wie auch die Zwölf, sie waren göttlich. Liras und Leban und die Engel spielten auf der zehnsaitigen Harfe die Sphärenmusik. Man nannte viele Spielleute darum auch Sphärenmusiker oder Sphärenmagier. Der Hirte erinnerte sich, wie er und sein Bruder dieses Wissen förmlich aufgesaugt hatten, nachdem Aldwyn über die verschiedenen Sphären gesprochen hatte. Die siebte Sphäre war das Große Mysterium, und wer hineinsehen konnte, der erkannte das Geheimnis hinter allem, bestehend aus einem einzelnen Wort. Das Wort, mit dem die Schöpferkraft des Makrokosmos überhaupt begonnen hatte.
"Ist es hier?", hatte er den Golem dann gefragt.
"Nein, aber der Weg beginnt hier. Es darf niemals in die falschen Hände geraten, das Wort." So hatte der Golem ihn zum Wachturm geschickt. Dort hatte er diese Zahlen gefunden. "3x4. 1+2+3. 7. 11-1", murmelte der Hirte und kletterte die morsche Leiter herunter. Er bemerkte zu spät, wie er mit einem Fuß durch eine Sprosse brach. Dann stolperte er und fiel auf den kalten harten Boden.
Wie ein Vogel erhob er sich aus dem Wald, sah die Toten, darunter Hrafna und Erika, nur noch aus der Ferne. Erst dann erkannte er, dass er wirklich ein Vogel war. Der Adler flog immer höher und höher, bis seine Schwingen erkalteten und von ihm fielen. Als Stern gelangte er zwischen die Lichter der Götter, bis ihn die Nebel des Mathricodons umhüllten und er keinen Leib mehr hatte. Dann sah er die vielen Seelen, die auf den Einlass in die Reiche der Götter warteten, die er mühelos durchquerte. Die Feuer dahinter verbrannten ihn nicht. Er sah Roan von Carmon und Sicarion Grauwind, die immer wieder zu Asche zerfielen und nach Acht mal Acht Stunden neu erwachten, damit sie wieder in Flammen aufgehen konnten, bewacht vom Feuervogel. Hinter dieser Sphäre lag eine Tür, auf der eine Zahl stand. Er versuchte, sie zu öffnen. Doch als sie offenstand, da erwachte der Hirte aus seinem Traum.
Es roch nach faulem Wasser, und im nächsten Moment erblickte er die Malstromwesen, die ihn umringten.


Der Gott des Faulwassers

Der Herr über das Faulwasser verließ die schwarze Wolke und schaute wieder in die Sterne. Die zweite Sphäre erwiderte den Blick. Obwohl er nun Herr über Leben und Tod geworden war, leuchtete keiner der Sterne für ihn. Er sah das Licht Amurs, die Lichter von Leban und Liras, das Licht der Elfenmutter und all die anderen, die nordischen, die keltischen und alle, die ihnen folgten. Kein einziges Licht brannte für ihn. Obwohl all seine Kinder in jedem Gebet seinen Namen riefen, gab es keinen Stern für den Gott des Faulwassers. Welche Bedeutung dies hatte und ob der Kreis der Götter ihn damit ausschließen wollte, vermochte er nicht zu erkennen. Oder lag es daran, dass er der einzige Gott, neben der Flamme, war, der auf Erden wandelte? Dieses Geheimnis wollte er ergründen, doch konnte er die Insel des Himmelseisens nicht verlassen. Man hatte ihn hier gebunden, zusammen mit der Wolke. Und nichts gäbe es, was ihn retten könnte.
Er war ein Gott und gleichsam ein Gefangener. Alles was er je wollte, war, geliebt zu werden. Er hatte es erreicht: Die Wesen aus dem Malstrom liebten ihn. Doch bei aller Mühe, die er sich bei seiner eigenen Schöpfung gegeben hatte, fehlte ihnen das, was man wirklich brauchte, um tatsächlich lieben zu können: eine Seele. So viele tausend Seelen hatte die Wolke verschlungen, aber keine einzige war für die neue Schöpfung geblieben.
Er rief sie, aber sie hörten ihn nicht. Die Rufe seiner Kinder aber konnte er selbst hören. Wie verzweifelt mussten sie nun sein, schutzlos in dieser finsteren Welt, die es gewagt hatte, ihn einzusperren? Seine Trauer und sein Zorn waren groß, und er schrie in den Himmel. Die, die nun seine Brüder und Schwestern sein müssten, erhörten ihn nicht. Die Sterne blickten auf ihn herab. Sie verspotteten ihn. Dann hörte der Gott des Faulwassers die Stimme eines Tirinaithers, wie sie laut Formeln aussprach. "Helft mir, rettet mich! Ich bin ein Gott, und ich kann euch alles geben!", rief er. Aber auch die Sterblichen erhörten ihn nicht, ihn, den gefangenen Gott.
Am Morgen, das Schiff, auf dem der Zauberer war, es war schon lang wieder fort, hörte er ein Geräusch ganz in der Nähe. Er lief zum Ufer und achtete darauf, das Wasser nicht zu berühren. Vor einigen Tagen hatte versucht, durch das Wasser bis zur magischen Grenze zu schwimmen, aber er war nur einen Schritt weit gekommen. Das Wasser brannte wie Feuer und lähmte ihn. Die Wolke hatte ihn gerettet.
"Ist dort jemand?", fragte der Gott des Faulwassers.
Im Zwielicht des Morgengrauens sah er nur die Umrisse einer Gestalt. "Wer bis du? Bist du es, Erec?", fragte er. Er wünschte es sich sehr.
"Nein. Ich bin nur hier, um zu sehen, ob es stimmt."
"Wer bist du?"
"Mein Name ist Dakhil. Ich bin nicht wirklich hier. Aber ich musste es sehen."
Der Gott des Faulwassers kannte diesen Namen. "Dakhil. Ich bitte dich, befreie mich. Ich kann dir helfen. Samariq ist gefangen unter dem Kreis, nicht wahr? Es gibt einen Weg, ihn zu durchbrechen."
"Ich gestehe, ich war versucht, wirklich zu dir zu kommen, damit du mir helfen kannst. Nun aber sehe ich, wie erbärmlich du bist. Du nennst dich einen Gott, aber stehst weinend vor mir, weil du dich nicht befreien kannst?"
"Wenn ich dir sage, was du übersiehst, wirst du mir dann helfen? Kannst du es mir versprechen?", fragte der verzweifelte Gott.
"Nein."
Und da war Dakhils Bild auch schon wieder verschwunden. Der Gott des Faulwassers weinte und krächzte, dann spuckte er sein irres Gelächter aus, bis die Tentakel ihn wieder packten und tief zu den anderen Seelen einsperrten. Eine davon gab ihm ein warmes Fell, entzündete eine Kerze in der Dunkelheit und sang ihm ein leises Lied. "Was ist das für ein Lied?", fragte der Gott des Faulwassers.
"Ich habe es vor langer Zeit gehört. Es ist ein keltisches Lied, um deren Götter zu erfreuen. Ich glaube, ich habe es von Malcoyn gehört", sagte der Fremde.
"Wer bist du?"
"Ich bin Roan."


Der Untote

Er hatte geduldig auf Hlifa gewartet: Die Zeit nutzte der Untote, um seine spähenden Totenaugen immer wieder nach Witrin zu entsenden. Mit den Augen Lebans konnte er auch in das Innere der Burg seiner Familie schauen. Er sah seinen Sohn Saban, wie er gemeinsam mit einem anderen Malstromwesen in die Keller lief. Sie durchwühlten einige Pergamente, bis sie etwas fanden. Der Untote traute den Augen Lebans nicht, denn in der Vergangenheit war ihm nie aufgefallen, dass Saban ihm je in diese Kammer gefolgt wäre - doch er kannte alle Handgriffe und Zeichen, und nun hatte er das gefunden, was der Untote immer so wohl behütet hatte.
Der Untote hatte sich dagegen entschieden, irgendwem aus dem Reich davon zu erzählen. Auch als Hlifa zu ihm gekommen war, hatte er geschwiegen: Die Nordfrau bat ihn, von einem Angriff gegen Burg Witrin abzusehen. Man wäre auf der Suche nach einem Mittel gegen die Seuche, die von den Malstromwesen übertragen wurde; Tote erhoben sich zu ihnen und Lebende wurden auch verwandelt.
Der Untote hatte ihren Worten zwar Glauben geschenkt, doch wieso sollte er auf die leeren Worte Baelons hören? Das Reich hatte nichts übrig für ihn, und liebend gern würde man ihn vernichten, wenn man es nur könnte. Aber sie vermochten es nicht, und darum bettelte Hlifa, wie sie es immer tat. Sie würde es so nicht nennen, aber letztlich war es ein Flehen, so wie Baelon die Wesen angefleht hatte, den Vorschlag eines Paktes anzunehmen. Dass Saban ihm angeboten hatte, sie anzuführen, hatte der Untote Hlifa auch erzählt. Und wie er abgelehnt hatte.
"Vater, ich biete dir an: Führe diese deine neue Armee. Du kannst dann alles erreichen. Niemand wäre dir noch gewachsen. Das Reich, das Land, es wäre alles dein", hatte Saban gesagt. Seine Worte waren im Kopf des Untoten, sprechen konnte er noch immer nicht.
"Dein Angebot ist verlockend. Doch denke ich, es kommt nicht aus der Liebe eines Sohnes zu seinem Vater. Was wollt ihr?"
"Wir suchen drei Dinge, und eines nenne ich dir. Wir suchen Seelen", antwortete Saban.
"Und die anderen zwei Dinge?"
"Zu gegebener Zeit."
"Dann muss ich ablehnen. Ich nehme erstens keine Geschenke an, und zweitens erst recht nicht, wenn ich mich auf etwas Unbekanntes einlassen muss. Nehmt diese Burg, aber betet zu Leban, dass er mir seinen Bruder sendet, um mich zu erweichen, bevor ich mit euch fertig bin!"
"Wir beten nicht zu Leban, denn Hrabanus ist nun unser Herr und Meister."
"Dann verschwindet erst recht!", hatte der Untote gegrollt.
Und nun war er hier. Hohenfels. Hlifa war auf seine Bedingungen eingegangen. Julthos war hier, und der Untote rekrutierte einen Trupp. Nach und nach erhoben sich in der ersten Nacht seine neuen Krieger - zu gegebener Zeit würde er mit ihnen Witrin zurückholen. Aber nicht jetzt. Weder der Pakt Baelons mit den Wesen noch Hlifas Argumente hatten ihn überzeugt. Als Hlifa ihm von Arans Tod berichtet hatte, da sprach der Untote nach der alten Sitte seiner Väter eine Trauer über sich aus. Mit etwas Glück für das Reich würde sie lange genug anhalten. An ein Gegenmittel glaubte der Untote nämlich nicht. Es gab auch kein Mittel gegen Wolken, gegen den Zug der Vögel oder den Strömungen der Ozeane. Die Wesen, sie existierten. Geschaffen von ihrem neuen Gott. Und die göttliche Ordnung konnte niemand durchbrechen. Leban war damals der beste Beweis gewesen.
Noch in derselben Nacht verwandelte der Untote sich in die Nebelgestalt und erreichte nach kurzer Zeit die erste Grenze zur Eisenwallzone. Die Wesen bewachten jeden Schritt ihrer Grenzen, aber Nebel interessierte sie nicht. Der Nebel wanderte durch den Ort, an allen Wachen vorbei, durch die Fugen und Risse des Gesteins, dann sah er den neuen alten Lord Elyarn von Dryr.
"Ich erkenne dich", sagte er.


Der letzte Dybbuk

Das Ende der Zendavesta hatte er gespürt. Es war, als würden sich Ketten lösen, die ihn vorher gebunden hatten an Ziele, Pläne und Strategien. Die Ketten verschwanden augenblicklich. Seinen Meister, den alle Hrabanus genannt hatten, spürte er noch - aber er war nicht mehr sein Herr, seit die Finsternis sich seiner angenommen hatte. Ihn anzubeten wie einen Gott, so wie es die Wesen aus dem Strudel taten, das kam dem letzten Dybbuk auch nicht in den Sinn. Das erste Mal, seit er die Außenwelt jenseits aller äußeren Welten des Ringes verlassen hatte, spürte er ein Gefühl, welches er lang nicht gekannt hatte. Und das Wort, das es am besten beschrieb, lautete: Freiheit.
Der letzte Dybbuk trieb lang umher, denn mit dem neu gewonnenen Gefühl konnte er zunächst nichts anfangen. Er fühlte sich wie ein Kind, das in einen Weidenkorb gebettet worden war und den Fluss in eine unbestimmte Richtung bereisen musste. Die Strömung trieb das Kind an viele Ufer. Eines davon hieß Bretonia. Er sah, wie Baelon die Zelle Roglunds verließ. Einen Moment betrachtete das Kind den Mann, in dessen Geist und Körper einer seiner Brüder schaltete und waltete. Würde er ihn befreien, gemeinsam wären sie vermutlich stärker. Andererseits müsste das Kind teilen. Und zu teilen, das war wirklich ein Gedanke, der ihm nicht gefiel. So trieb das Kind weiter über den Fluss, gelenkt von den eigenen Gedanken, bis es ein neues Ufer fand - diesmal buchstäblich:
Am Strand einer Insel hätte der letzte Dybbuk sich einen Fischer nehmen können, aber er hätte wohl kaum Einfluss. In einem Lager sah er schließlich Argus. Wieder stand er vor der Entscheidung, seinem Bruder zu helfen oder die gewonnene Freiheit für sich allein zu nutzen. Also ließ er ihn schlafen. Außerdem wollte er die Aufmerksamkeit der alten Männer nicht auf sich lenken.
Er kam in eine Siedlung, nicht weit von dem Lager. Der letzte Dybbuk sah einen stattlichen Ritter, wie er sich bei dem Anführer der Siedlung, die sich Terra Brumalis nannte, vorstellte. Nachdem der Ritter seiner Wege ging, betrachtete der letzte Dybbuk eine Weile den Anführer, den sie Velas nannten. Er war verlockend. Doch etwas sperrte ihn aus. Das kannte er nicht. Es war, als würde sich Velas unbewusst gegen das Eintreten eines Geistes wehren können. Das war interessant. Er musste es im Auge behalten, aber vorher wollte er wissen, wie man diesen Ort nannte.
Irgendwann hörte er, wie die Menschen die Insel Blyrtindur nannten. Hier gab es eine Quelle, die Quelle des Lebens. Sie bedeutete Macht, aber sie wurde von den Hütern beschützt. Er wollte keinerlei Aufmerksamkeit erregen, weshalb er versucht war, eine der Wachen, Bephemos, zu nehmen. Der letzte Dybbuk hatte die Angewohnheit, die Gedanken eines Wirtes zu lesen, bevor er eine Entscheidung traf. Und die Gedanken dieses Mannes beunruhigten ihn: Er wusste von der Hand Armurs, von Erika und Theralia. Was, wenn auch er besondere Kräfte hätte, wie sein Anführer? Nein, zu riskant. Aber was hörte er da? Ein Lied? Zehn Lieder, die den keltischen Göttern gegeben worden waren? Jemand war auf der Suche danach. Der letzte Dybbuk erinnerte sich an Myrtocan und die anderen Schatten aus der Anderwelt. Hatten nicht auch einige von ihnen vor langer Zeit danach gesucht? Er hielt inne und forschte in seinen eigenen Gedanken, bis er sich erinnerte. Da war etwas mit den Liedern, etwas, das ihm bei dem helfen würde, was er und seine Brüder niemals hatten.
Wenn jemand auf dieser Insel danach suchte, dann waren es die Hüter. Aber er wollte nicht auffallen. Wie konnte er in ihrer Nähe bleiben, ohne dass sie Veränderungen am Verhalten ihrer Gefährten entdecken würden? Er brauchte besonderen Schutz. Durch die Gespräche der Siedler hatte er von einem Keller der Lebaner erfahren. Dort wäre sicher etwas zu finden, das ihm helfen würde, einen Schutz aufzubauen. Doch einen Lebaner hier im Ort zu nehmen, damit er die Keller betreten könnte, wäre zu riskant.
Er wanderte umher, bis er etwas spürte. Es führte ihn auf das Meer hinaus und weit darunter, bis er einen Leichnam fand. Kurz darauf betrat Aran, die Kapuze eines schwarzen Mantels weit über das Gesicht gezogen, die Gewölbe der Lebaner unter Terra Brumalis. Er schwieg, nickte den Wachen zu, gab sich nicht zu erkennen, ließ aber Teile seiner Aura lesen, um sich als Lebaner zu identifizieren, suchte die Bibliothek auf, fand, was er gesucht hatte und verschwand eilig. Den Körper ließ er in der Nähe des Ortes liegen.
Der letzte Dybbuk wanderte zurück in das Lager der Hüter, nahm einen Körper und lauschte allem, was besprochen wurde. Er erfuhr viel über die Macht der Zahlen und über die Lieder. "Dann lasse ich sie eben für mich suchen. Solange werde ich warten", dachte sich der letzte Dybbuk. Er wollte fast laut loslachen, aber das durfte er nicht. Er nahm sich etwas von dem Fleisch, das Rathros zubereitet hatte. Am Abend schlief er zufrieden ein. In seinen Träumen sah der letzte Dybbuk das elfte Lied und weinte vor Glück.


Der Betrogene und der Mann in Schwarz

"Wieso hast du mich gehenl assen?", fragte der Betrogene.
Der Mann in Schwarz lächelte. Wieder war es ein falsches Lächeln. "Du bist wichtig für deine Heimat. Man braucht dich dort. Letztlich, so kann man es sagen, benötige auch ich deine Hilfe."
"So? Das letzte Mal hast du mich betrogen, wie alle anderen mich betrogen haben um meine Aufgabe."
"Nun ist alles anders. Es hat sich erfüllt, alles, du weißt es nur noch nicht. Schau her, Khagan."
Der Mann in Schwarz hob eine Hand, und eine Lilie stieg aus kahlem Grund empor.
Alea iacta est.

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 09 Nov 2012, 19:19

ZWISCHENSPIEL V

- Vor sehr langer Zeit -


Zwei Weggefährten begegnen einem Edelmann

"Wenn wir nicht bald etwas zu Essen finden, dann war es das, oder?", fragte der eine.
Der andere antwortete leise. "Oder wir erfrieren vorher, wie es den Göttern gefällt."
Sie waren schon sehr lange gewandert und es gab weit und breit keine verlassene Herberge oder ein Soldatenlager, in dem wenigstens noch Essensreste zu finden wären. Ihre Füße schmerzten, und immer wenn sie einen weiteren Schritt taten, beteten wohl beide, dass hinter der nächsten Biegung oder nach dem nächsten Hügel endlich ein Ziel in Sicht wäre. Irgendeines. Was, das war ihnen schon ganz gleich geworden. Der jüngere von beiden hatte fast aufgegeben, und sein etwas älterer Bruder hätte ihn wohl getragen, wenn nicht seine Schultern so sehr schmerzen würden von dem schweren Rucksack, der sich bereits in das Fleisch zu fressen schien. Darin hatten sie ein paar nahezu wertlose Töpfe und Pfannen, die sie bei einem Händler in Peliad tauschen wollten. "Ich kann nicht mehr, Bruder." "Komm, Thyms Rast kann nicht mehr weit sein. Vielleicht finden wir dort etwas."
Als sie von der Kathedrale aufgebrochen waren, da hatten sich die Rauchschwaden schon verzogen. Dem Kampfeslärm waren die gierigen Rufe der Krähen gewichen, die alle Leichen - vom einfachen Soldaten bis zum tapferen Ritter, vom Feldkaplan bis zum Fledderer - zu einem Festschmaus zusammenriefen. Die beiden hatten sich während des Kampfes um Burg Witrin unter der Brücke versteckt. Sie waren sich gar nicht sicher gewesen, wer da gerade gegen wen gekämpft hatte. Aber wahrscheinlich irgendwer gegen die Torbrins und ihre Verbündeten. Sie hatten vernommen, dass Caldorvan von Torbrin nicht eher ruhen würde, bis er den jungen Prinzen Lerhon getötet hätte. "Sein Kopf soll hoch oben auf meiner Lanze thronen, für Leban!" Das, so hatte man es gesagt, hatte der Lord gerufen und überall verkünden lassen. Der Krieg war grausam, und am grausamsten war er für die Schwachen. Und es kam den beiden Brüdern so vor, als wären sie von allen am schwächsten.
Wieder eine Biegung. Und wieder kein Rastplatz. Aber dann hörten sie Gesang, schief und von der Wirkung von Wein geprägt, wie sie beide bemerkten. Ein junger Soldat, das Wappen erkannten sie nicht, trommelte auf ein paar Helmen, die er wohl den Gefallenen abgenommen hatte. Er sang, und seine Kameraden klatschten dazu. Die beiden Brüder wollten sich gerade verstecken, da wurden sie bemerkt, und schon nach wenigen Augenblicken waren sie von den Soldaten umstellt. "Na, was haben wir denn da? Was ist in dem Rucksack, mh?", fragte der Trommler.
Der ältere von beiden antwortete. "Nichts, was euch etwas angehen würde. Nur Tand, den wir brauchen. Wir wollen nur weiter, mehr wollen wir nicht."
Der Trommler lachte. "So? Weiter wollen sie, die kleinen Diebe." "Wir sind keine Diebe!", rief der jüngere Bruder.
Gerade als die Soldaten sie herumschubsten und einer schon einen Knüppel in der Hand hielt, da hielten sie alle inne. Ein Edelmann, wohl ein Ritter, kam auf seinem Schlachtross in das improvisierte Lager:
"Was bei den Göttern geht hier vor?", brummte er.
"Nichts, Mylord, nichts", gab der Trommler kleinlaut zurück, "hier sind nur ein paar Strauchdiebe, und wir bringen ihnen bei, dass man nicht stiehlt."
Der Edelmann stieg vom Pferd und drückte einem Soldaten die Zügel in die Hand. Dann stand er vor den beiden Brüdern. "Was ist in der Tasche?", fragte er freundlicher als seine Männer es getan hatten.
"Trödelkram. Tand. Pfannen und Töpfe, die wir für Essen tauschen wollen."
Der Mann blickte sie eine Weile an. Dann nickte er. "Ich gebe euch etwas Proviant für den Weg, euren Krempel behaltet. Ihr solltet vor der Dunkelheit Thyms Rast erreichen. Da wird es für die Nacht sicher sein."
So geschah es. Die beiden Brüder konnten sich für ihr Glück nicht oft genug bedanken, aber der Edelmann schickte sie weiter. "Eilt euch, es wird bald dunkel."
Erec und Hrabanus marschierten weiter. Der Höhle entgegen, die ihr weiteres Leben bestimmen würde. "Verzeiht, Lord Cleophos, wir wollten nicht unwürdig handeln", hörten sie den Trommler noch zu dem Edelmann sagen.

Die Eherne Elysia verlässt den Kurs

Das Schiff brach durch die turmhohen Wellen, und mit jedem Donnerschlag schien der Sturm seine Macht zu verdreifachen. Mehr als einmal glaubte der Kapitän, bald den Grund des Meeres zu sehen, wo die Nixen ihm schöne Lieder singen würden - wo er aber tot wäre und wenig davon hätte. Wie konnte der Präfekt nur so verrückt sein, die 'Eherne Elysia' zu dieser Jahreszeit in die Weiten der Welt zu entlassen! "Im Sommer gibt es Marjastika sicher immer noch", hatte Kapitän Arquinus gesagt, als der Gesandte der Kirche den Befehl und das Ziel bei der Versammlung der Patrizier und Adelsleute bekanntgegeben hatte. Es war ein Raunen durch die Anwesenden gegangen. Die Kirche durfte nur dreimal im Jahr an den Versammlungen des Kongresses der Weltlichen teilnehmen. Dies tat sie aber immer mit guter Vorbereitung und meist schlechten Nachrichten von der Inquisition, der Präfektur oder gar dem Heiligen Vater selbst. Letharsian der Erste war zwar ein weiser Mann und dazu Stellvertreter Gottes auf Erden, aber von der Seefahrt verstand die Kirche nichts, und die meisten Patrizier und Adelsleute auch nicht. Also war Arquinus aufgestanden und hatte seinen Einwand angegeben. Als das Raunen und die Unruhe vergangen waren, hatte der Hohe Präfekt Crassus das letzte Wort gesprochen: "Marjastika wird noch in diesem Jahr besucht. Wir wollen das Wort Gottes zu den Wilden bringen. Dies ist der Wille des Allmächtigen!" Aus der entstandenen Ruhe wurde ein Jubeln, und heute, als die Wellen höher und höher schlugen, beinahe der Mast brach und schon zwei Leute über Bord gegangen waren, da fragte sich der Kapitän der Elysia, ob es nicht besser gewesen wäre, statt eines Mönches und eines Patriziers lieber den Heiligen Vater selbst mit an Bord genommen zu haben. "Das ist das Ende!", rief der Steuermann und deutete auf eine riesige schäumende Welle, die noch einige Schritt vom Schiff entfernt war (was bedeutete, sie würde noch höher werden). "Betet! Haltet Stand!", rief der Mönch und breitete die Arme aus. "Sofort unter Deck, Bruder, es ist zu gefährlich", warnte der Kapitän, doch der Mönch blieb wo er war. "Das erste Mal spüre ich Gottes Macht wirklich auf Erden!", sagte er und beschaute die sich nähernde tosende Naturgewalt.
Dann, als der Kapitän schon den Gesang der Nixen zu hören glaubte, brach das Schiff in der Mitte durch. Er wurde in die Luft geschleudert, stürzte ins Wasser und fiel tief unter die Flut.
Wieviel Zeit vergangen war, wusste er nicht zu sagen. Am Ende saß er zitternd am Lagerfeuer, in der Nähe eines Strandes. Mit ihm waren der Patrizier, der Mönch und einer der Matrosen. Die anderen waren nicht zu sehen. "Viele Berge, viel Schnee. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind, Herr", sagte der Matrose zum Patrizier. Der nickte. "Wir werden es erfahren. Aber Marjastika ist das nicht", murmelte er und schaute auf die Bergketten, die schneebedeckt waren und sich weiter in das Innere des Eilandes zogen. "Sorgt Euch nicht, Herr Aestrinor", sagte der Mönch, "Gott ist mit uns."
"Das hoffe ich", antwortete Cleophos von Aestrinor.

Die Prüfung

Der Magier betrat den Saal. Er nickte den Wachen zu, die stoisch geradeaus schauten und nicht reagierten. Auf dem Thron saß der Hausherr, vor dem er sich verneigte. "Genug der Formalitäten, Magus. Ich habe Euch aus bestimmten Gründen herbestellt."
"Was kann ich für Euch tun, Mylord?"
"Man sagt, Ihr seid diskret. Ist das richtig?"
"Oh, ich kann extrem diskret sein, sogar verschwiegen, wenn Ihr wollt", sagte der Magier und musste lächeln. Seine Diskretion hatte natürlich ihren Preis, aber er würde schon sehen.
"Folgt mir. Ich zeige Euch alles."
Der Hausherr brachte den Magier in die Gemächer. Eine Dienerin schickte er hinaus. "Ich habe ihr Traumwasser gegeben. Wir sind ungestört." "Ausgezeichnet. Und was erwartet Ihr nun?", fragte der Magier.
"Das will ich Euch erklären", antwortete er und zeigte auf das Bett.
Alea iacta est.

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 16 Nov 2012, 19:03

2


Zhaerius

"Nicht!", rief der Mann in Schwarz und befahl Nour durch die Macht des Fluches in einen anderen Raum.
"Wieso rettest du mein Leben, du, der du mich betrogen hast", fragte der Gefangene.
"Vielleicht, weil ich dich noch brauche", sagte der Mann in Schwarz. Zhaerius wollte die Wahrheit rufen, aber der Mann in Schwarz legte die Ketten enger und enger.
"Du hast mich belogen. Du hast gesagt, du kannst jederzeit nach Blyrtindur reisen. War alles andere auch eine Lüge?"
Der Mann in Schwarz musste lächeln. Er könnte ihm erzählen, dass es von Anfang an der Plan gewesen war, Nour zu erzürnen, sie in Midgard auf Cleophos treffen zu lassen, nachdem er Dakhil davon überzeugt hatte, dass Cleophos fähiger wäre als sie; er könnte ihm erzählen, wie er oben am Kreis die Macht der Erschaffung gestohlen hatte oder wie er einen Umkehrfluch auf Erika gesprochen hatte, um die Hand Amurs gegen Hrabanus zu stärken (denn er wollte ihn gebannt sehen, er brauchte ihn nicht mehr); ja, er könnte ihm berichten, wie er selbst in das Mathricodon gegangen war, um die Finsternis auf die Zendavesta aufmerksam zu machen. Oder wie er vor langer Zeit von der Quelle getrunken hatte, wie auf dem Weg zur Insel er in den Malstrom gefallen war und die Wesen dort ihn - vor mehr als 200 Jahren - den Propheten des Weinenden Gottes, der die Sterne sieht, nannten und verschonten. Etwas, das jetzt sehr nützlich war. Wie Zhaerius sich entschlossen hatte, nachzuforschen und dadurch erst ihn, den Mann in Schwarz, so stark gemacht hatte, dass er nun schlummerte wie ein Kind, das den ewigen Schlaf Lebans im Kindbett empfangen hatte - ja, auch das könnte er erzählen.
Stattdessen sagte er nur: "Auf bald, Khagan." Er löste die Ketten und ließ ihn durch einen Werwolf ins Freie bringen. "Komm nie wieder", rief er dem Khagan lachend nach.
Nour zu beruhigen, war durch den Fluch sehr leicht gewesen. Er gab ihr die neuen Befehle und schickte die schwarze Katze Lebans fort. Sie war nützlich, und wenn er eines Tages genug von ihr hätte, sie wäre sehr schnell vergessen in den schwarzen Fängen Lebans.
Einige Tage darauf saß er am Feuer. Er wartete auf Nachricht von Nour. Genauer gesagt, es war nur ein Test. Würde der Fluch Lebans sie in die Zone zwingen oder würde der Fluch von Mond und Nebel sie berühren und ihre Instinkte wecken? Bevor sie heimkehrte, trat Saban an das Feuer. "Prophet."
"Ist es geschehen?"
"Die Katze wurde nicht gesehen. Aber Crenn hat den Spiegel gestohlen."
"Interessant. Ich fragte mich schon, wann wir von ihm hören. Findet ihn."
Saban ging wieder.
"Du wirst ihn nie finden."
"Zhaerius, schön dich zu hören. Habe ich dir denn erlaubt, zu sprechen?", fragte der Mann in Schwarz.
"Niemals wirst du siegen. Aldwyn hat mir gezeigt, wie man dich bekämpft."
"So? Da scheint er sich zu irren. Du bist zu schwach. Ruhe lieber."
Bevor die lästige Stimme verschwand, sah der Mann in Schwarz etwas in den Gedanken des Schwächeren: 3x4. 1+2+3. 7. 11-1.

Baelon

"Ich habe mit Aurelia von Torbrin gesprochen. Szarak Crenn scheint Werwesen und auch andere Tiere, die keine sind, zu fassen. Er muss gefunden werden. Findet er vor uns ein Heilmittel, er wird es nur jenen geben, die seinen Preis bezahlen. Und dieser ist hoch", sagte Theresia.
"Gibt es eine Spur?", fragte Baelon müde. Der Wein sickerte nur sehr langsam fort.
"Nein. Darum habe ich Euch herbestellt. Ihr seid übrigens spät dran. Wenn Ihr so weitermacht, dann könnt Ihr am besten direkt auf einem Fass reiten, anstatt auf einem Ross."
Er kannte diese Anspielung. Es war eine alte Legende, nach der ein weiser Mann seine Zauberkraft den Gästen des Einsamen Wanderers bewiesen hatte, indem er auf einem Fass geritten war. "Ich bin nicht wie der Faustus, von dem Ihr sprecht, Majestät."
"Nein, der ist eine Legende, Ihr seid aber recht wirklich - und immer noch betrunken. Baelon, es kann so nicht weitergehen."
"Wenn Ihr wollt, dann lege ich mein Amt nieder. Emes oder Allyen, sie können es auch ausführen", log er, denn obwohl sie geeignete Kandidaten wären, er liebte seine Aufgabe. Auch wenn sie ihn zuweilen überforderte und, wie jetzt, ins Dunkel zu treiben schien. "Bitte, sagt es mir einfach. Ich habe Euch enttäuscht, Majestät."
"Das habt Ihr nicht. Ihr habt es nie. Aber wenn Ihr Euch nicht mäßigt, dann wird es so kommen. Ich will keinen anderen. Soll Lariena mit Euch sprechen? Ich weiß, dass Ihr sehr vertraut seid."
"Nein, alles, nur nicht das. Sie soll mich nicht so sehen. Ich... werde mich zügeln."
Die Königin schüttelte den Kopf. "Ich bin sehr in Sorge, genau wie Theornon und sicher auch Hlifa. Wir alle sind es. Vor allem Allyen."
Sir Allyen. Der Mann, der ihn praktisch aufgezogen hatte, der mit ihm durch die Wälder geritten war, ihm alles über den Kampf und Strategie beigebracht hatte. Wie oft hatten sie gemeinsam am Lagerfeuer gesessen und schweigend in die Sterne gesehen, jedes Geheimnis geteilt, wie Brüder oder wie Vater und Sohn. Es tat Baelon weh, gerade ihn zu enttäuschen. "Er ist sehr... zornig. Wegen mir", sagte Baelon und nickte.
"Ihr benötigt Beistand."
"Ich werde noch heute Lethos Mercutio aufsuchen."
Wieder schüttelte sie den Kopf. "Nein. Sprecht mit Eurem Vater."
"Mein Vater ist schon lange tot, Majestät. Und würde er noch leben, er wäre wohl eine der letzten Personen, bei denen ich Trost suchen würde. Ich könnte gleich in einen eisigen Fluss springen oder ein Lager in der Finsterschlucht aufschlagen."
"Sprecht mit ihm. Morgen. Bestellt ihn zu Euch."
Baelon wusste nicht, was sie meinen könnte. "Verzeiht, aber ich verstehe kein Wort."
"Sprecht mit Allyen darüber."
"Was hat Sir Allyen mit meinem Vater zu tun? Ja, er diente dem Hause Glan, aber er und ich waren vertrauter miteinander als mein Vater und ich es je hätten sein können. Während der Thronfolgekriege und Irinias Herrschaft war er der, der mir immer Mut machte. Mein Vater hingegen war ein Fremder."
"Was denkt Ihr, warum das so war?", fragte Theresia.
"Weil... ich weiß es nicht."
"Ihr wisst es. Habt Ihr es nicht schon immer gespürt? Wird es Euch nicht klar, Baelon?"
"Allyen ist mein Vater", flüsterte Baelon.
Dies war vor ein paar Tagen gewesen. Nun hatte Baelon seinen Vater fortgeschickt, nach Midgard, um Cleophos von Aestrinor zu finden. Baelon saß über den Pergamenten, trank kalte Grasermilch und aß etwas Brot. Die Spenden für das Armenviertel waren durch die Seuche ins Stocken geraten - er würde etwas von seiner persönlichen Kasse abzweigen. Er sah Dutzende Pergamente durch und merkte, dass er nur arbeitete, um sich von der Tatsache abzulenken, dass sein gesamtes Leben sich geändert hatte: "Er ist mein Vater", murmelte er.
Ein Diener trat ein. "Mylord, es gibt ein Problem."
"Was ist es nun?"
"Es gab einen Zwischenfall. An der Zone Eisenwall. Leute sind dort eingedrungen."
Baelon spuckte aus. Fast hätte er einen Schnaps verlangt, aber etwas hielt ihn ab. Es war eine neue Freude da, die er vorher nie gekannt hatte. "Sattelt mein Pferd, ich spreche mit den Wesen. Elyarn wäre das dann."
"Das hat sich wohl erledigt. Wir erhielten eine Nachricht. Sie sagen, sie vergeben unsere Narretei und belassen es dabei."
"Sie halten den Pakt?", fragte er verwundert.
"Ja."
Baelon schickte den Diener hinaus. Das war überraschend. Man hätte meinen sollen, dass diese Kreaturen auf den kleinsten Fehler warteten. Und nun das. Gleichzeitig wurde er unheimlich zornig. All das wäre niemals passiert, wenn er Zhaerius hätte verhaften lassen. Es war sein Fehler gewesen, ihm zu trauen. Knurrend nahm er sein Schwert, ging die Treppe nach oben zum Gefangenen. Es war nicht dessen Schuld, aber die Finsternis war mit ihm gekommen! Sein gesamter Zorn, über den Tod seiner einzigen Liebe, über die Wesen, sich selbst und die Qualen des Landes entluden sich, als er das Wort sprach, das Theralia ihm genannt hatte, um den Schutz zu brechen. Er ließ den Gefangenen nicht mehr zu Wort kommen, und nach einem Schwertstreich fiel der Kopf Roglunds zu Boden.

Dakhil

"Wir haben einen Gefangenen gemacht", sagte der Krieger und führte einen Mann, dessen Rüstung Dakhil sehr gut kannte, zur Schmiede. "Sein Name?" "Er heißt Gregor", sagte der Krieger.
Dakhil ließ Gregor an sein Feuer bringen. "Ich kenne den Mann, dem du dienst."
"Bitte, ich habe nur seinen Befehl befolgt. Er hat mir das Leben gerettet. Ohne ihn wäre ich tot", sagte Gregor.
"Ich weiß. So ist es auch mit mir gewesen. Er schenkte mir mein Leben, er gab mir ein neues. Es ändert aber nichts an dem, was er tut. Wir alle haben eine Wahl. Selbst wenn Amur uns eine Aufgabe gibt, können wir ablehnen. Aber wollen wir das? Sage mir, ist dein Herr so mächtig wie Amur? Kann er Berge versetzen, Meere trinken und Wüsten zu grünen Tälern machen?"
Der Gefangene dachte nach. Plötzlich schien Dakhil dieser Augenblick wie eine Ewigkeit zu sein, und sein Geist wanderte in ferne Tage zurück. Die Tage seiner Jugend waren nicht die eines Hun, nicht die eines stolzen Reiters eines Amuri, nicht die eines Wüstenräubers oder Korsaren. Sie waren weder stolz noch edel gewesen. Die Waffe, die er trug, war nicht der Säbel seines Vaters, der im Staub unter den Prügeln der Diener des schwarzen Kreuzes gestorben war, und sein Haar glich nicht der Anmut seiner Mutter, die neben dem Vater im eigenen Blut ertrunken war, nachdem die Kreuzdiener sie vergewaltigt hatten vor den Augen der Söhne und Töchter, die ebenfalls starben. Nein, seine Waffe war eine Kette, die um seine Knöchel gebunden war, und sein Haar war voller Staub und Dreck von den grauen Steinen der Mine, die das Heim für ihn und alle anderen Sklaven des schwarzen Kreuzes Tectarias war. Mit sieben Jahren hatte man ihn auf ein Schiff gebracht und mit anderen Jungen in die Heimat der Priester und Templer gebracht. Die Minen, das neue Zuhause, hatten ihn und die anderen stark gemacht und nicht gebrochen. Jeder Peitschenhieb war wie Balsam, der die Rache anfeuerte, und jeder Schlag mit dem Stock schien zu sagen: "Kämpfe, junger Dakhil, eines Tages wirst du der Herrscher über Tausende sein." Es schien weit weg und wie ein dummer Traum. Aber nach so vielen Jahren des Frons schien Amur ihn zu erkennen und schickte einen Mann, der aus dem tectarischen Hause Farth kam. Bei ihm war auch sein Sohn. Von ihm hatte Dakhil gehört, dass er gegen seinen Vater aufbegehrte und die Sklaverei für falsch und veraltet hielt. Aber Väter hatten das letzte Wort. "Dich brauche ich, Hun. Und die anderen auch. Ihr tragt meine Sänfte und die der anderen Edlen, wenn wir aufbrechen zum Heiligen Vater."
So war es gekommen: Dakhil und die anderen liefen barfuß, in Ketten, und trugen die Sänften der Edelleute, die sie so sehr hassten. Mit jedem Schritt auf dem scharfen Gestein wünschte sich Dakhil den Tod eines jeden Tectariers. Wieder erhörte ihn Amur, als bei einer Rast Pfeile auf die Wachen niedergingen. Kein Sklave wurde getroffen. Ein Mann kam hervor, schnitt den Überlebenden die Kehle durch. "Zerschlagt die Ketten, Männer, sie sind frei", befahl der Unbekannte, und seine Männer befreiten Dakhil und die anderen. "Das ist empörend!", rief der Herr des Hauses Farth. Wortlos ging der Unbekannte zu ihm, zog ein Messer und schnitt dessen Wanst auf. Das Gedärm quoll hervor, und der Unbekannte stieß den Sterbenden in den Dreck. "Ich gebe euch Pferde, Kleidung und Proviant. Im Hafen von Bretaris liegt ein Schiff. Es bringt euch in eure Heimat", sagte er dann zu Dakhil. "Ich schulde dir mein Leben. Wie ist dein Name? Ich will meine Schuld eines Tages begleichen." Der Unbekannte lächelte. "Mein Name ist Szarak Crenn. Eines Tages, vielleicht, sehen wir uns wieder." Er gab Dakhil die Kleidung eines erschlagenen Templers, dann ritten er und seine Männer fort, ohne die zweifellos reichhaltige Beute an sich zu nehmen. Dakhil und die anderen aber griffen sich das Gold und ritten zum Hafen, wo ein großer bärtiger Kapitän - er sagte, er käme aus einem Land am Ende der Welt - sie aufnahm. Die Überfahrt dauerte Stunden und Tage. Eines abends kam ein dichter Nebel auf, und der Kapitän befahl Ruhe, um sich orientieren zu können. Dakhil aber war unruhig, denn er hörte die Stimme Amurs und sah den Weißen Löwen im Nebel. Als man nichts mehr erkennen konnte, da spürte er, wie sein Geruchssinn immer stärker wurde, wie sein Hunger und der Zorn. Er schmeckte Blut, und nachdem der Nebel verschwunden war, da schaute der hell glänzende Mond auf das blutige Deck, auf dem die Panther und ihr neuer Anführer Dakhil alle Menschen gerissen hatten. An dem Tag hatte er geschworen, nie wieder einem anderen als Amur zu dienen. Er war der Khagan derer, die aus den Ketten ausgebrochen waren. Er war der Große Panther, der Herrscher über alle Fürsten der Tiere, Khagan unter Khaganen.
"Niemand kann das", antwortete Gregor.
"Amur vermag alles - so wie seine treuen Diener. Wo ist dein Herr nun?"
"Ich weiß es nicht. Er sucht einen Mann namens Zhaerius."
Zhaerius. Der Mann in Schwarz. Nachdem sein Sohn Shamir wegen der Täuschung Hlifas auf der Insel durch die Zendavesta gefallen war - etwas wofür sie bezahlen würde - hatte Dakhil wie damals wieder in Ketten gelegen. Es war eine Finte gewesen. Nour hatte seinen eigenen Magier gezwungen, ihn mit einer der Pantherstatuetten zu holen. Danach hatte sie den Magier abgeschlachtet und sein Inneres verspeist, Dakhil aber noch den Tod seines Sohnes durch einen Spiegel sehen lassen. "Da geht er hin, unser Sohn. Genau wie du sterben wirst, nur langsamer." "Wieso hasst du mich so sehr, Nour? Ich habe alles getan, weil Amur es wollte. Doch ich liebe nur dich." "Ich hasse dich nicht. Eben weil ich dich liebe und du den rechten Pfad des einen und einzigen Gottes verlassen hast, weil du mich zwiefach betrogen hast, beende ich dein Leben. Ich werde dich so langsam aufschneiden und dein Herz vorsichtig herausnehmen, dass du es noch schlagen siehst, bevor der letzte Tropfen Blut aufhört, zu fließen", sprach sie, weinte und gab ihm einen Kuss, bevor sie das Messer zog und der kalte Stahl seine Brust berührte. "Nicht!", befahl plötzlich Zhaerius, der den Raum betreten hatte.
Dakhil wurde erneut aus seinen Gedanken gerissen. "Khagan, der Priester ist hier. Er will dich sprechen."
"Schafft den Gefangenen fort."

Aran

Saban und Lathias betraten das Schattendorf. Aran war gerade zurückgekehrt. Er hatte die Macht des Königs der Quelle genutzt, der er einst gewesen war, und war in Skjöldbur erschienen. Er hatte die Bewohner, allen voran Hrafna, warnen wollen. Jogrimur war fest entschlossen, jede Spur des Nordvolkes zu vernichten. Die Ostfold hätte er verschont, aber Blakkur war stolz. Aran konnte den Stolz der Nordmannen nachempfinden, und in seinem früheren Leben hatte er diesen fast bewundert - nun schien er ihm närrisch und töricht. Erkannten die Nordleute denn nicht, dass eine neue Zeit gekommen war?
Als Leban ihn verlassen hatte, unten in Blyrtindurs Quelle, da kamen die Zendavesta, und mit ihrer Magie hatten sie ihn binnen einer Sekunde niedergestreckt. Dass dabei ihre Magie in ihn übergegangen war, schien ihm nun ein besonderer Gewinn zu sein. Er konnte schneller reisen als jeder andere seines neuen Volkes, und er hörte als einziger die Worte des Weinenden Gottes, der die Sterne sieht. Sie waren voller Angst und Sorge um sein Volk. Etwas, das Leban niemals getan hatte: sich sorgen.
Wo Arans Vater stets die Macht und Kraft gepredigt hatte, da waren die Worte des Weinenden Gottes, der die Sterne sieht, voller Liebe und Zuversicht, das sein Volk, seine Kinder, die Erben der Finsternis überleben würden. Caldorvan war nie stolz auf seine Kinder gewesen. Aurelia war sein Schatz, aber eben nur ein Weib. Aurelion war zum Prophet Amurs geworden - nicht gerade im Sinne des Vaters. Und er selbst war König der Quelle geworden. Sein Vater hatte immer mehr für ihn im Sinn gehabt, selbst die Krone, die Aran niemals wollte. Wie ironisch, dass gerade jetzt, da Arans Macht grenzenlos zu sein schien, sein Vater ausgerechnet Saban, den er am meisten verachtet hatte, zurückgewiesen hatte. Saban hatte ihm angeboten, dass er sie alle anführen könnte, aber Caldorvan hatte abgelehnt. Natürlich hatte er das. Er musste sich sehr fürchten, obwohl sie ihn nicht verwandeln konnten, denn der Fluch von Mond und Nebel wirkte stark in Caldorvan. Die Nachricht von Elyarn, dass der Untote ihn aufgesucht hatte, die war natürlich dann eine Überraschung gewesen. Aran fragte sich, ob es ein letzter Versuch der Demütigung war oder ob Caldorvan sein Angebot, den Weißen Wolf niederzustrecken, ernst meinte. Strategisch betrachtet ergab es wenig Sinn: Wenn er doch Sabans Angebot abgelehnt hatte, wieso dann dabei helfen, den Sendboten des Thrones des Winters zu vernichten?
"Berichte", befahl er Saban.
"Es gab Eindringlinge im Eisenwall. Der Prophet wird nicht sehr erbaut sein."
"Der Prophet", murmelte Aran abfällig, "den brauchen wir nicht. Wir sind stark. Ich höre die Worte des Weinenden Gottes, der die Sterne sieht."
"Aber nur du. Willst du sein Prophet sein?", fragte Lathias mit einem Schmunzeln.
"Soweit kommt es noch. Ich bin fertig mit Weissagungen. Schaut, wohin es mich geführt hat. Ich war Kommandant in Terra Brumalis, und nun fließe ich als etwas umher, das man Faulwasser nennt. Ich begrüße die Macht, die ich habe, aber nichts ist mehr wie es war."
Saban nickte. "Du wirst dich daran gewöhnen."
"Was für Eindringlinge waren das?"
"Der Spiegel wurde gestohlen. Söldner von Szarak Crenn. Sie fangen auch die Diener der Tierfürsten."
"Den Namen habe ich lange nicht gehört. Ich habe einen seiner Leute verwandelt und ihm ein Bündel abgenommen. Darin lag der Kopf von Namid."
"Richtig, aber der Wolf lebt. Die Hüter haben ihn befreit und die Söldner mitgenommen. Ich wollte das Serum stehlen, aber Albertus hat es zerstört. Dann kamen die Mannen Dakhils", sagte Lathias.
"Interessant. Das sagt uns, dass sie es nicht wissen. Und auch Crenn hat keine Ahnung. Wir sind immer noch im Vorteil. Sylthir soll es dem Propheten sagen", befahl Aran.
"Soll ich zum Turm zurückkehren?", fragte Saban.
"Ja. Lathias begleitet dich. Das Experiment wird fortgesetzt. Danken wir dem Weinenden Gott, der die Sterne sieht, dass wir diesen Pakt haben. Das macht es leicht."
Beide verließen das Dorf, und Aran war allein mit sich. Er wusste dank seiner Begegnung in der Klamm, die nach Brumalis führte, alles vom Fluch von Mond und Nebel. Das Buch aber musste vernichtet werden. Erst dann wären sie sicher. Der Handel, den er abgeschlossen hatte, machte ihn sehr zufrieden. Am Ende war der Dybbuk doch nützlich gewesen.

Ascanio

"Wie ist der Stand der Dinge, Magus?", fragte Ascanio, der sich gerade die Hände wusch und sich dann ein frisches Wams überzog. Die Kranken bedeuteten viel Arbeit, und Lethos Mercutio und Abt Aldwyn hatten alle darauf eingeschworen, dass die Sicherheit und die Behandlung der Kranken allein in ihren Händen lag. Entweder hatten sie nicht viel Vertrauen, oder sie waren sich sicher, dass es keinen Weg gab, die Seuche zu vernichten, denn das Lager in der Ebene war weit weg von allem. Der Turm war im ersten Bürgerkrieg zerstört worden. In den Jahren darauf hatten Lerhon und auch Darius darauf gedrängt, das Bauwerk neu zu errichten und gleich in eine Festung zu erweitern, aber der Krieg gegen die Dunklen Alten, Lerhons Ermordung durch die 'Wölfe' und Darius Tod auf einer Insel vor der Küste hatten andere Dinge in den Blickwinkel des Adels gerückt. Die Thronfolgekriege und die Finsternis, Vairocana und ebenso die Ankunft des Abyssariums waren stehenden Fußes gefolgt, und manchmal fragte sich der Hohepriester der Liraskirche, ob die Worte des Herolds der Finsterschlucht, die vor so vielen Jahren gesprochen worden waren, der Wahrheit entsprachen: "Dieses Land ist verflucht für alle Zeiten. Liranus hätte umkehren sollen." Aber war denn nicht die Ankunft der Flotte von Liranus von Breton aus dem tectarischen Exil vorhergesagt worden? Hatten nicht Liras und Leban selbst gesprochen, als sie Liranus im Tal der Elemente erschienen waren? Das Haus Breton und sein damals stärkster Verbündeter, das Haus Torbrin, hatten die Flotte zusammengestellt, und am Ende der vergeblichen Rebellion gegen die tectarische Kirche war man in dieses Land gekommen. Auf der Insel des Himmelseisens hatten viele ihr Leben verloren (und nun war es Heimat der gebannten Finsternis), und schließlich hatte Liranus sein Ziel, das gelobte Land erreicht. Es war doch die Vorsehung gewesen, wie konnte es da verflucht sein? Oder war es die Strafe des tectarischen Gottes für das Aufbegehren? Dann wären Liranus und alle, die seinem Geschlecht bis heute gefolgt waren, Märtyrer und Geprüfte des Glaubens. "Tauscht den Reichsadler gegen das Joch, es wäre das passendere Banner", hatte Caldorvan vor seinem Tod gespottet, angesichts der Misserfolge, die bis heute angehalten hatten. Das Land war tatsächlich kaum zur Ruhe gekommen, und nun war es wirklich durch ein Joch gehalten: das Faulwasser.
"Keine Veränderung. Es gibt ohne weiteres kein Heilmittel, und die Informationen bringen uns auch nicht weiter. Ihr solltet mit Dakhil sprechen. Er muss etwas wissen", sagte der Magier.
"Die Informationen sind riskant. Ich habe meine Zweifel, dass die Drow aus Szithlin uns überhaupt etwas sagen werden. Zumindest nicht ohne Gegenleistung. Ironisch daran ist, dass sie es selbst wahrscheinlich nicht genau wissen und ihre Immunität auf ihre schwarze Götzin schieben."
In der Tat hatte Ascanio vor einigen Tagen eine unheimliche Begegnung gehabt. Er war am Fluss, hatte das Wasser von den Magiern prüfen lassen, um dann zu beten und ein schnelles Bad zu nehmen. Der Morgen graute schon, und der kalte Wind wehte durch die Steppe. Am anderen Ufer lief ein Reh, doch stand es auf einmal ganz still da. Erst als Ascanio sich herumdrehte, er war schon im Wasser, hörte er, wie das Tier verschwand. Eine Gestalt hatte es aufgeschreckt. Die Person war nicht sehr groß und trug dunkle Kleidung. An den roten Augen, die aus der Kapuze zum Fluss sahen, erkannte Ascanio es: ein Drow. Die Wachen waren zu weit weg, und der Priester wollte niemanden aufschrecken. Es kam ihm nicht so vor, als würde der Dunkelelf ihm etwas tun wollen. "Liras Sonne mit dir, Drow", sprach Ascanio.
"Ich hoffe nicht", antwortete der Drow ganz leise. Ascanio konnte ihn gerade noch verstehen.
"Ich würde vorsichtig sein. Wir haben viele Kranke im Lager."
"Darum bin ich hier. Mir kann nichts geschehen."
Ascanio trat langsam ans Ufer, nahm Hemd und Hose und kleidete sich an, ohne den Drow aus den Augen zu lassen. Der stand seelenruhig da und wartete.
"Wieso erkrankt Ihr nicht?"
"Weiß ich nicht. Aber du solltest es wissen. Erwarte nicht, dass du mehr bekommst. Und erst recht nicht mein Blut, Menschenpriester."
"Ihr seid Euch aber sicher?", fragte Ascanio.
"Xas. Ja."
"Wieso helft Ihr mir?"
"Ich helfe nicht Euch. Ich helfe mir selbst. Außerdem... begleiche ich eine Schuld. Wir sind uns schon einmal begegnet."
Eilig schlüpfte Ascanio in seine Stiefel, denn er hatte noch so viele Fragen, aber der Drow war verschwunden. Er hatte dann den anderen davon berichtet und ebenso eine Nachricht an alle geschickt, die davon wissen sollten.
"Ja, wahrscheinlich", sagte der Magier.
"Ich werde zu Dakhil gehen. Ein Paladin und ein Lebanritter sollen mich begleiten."
Als Ascanio und seine Wachen sich dem Lager näherten, da sahen sie, wie Khagan Dakhil Al Khan gerade einen Falken verabschiedete. Er schien allein durch Blicke oder Gedankenkraft mit dem Vogel sprechen zu können, und das gleiche galt natürlich für seine Krieger, wie er auch mit den Amuri und allen anderen Tieren wortlos zu sprechen schien. Es war Ascanio schon bei dem ersten Gespräch aufgefallen, als Dakhil das Lager besucht hatte, ohne nur ein Wort preiszugeben.
"Priester Ascanio, Amur mit dir."
"Und Liras mit Euch, Khagan."
Er bot ihm Tee und süßes Brot an, während er selbst nichts zu sich nahm. "Wie geht es deinen Kranken?"
"Es sieht nicht gut aus. Ich sehe keinen Weg. Setzt es sich fort, dann ist es das Ende. Wir brauchen ein Heilmittel."
"Als die Plagen über meine Heimat kamen, da gab es nichts, was wir tun konnten. Viele von uns verließen das Land, andere, wie ich litten. Fragt Khagan Shanesh, Euren Freund", schien er zu spotten.
"Khagan Shanesh tat, was er in seinen Augen tun musste. Ich erlaube mir weder über ihn noch über Euch ein Urteil. Doch auch seine Leute erkranken, Ihr hingegen nicht. Warum?"
Dakhil nickte. "Ich werde oft gefragt, dieser Tage. Und immer sage ich, dass Amur uns verschont. Vielleicht sind wir seine ergebensten Diener? Es wird mir sicher Glück bringen, wenn ich nach Hohenfels ziehe und es einnehme."
"Ihr... Ihr wollt Peliad angreifen? Aber aus welchem Grund?"
"Das ist nicht Eure Sache", brummte Dakhil.
"Ihr sagt es nicht umsonst. Ihr wisst, dass Ihr dem Reich damit droht und ich das melden werde."
"Ich drohe nicht. Ich habe gesagt, wenn ich es tue. Vielleicht ist es nicht notwendig. Es liegt nicht an mir. Es obliegt Amur. Schenkt er Hohenfels genug Weisheit oder wird er zu Amur-Shal?"
Die gnadenlose zürnende Seite. Ascanio wusste davon. "Ich bitte Euch, was immer Euren Zorn bewegt, erinnert Euch daran, dass es unschuldige Menschen dort gibt, die noch nicht lange ein sichere Zuhause haben."
"Von euren Thronfolgekriegen habe ich gehört. Hat nicht ein Tectarier namens Sicarion Grauwind einst Hohenfels eingenommen?"
"Ja. Und er wurde vertrieben und getötet. Bretonia gibt nicht kampflos auf, aber es hat große Sorgen: die Seuche. Warum erkrankt Ihr nicht? Ihr seid Werwesen. Was genau schützt Euch?"
"Amur", sagte der Khagan und lächelte, "er hat mir vor langer Zeit seinen Sendboten geschickt, der mit dem Nebel kam."

Allyen

Der Ritter des Reiches hatte seine Befragungen in Skjöldbur vorerst beendet. Allyen hatte durchaus den Eindruck, dass man ihm die Wahrheit sagte. Wahrscheinlich waren die Soldaten Aestrinors allesamt schon von den Malstromwesen verwandelt worden, einzelne vielleicht irgendwo auf der Flucht. Aber er glaubte nicht daran, dass Cleophos von Aestrinor den Wesen in die Hände gefallen war. Die Gründe dafür hatte er von Baelon gehört - von seinem Sohn. Als die Königin Allyen vorgeschlagen hatte, Baelon die Wahrheit zu sagen, da hatte er schweigend zugestimmt. Die Königin glaubte, dass spätestens diese Neuigkeit ihren Kanzler zur Vernunft und weg vom Wein bringen könnte. Wie sein Sohn darauf reagieren würde, hatte Allyen unmöglich sagen können. "Wenn es Euer Wunsch ist, Majestät, dann soll es so geschehen." "Sir Allyen, es ist nicht mein Wunsch, es sollte der Eure sein. Was soll Schlimmes geschehen? Niemand wird es wissen, keiner kann ihm seine Titel oder sein Amt nehmen. Ich glaube, es ist besser für euch beide", hatte sie geantwortet. Er hatte also zugestimmt. Einen Tag darauf war er in die Kanzlei bestellt worden:
"Sir Allyen, bitte setzt Euch", sagte Baelon. Wusste er es noch nicht oder hatte er beschlossen, es zu vergessen? War er verletzt, zornig? Allyen folgte dem Befehl. "Mylord."
"Ich habe einen Auftrag für Euch. Ich würde Emes schicken, aber ihn habe ich damit betraut, alles über Szarak Crenn zu sammeln, was wir haben. Das ist nicht viel, aber vielleicht ergibt sich eine Spur. Es sind Werwesen verschwunden, ebenso Wölfe. Die Königin hat Informationen von Aurelia von Torbrin dazu erhalten", sagte Baelon fast tonlos. Er wusste es. Er leugnete es oder war enttäuscht. Allyen spielte mit und sprach ebenso sachlich, auch wenn er innerlich weinte. "Ihr wollt, dass ich anderweitig nach Crenn Ausschau halte?"
"Nein. Es gibt Hinweise, die uns vermuten lassen, dass er auf der Insel Blyrtindur ist. Ebenso soll das Leben des Kommandanten Velas in Gefahr sein. Er wird beobachtet. Wenn dem also so ist, kann eingegriffen werden. Ich traue ihm immer noch nicht, denn sein Bruder hat uns verraten und beide scheinen Traumleser zu sein. Und Ihr wisst, wie ich über Traumleser denke", antwortete Baelon. Es war kein einziger Krug Wein zu sehen, und alle Flaschen standen fest verschlossen im Regal. Entweder hatte der Schock ihn ausnüchtern lassen oder es war die Ruhe vor dem Sturm. Allyen versuchte, sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. Er nickte nur. "Wohin soll ich gehen, Mylord?"
"Midgard. Haltet Quartier in Skjöldbur. Ich werde die Bewohner informieren. Wenn sie nicht kooperieren, wendet Euch an die Ostfold und lasst es mich wissen. Zhaerius von Maegranth ist immer noch auf der Flucht, genau wie Cleophos. Und seine Frau, die mindestens eine Mitwisserin ist, ebenfalls. Allmählich brauchen wir Ergebnisse. Jeder, und ich meine jeden, der etwas weiß und schweigt, wird verhaftet. Das Reich kann sich Verrat niemals leisten, aber erst recht nicht angesichts eines brüchigen Paktes mit diesen Wesen. Findet Cleophos und bringt ihn her."
"Jawohl, Mylord. Ich breche noch heute auf. Wieviele Soldaten soll ich mitnehmen?"
"Ein ganzes Bataillon. Aber nur eine kleine Gruppe wird in Skjöldbur bleiben. Die anderen suchen und schlagen ihr Lager in der Nähe auf. Es muss niemand etwas über die genaue Truppenstärke wissen, auch nicht Eure Gastgeber. Lord Falkenfels stellt Leute zur Verfügung. Neben Melther wäre er die beste Wahl."
Kein Wort über das, was Theresia ihm gesagt hatte. Es war dennoch nicht wie immer. Es war kühler. Kalt. Eiskalt sogar. Das Verhältnis schien Allyen für immer zerstört, als er wortlos aufstand, salutierte und sich aufmachte, die Kanzlei zu verlassen. "Eines noch", sagte Baelon. "Ja?"
"Wenn wir in der Öffentlichkeit sind oder im Dienst, dann sollten wir es ausblenden. Sonst wird man es gegen uns benutzen", erklärte Baelon.
"Mylord?"
"Setzen wir uns. Wir kennen uns ein ganzes Leben, und wie ein Vater bist du mir immer gewesen. Nun weiß ich den Grund, Vater", sprach sein Sohn, und ein warmes Lächeln kam über seine Lippen.
"Baelon", sagte Allyen schlicht, kam zu ihm und beide lagen sich sehr lange in den Armen.
Wie er die Ostfold erreichte, erinnerte sich Allyen mit Hoffnung und Zuversicht daran. Vater und Sohn hatten sich endlich gefunden. Vielleicht würde dieses neue Band auch gebraucht werden, um die Dunkelheit zu besiegen, die das Land umarmte - das Erbe der Finsternis, die Malstromwesen. Eine Wache versperrte Allyen und seinem Gefolge den Weg. Seltsame Dampfmaschinen sicherten den Ort, und überall waren Ballisten und Trebuchets errichtet worden. Man bereitete sich also auch hier auf einen Krieg vor, den man nach dem neuesten Wissen gar nicht gewinnen konnte. "Odin mit euch, Bretonen", knurrte die Wache.
"Und Liras mit Euch, Nordmann. Mein Name ist Allyen. Ich bin im Namen des Bretonischen Reiches hier, im Namen der Königin."
"Das ist wunderbar, und was gibt es hier, das euch interessiert?"
Allyen war die Art der Nordleute gewohnt. "Es ist ganz einfach: Ich müsste nur einen Moment mit deinem Hetman sprechen, dann bin ich schon wieder weg. Sage ihm, ich suche einen Verräter, der sich im Jütland aufhalten könnte. Das wird ihn wohl interessieren."
In der Tat hatte man ihn sofort zu Blakkur gebracht, aber wie schon Sven Björnbard konnte ihm der Hetman der Jütungen nichts erzählen, was bei der Suche hilfreich wäre. Früher hätte sich Allyen für das Vertrauen des Kanzlers bedankt. Heute fragte er sich, ob Baelon ihn vor den Ereignissen in der Heimat schützen wollte oder ob er ihn in der Ferne wissen wollte, damit niemand auf den Gedanken käme, sie wären Vater und Sohn. Den Pfad zur Vestfold mieden Allyen und die Männer, stattdessen ritten sie durch das Dickickt, manchmal nur sehr langsam, wenn die Bäume dichter standen. Ein Sturm war aufgekommen, und Eisregen und Schnee mischten sich zu einem nervigen Himmelsgesöff, das sie den ganzen Weg über begleitete. So auch ein weißer Wolf, der Allyen auf Schritt und Tritt zu folgen schien. Das Tier machte keine Anstalten, zu attackieren, sondern sah ihn nur an. Als sie aus der Ferne Skjöldbur sahen, da verschwand der Wolf eilig im Nebel. Zeit, darüber zu sinnieren, hatte der Ritter des Reiches nicht. Denn er hörte Kampfeslärm.

Der letzte Dybbuk

Er hatte bei der Suche nach Namid brav geholfen. Algrin hatte ihn auf die Anhöhe und den Wald dahinter geschickt. Folgsam hatte er versucht, eine Spur zu finden. Als er das Lager der Hüter erreicht hatte, da hatte er auch für einen Moment darüber nachgedacht, Namid zu nehmen. Aber es gab eine Art Verbindung zwischen Ofeigur und diesem Tier, sodass er davon abgesehen hatte. Die Hüter selbst oder die Keltin waren viel zu riskant gewesen, weshalb er sich nach seinem Ausflug mit Arans Körper in die Gewölbe der Lebaner für eine unauffälligere Maskerade entschieden hatte. Er musste nur warten, dann würde das elfte Lied wie von allein in seine Hände geraten. Es war das, was er unbedingt wollte.
Gerade saß er in der Nähe des Feuers. Esthelion war zum Blauen Turm gegangen - zum Glück. Fast hätte der Ledharthien ihn entdeckt. Die Hüter und ihre Gefährten waren zur anderen Insel aufgebrochen, um Erec zu helfen. Als der letzte Dybbuk noch Hrabanus gedient hatte, da hatte er oft von seinem Bruder gesprochen. Er wäre durch jedes Feuer und bis an das Ende der Welt, wo der Thron des Winters war, gegangen, um seinen Bruder zu schützen. Selbst dann, als er nur noch daran gedacht hatte, den Stab der Erschaffung zu bekommen. Der letzte Dybbuk hatte diese Gefühle nie verstanden. Wenn er Argus ansah, dann empfand er nichts. Er hatte versagt. Das war es dann gewesen. Wie sie einst durch den großen Fels, der alle Ringe erschüttert hatte, von der Außenwelt hierhergekommen waren, da kannten sie die Menschen nicht. Aber im Laufe der Jahrhunderte hatten sie vieles lernen können. Der letzte Dybbuk erinnerte sich, wie er eine Weile in Janus Therens Geist geschlummert hatte, während sich herausstellte, dass er der Meshiha Deghala, der Widersacher Amurs war. Als die Nordleute und der Bretone Fhink Hohenfels von Therens Herrschaft befreit hatten, da war er ganz schnell geflohen. In Samariq, wo die letzte Schlacht des Großen Krieges gegen den Meshiha gefüht worden war, hatte er Cyrian als nächstes Ziel im Auge gehabt. Leider war ihm der Rosentempel dazwischen gekommen - er konnte diese Insel nicht betreten. So war er einfach in einen anderen geklettert und in Samariq geblieben. "Was für ein Glück, dass ich nicht heute noch dort bin", dachte sich der letzte Dybbuk, denn er war sich nicht sicher, ob er überhaut durch die Kuppel der Zendavesta gehen konnte. Algrin kam an das Feuer und legte etwas Holz nach. Er gab ihm eine Schale Fleisch. "Wann sie wohl zurück sind", murmelte der Kundschafter. Der letzte Dybbuk sah ihn an, spielte den vertrauten Freund, und als er im Augenwinkel Faros sah, beschloss er, das Geschenk, das ihm das Malstromwesen gegeben hatte, anzuwenden. Es funktionierte.
Er war dem Wesen begegnet, als er auf der Suche nach Namid die Anhöhe zur Klamm verlassen hatte: In seiner Hand hielt das Wesen ein Bündel.
"Schau an. Ich habe einen deiner Freunde entdeckt", sagte das Wesen und sprach danach ein unbekanntes Wort. Aber der letzte Dybbuk fühlte, dass das Wesen ihn nun verstehen würde. Er musterte es einen Moment und erkannte das Wesen. "Aran."
"Kennen wir uns etwa?", fragte dieser.
"Das kann man wohl sagen. Du kannst mir nichts antun, also will ich offen sein: Ich hatte deinen Körper genommen, nachdem du gestorben warst. Entschuldige."
Aran nickte. "Ich erinnere mich. Du warst im Gewölbe der Lebaner. Du hast dort in Büchern gelesen. Warum?"
"Ich suchte Wissen, um mich zu verbergen. Ich mische mich nicht in eure Dinge ein, dasselbe erwarte ich nun von dir, Aran."
"Man würde sich sehr interessieren, dass ein Dybbuk mitten in Brulund lauert. Da ich auf dem Weg dorthin bin, um ihnen Namids Kopf zu geben, könnte ich es ihnen sagen."
"Das könntest du. Aber ich kann dir einen Gefallen tun, der dich davon abhalten wird. Glaube mir, du wirst es nicht bereuen. Als Gegenleistung verlange ich dein Schweigen und... sag, du kannst zaubern wie ein Magier?", fragte der letzte Dybbuk.
"Das kann ich. Mehr als das. Warum?"
"Ich brauche deine Hilfe", sagte er und erklärte Aran seinen Wunsch. Er gewährte ihm diesen, und im Austausch erzählte der letzte Dybbuk ihm von Caldorvan, vom Weißen Wolf und dem Fluch von Mond und Nebel.
Der letzte Dybbuk brach sein Gedankenspielchen ab, als die Hüter zurückkehrten. Namid lebte. Auch wenn er niemals ein menschliches Gefühl gekannt hatte, so konnte er nicht leugnen, das aus irgendwelchen Gründen etwas über ihn gekommen war: Erleichterung. Er brauchte einen Moment, dieses lästige Gefühl abzuschütteln. Sein Ziel war das elfte Lied. Es war das, was er unbedingt wollte: einen eigenen Körper. Dann bemerkte er etwas. Er war nicht mehr allein. Ein anderer Dybbuk lebte in einem neuen freien Körper. Weit weg, in der Kanzlei Bretonias.

Erec

Der Hüter der Quelle von Alt-Blyrtindur verweilte noch einen Moment im Lager des Schamanen. Grennwyrr ließ für Erec und Grirr etwas Wasser bringen, sowie für den alten Mann eine Decke. Erec ließ sich von Grirr erzählen, wie die Söldner Crenns ihn auf der Insel aufgespürt hatten. Grirr war auf der Suche nach Alysare gewesen, als er in den Bergen Erec begegnet war. Erec hatte sich als neuer Hüter vorgestellt, und die beiden waren ins Gespräch über Alysares Vermächtnis gekommen. Von dem Tagebuch wusste der Kelte ebenso wie von den anderen Aufzeichnungen, und auch, dass Alysare sie in den Händen von Albertus und Ofeigur hatte wissen wollen. Als die Wege der beiden sich getrennt hatten, war es Grirrs Absicht gewesen, die Stätte aufzusuchen, an der Alysare gestorben war. "Ich suche Alysare", hatte er gesagt. Obwohl Erec ihm erklärt hatte, dass die Hüter an einen besonderen Platz gehen würden, wenn ihr irdisches Leben endete, hatte Grirr darauf beharrt. Es war ihm zum Verhängnis geworden, als er in der Klamm, die zum alten Turm führte, von den Söldnern überrascht worden war. "Sie wollten, dass ich Blutproben von Namid und den anderen Wölfen nehme. Sie suchen den Weißen Wolf", erklärte er. Erec erinnerte sich an die Worte des Schamanen, aber um sicher zu sein fragte er noch einmal nach: "Du sagst also, dass der Weiße Wolf vom Thron des Winters her in die Welt gelangt und den Winter mit sich bringt?" "So ist es", antwortete Grennwyrr.
"Und wenn ihm ein anderer Wolf begegnet, dann zieht ihr in den Kampf gegen das Faulwasser?", fragte der Hüter nach.
"Dann werden wir in den Krieg ziehen. Wie alle Tierfürsten dem Fürsten aller Tiere folgen werden. Ob es Grimo ist, sein Sohn Thymo oder der Stammvater aller Bären."
"Tierfürsten?"
Der Schamane nickte. "Mein Rudel und ich, wir alle waren vor langer Zeit Menschen wie du. Es war Alysare, die uns auf diese Insel brachte, noch bevor Lazarus gefallen war und die neuen Hüter der anderen Insel bestimmt worden waren, bevor die Lange Nacht endete und die Sonne zurückkehrte. Als die Krone des Wolfes und der Drache einander bedrohten, da geschah es. Wir verwandelten uns in diese Form. Mit der Krone des Wolfes kam auch der Nebel. Stimmen hörten wir darin, und ich sah für einen Moment den Weißen Wolf. Danach waren wir wie wir jetzt sind. Wir lernten, dass jede Art von Tier einen Fürsten kennt, einen Stellvertreter für die ganze Art. Für die Bären ist es Vater Bär, dann wird es sein Sohn Grimo sein, der im Wilderland bei den Freien Frauen Kithei, Oshinya und Sverka lebt. Und eines Tages wird es dessen Sohn Thymo sein. Wo er ist, weiß ich nicht zu sagen. Für die Wölfe ist es der Weiße Wolf, aber er ist älter und mächtiger als alle anderen Tierfürsten. Und doch steht einer noch über ihm. Der, der alle einen kann, wenn das Faulwasser kommt."
"Von wem sprichst du?", fragte Erec.
"Der Fürst, der aus den Ketten gekommen ist."
Erec dachte an die Schatten aus der Anderwelt. Er hatte sie befreit, damit sie gegen das Abyssarium kämpfen würden, und am Ende hatten sie der Finsternis gedient. "Und wenn dieser Fürst nicht hält, was er verspricht?"
"Er wird tun, was getan werden muss. Ich kenne ihn nicht, aber wir alle wissen, dass er uns führen kann, wenn der Nebelmann den Weißen Wolf für ihn gezähmt hat. Der Fürst, der aus den Ketten gekommen ist, kann alle Tiere führen - nur den Weißen Wolf nicht. Dazu braucht der den Nebelmann. Caldorvan."
Erec nickte langsam. "Das könnte natürlich schwierig werden. Caldorvan ist ein Untoter, und ich wage zu behaupten, dass er mehr an der eigenen Macht interessiert ist als an Feldzügen gegen das Faulwasser. Höchstens, um die Burg seiner Familie zu erobern."
"Die Geschicke in Bretonia interessieren uns nicht. Dann muss man ihn eben zwingen, sein endgültiges Schicksal zu erfüllen", knurrte Grennwyrr.
Erec und Grirr tranken ihr Wasser, dann dankten sie den Wölfen für die Gastfreundschaft und traten den Rückweg in Alysares Dorf an. Dort angekommen, richtete Erec eine Schlafstätte für den alten Mann her, der sehr müde war. "Ich habe noch zu tun, bleibe aber in der Nähe."
Er lief in die Taverne. "Hrabanus", sagte er, und der Golem wachte auf. "Meister?"
"Nur Erec. Was kannst du mir über den Weißen Wolf sagen? Und über Lucius von Trar?"
Der Golem sprach metallen und monoton. "Der Weiße Wolf ist eine hiesige und auch überregionale Legende, die das Kommen des Winters auf eine sentimentale mythische und emotional erträgliche Art in eine für Sterbliche brauchbare Metapher transponiert. In den Legenden heißt es, der Thron des Winters am Ende der Welt schicke mit der Kraft des Mondes einen Sendboten, den Weißen Wolf, der den Winter in das Land bringt. Man sagt, er reinkarniere in jedem Jahr. Lucius von Trar war ein bretonischer Vasall der Krone, der in Burg Witrin lebte. Die Burg verlor er in den Thronfolgekriegen, und gegen Ende des Bürgerkrieges verwandelte er sich in einen weißen Wolf und verschwand, nachdem Lord Dryr gefallen war."
"Interessant. Und Spuren gibt es keine? Kann es sein, dass Lucius eine Inkarnation dieses Weißen Wolfes ist?"
"Es gibt keine mir bekannten Spuren. Nein, es ist nicht möglich, dass Lucius eine Inkarnation des Weißen Wolfes ist."
"Warum denn nicht?", fragte Erec.
"Es ist eine Legende."
Erec schmunzelte. "Natürlich. Ich danke dir", sagte er und schaltete den Golem aus. Er beschloss, den Hütern - gleich was es bringen würde - eine Nachricht über diese Erkenntnisse und auch von dem Gespräch mit Grennwyr zukommen zu lassen. Dann richtete auch er sich eine Schlafstätte her, verschloss die Tür zur Taverne und schlief nur schwer ein, denn er hoffte, wieder vom Mysterium zu träumen. Was ihn davon abhielt, zu schlafen, das waren die Zahlen, die einfach nicht verschwinden wollten: 3x4. 1+2+3. 7. 11-1.

Nour

Die schwarze Katze schlich durch das Dickicht. Zhaerius hatte ihr aufgetragen, Maga Aethel und ihre Begleiter aufzuspüren. "Und wenn sie in die Zone gehen, um den Spiegel zu holen?", hatte sie gezischt. "Dann wirst du ihnen wohl folgen müssen, Kätzlein", hatte die Antwort des Lebaners gelautet. Nour verfluchte sich selbst, als sie überlegte, wie weit sie gekommen war: Von der Hauptfrau des Khagans zu nicht mehr als einer weiteren Nebenfrau, die Tysandras Bett zu richten hatte, bis sie - jetzt - einem scheinbar Wahnsinnigen bei seinen Machenschaften half. Und wofür? Damit er vielleicht sein Versprechen einlöste, sie würde Tysandra töten dürfen, sobald sie gefunden wäre.
Aber dafür brauchten sie Dakhils Ecaloscop. Zhaerius hatte ihre Frage, wie es darum stehen würde, einfach ignoriert. So wie er sie ignoriert hatte, als sie kurz davor war, Dakhil zu töten. Vielleicht sollte sie einfach aufhören. Doch wohin gehen? Über Samariq lag die Kuppel der Zendavesta, und in diesem Land wollte jeder ihren Tod. Zurück zu Dakhil? Niemals. Er hatte ihr nicht vertraut, und er hatte ihr Cleophos geschickt, um Erika zu rauben. Das war auch der Moment gewesen, an dem sie sich entschieden hatte, Cleophos zu verschonen, mit leeren Händen mitten in der Heimat der Nordmenschen zu lassen und Dakhils Leben zu nehmen. Dazu kam, dass er tatsächlich etwas für die Bretonin empfand und ihr ein Kind gemacht hatte. Und das wollte der Auserwählte Amurs sein? Wie konnte er nur so vermessen sein, zu glauben, dass für ihn die alten Sitten und Regeln der Hun keinen Wert hatten? Eine Bretonin zu schwängern war wohl das Letzte, woran jemand wie Khagan Shanesh dachte - oder jeder andere Hun. In ihren Augen hatte Dakhil damit alles verraten. Und Schwäche gezeigt.
Es dauerte nicht lange, da witterte sie schon die trockene Fotze der Keltenanführerin. Sie hatte wohl eine Weile keinen Mann mehr, auch wenn Nour die Spuren alter Vergnügungen riechen konnte. Sie witterte aber auch die Valkyn. Darum hielt sie Abstand. Sichtweite, das musste genügen. Die Valkyn und der Wolf der Keltin erkundeten den Fluss, das Ufer auf der anderen Seite und den Hof Goldklang, wo Zhaerius den Spiegel gefunden hatte. Die anderen warteten auf dieser Seite des Flusses. Nour fühlte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief, ihre Haare sich aufrichteten und jeder Muskel schon darauf lauerte, einen einzigen großen Satz zu machen, Aethel die Kehle durchzubeissen und sie zu verschleppen. Es wäre so einfach - und war es doch nicht: Nour spürte, wie die Hand des Todesengels sie packte und davon abhielt, ihren Instinkten und dem Verlangen zu folgen. Der Fluch, den Zhaerius über sie gesprochen hatte, er war zu stark. Sie konnte nur lauschen und beobachten. Die beiden Späher kehrten zurück. Die Gruppe lief zur Brücke, überquerte sie und betrat den Eisenwall, nachdem eines der Faulwasserwesen sie durchsucht hatte. Nour wollte ihnen folgen, aber etwas hielt sie auf. Es war nicht der Fluch, denn Zhaerius verlangte von ihr, auch eine Zone zu betreten, wenn es nötig war. Es war etwas ganz anderes: Furcht. So sehr sie auch versuchte, sie zu überwinden, diese Furcht drängte sich auf, schnürte fast ihre Kehle zu und warf sie fast zurück, weit weg von den Wesen. Und wenn es ein anderer Fluch war, der, der keiner war?
"Der Fluch von Mond und Nebel macht uns stark", hatte ihr Dakhil vor so langer Zeit erklärt, als sie noch in Samariq waren und mit der Horde am Berg Amur Heb gelagert hatten. In der Nähe des großen Tempels gelegen, war der Berg eine heilige Stätte. Jeder Hun pilgerte einmal im Leben an diese Stelle, um vierzig Stunden weder zu trinken noch zu essen, in ein tiefes Gebet zu versinken. Dakhil hatte dies schon getan, und an jenem Tag war es ihre Pflicht gewesen. Er war bei ihr geblieben und hielt ihre Hand. Von seiner Wanderung durch die Wüste hatte er ihr erzählt. Vierzig Tage und Nächte war er allein der Sonne ausgesetzt gewesen und doch nicht gestorben.
Es war Nour vorgekommen, als wäre der gesamte Weg Dakhils eine Prüfung gewesen. Vor der Vision Amurs, lange Jahre bevor er zum Khagan geworden war, da war er ein Sklave in Tectaria gewesen. Und als Dakhil am nächsten Morgen, nach dem Gebet, seinen Mannen erklärt hatte, dass es an der Zeit wäre, den letzten der Familie Farth zu vernichten, da erst hatte er die ganze Geschichte erzählt. Von den Minen, den Ketten, von dem Mann, der ihn gerettet hatte und auch vom Nebel. Es musste derselbe Nebel gewesen sein, der vor einigen Jahren zusammen mit dem Weihrauch in das Zelt gestiegen war: Nour war zur Hauptfrau ernannt worden. Flötenspielerinnen und Tänzerinnen, alle unbekleidet, brachten die junge Frau in das Zelt des Khagans. Sie lächelte ihm zu und begann auf seinen Wunsch hin, ihre Nippel zu streicheln, bis sie sich aufrichteten. Dann steckte sie einen Finger in den Mund, leckte daran und schob ihn dann tief in ihre Weiblichkeit. Sie sah, wie Dakhils Gemächt sich aufrichtete, als die anderen Frauen zu ihr kamen, ihre Lenden mit der Zunge liebkosten und sie dann zu ihm brachten. Nour kniete und nahm das Gemächt ihres Herrn in eine Hand, rieb daran und küsste es, bevor sie es in den Mund nahm. Eine der Frauen liebkoste sie derweil zwischen den Beinen, bis Dakhil Nour packte, auf den Bauch drehte und tief in sie eindrang. Die Frauen streichelten beide und sahen zu. Doch aus dem Stöhnen und Keuchen beider wurde ein Knurren und Fauchen. Weihrauch und Nebel kamen in das Zelt. Irgendwann roch Nour Blut und spürte Fell zwischen ihren Beinen. Als der Nebel verschwunden war, da lagen die Frauen in ihrem eigenen Blut, und die schwarze Katze schlief satt und zufrieden in den Armen des Großen Panthers ein.
Sie vermisste ihn. Trotzdem er so viel Schwäche gezeigt hatte, als er Tysandra in sein Bett geholt hatte, er war immer noch ein großer Mann. Ihr Panther, ihr Herz. Fast spürte sie Bedauern, dass sie ihn töten wollte. Doch Stolz war etwas, das Nour niemals abgelegt hatte. Er hatte sie mit Füßen getreten, und so würden sie beide eines Tages ein Opfer bringen: Er sein Leben und sie die Liebe ihres Lebens.
Nour kletterte auf einen Hügel, durch den Wald, bis sie sich in einem Graben an der Nordstraße Bretonias verwandelte. Als einfache Hun spazierte sie ein Stück die Straße hinauf, um dann nach rechts in Richtung der Abtei abzubiegen. Die Gruppe betrat das Gebäude. Ein Magier war bei ihnen. In die Abtei wagte sie sich nicht, also folgte sie den Spuren bis zu einem Wachturm in der Nähe. Leichen verbrannten dort, und sie sah Kampfspuren. Die Rüstungen erkannte sie. Sie schlich eilig in den Turm und fand etwas Proviant und Ausrüstung der Söldner. Außerdem lag in einem kleinen Beutel ein Kristall. Er summte leise. Eine Stimme war zu hören. Nour kannte ihn: Crenn.

Cleophos

Der Scharlachrote Lord schaute auf, als Hrafna in das Gemeinschaftshaus kam. Hatten sie etwa nun eine ganz andere Entscheidung getroffen, nämlich die, ihm nicht zu vertrauen? Wenn sie es überhaupt taten, obwohl Cleophos mit keinem Wort gelogen hatte: Nicht er wollte den Tod seines Bruders, und ganz sicher war er kein Verräter gewesen, als er sich Dakhil und Zhaerius angeschlossen hatte. Das einzige, worüber er geschwiegen hatte, waren die Dinge, die er von Aldwyn vor so langer Zeit erfahren hatte. Der alte Mann, der nun schon lange Abt in der Abtei bei Bretonia war, der ebenso der Lehrer von Remigius war, welcher wie Cleophos irgendwann zum Hüter werden sollte, hatte ihn vor den zwei Gesichtern des jungen Zhaerius gewarnt. Er hatte ihm von der Tinktur erzählt, deren Hauptbestandteil nur in Tectaria zu finden wäre. Cleophos wusste nicht, ob er ein Gebot brechen würde, wenn er es in Skjöldbur jedem erzählt hätte - nur darum hatte er darüber geschwiegen. Aber er hatte erzählt, dass er selbst Hüter gewesen war und wie Zhaerius ihn getäuscht hatte und auch von der Quelle getrunken hatte. So hoffte Cleophos, die Skjöldburer würden ihn jetzt nicht ausliefern. "Hetman", grüßte er Hrafna.
"Du kommst jetzt mit. Wir müssen dich verstecken."
"Was ist passiert?"
"Wie du weißt, sucht man dich. Zu deiner eigenen Sicherheit kommst du jetzt nach unten, zur Quelle. Kein Wort. Verhalte dich ruhig. Wage eine Dummheit, und ich vergesse persönlich, dass du uns nützliche Informationen geliefert hast."
Cleophos nickte. "Ihr habt den Spiegel noch nicht anbringen können. Was ist mit den anderen?"
"Darüber weiß ich noch nichts."
Er folgte den Wachen in die Quelle. Dass es eine war, musste man ihm nicht sagen, denn er fühlte es in jedem Winkel. Einer der Halbriesen gab ihm eine Decke, eine Flasche Met und brummte: "Du setzt dich jetzt schön in die Ecke und hältst den Mund."
Der einstige Hüter von Alt-Blyrtindur antwortete nicht und tat wie ihm befohlen wurde. Er trank Met, legte die Decke um seine Schultern und wartete. Theresia oder Baelon mussten jemanden geschickt haben. Wahrscheinlich Emes. Als der Bretonianer in Terra Brumalis seinen Dienst tat, hatte Cleophos davon gehört. Er bewunderte ihn. Emes wäre ein geeigneter Hüter, doch sein Herz war durch und durch das eines Bretonianers. Erst recht, als der Hüne Crenn im Kampf gestellt hatte und ihm das Gesicht entstellte. Vor Emes hatte jeder Respekt, und wenn er hier wäre, er würde ihn auch hier unten finden. Dann wäre es zu Ende. Niemand in Bretonia würde ihm glauben.
Er fühlte sich noch immer wie ein Hüter der Insel, und als Alysare gestorben war, da hatte er es gespürt. Er hatte auch das Gesicht des neuen Hüters vor Augen: Erec. So hoffte er, dieser hätte entdeckt, was er keinem mehr hatte sagen können als Dakhil ins Land gekommen war, und Cleophos gehört hatte, wie Zhaerius ihm folgte. Die Zahlen: 3x4. 1+2+3. 7. 11-1. Was sie bedeuteten, wusste er nicht. Aber seit er sie gesehen hatte, träumte er oft davon. Sogar als er das Laken von Tysandra hatte prüfen lassen und so erfahren hatte, dass nicht etwa Dakhil sondern Velas der Vater des Ungeborenen war, kamen ihm die Zahlen in den Sinn. Schnell trank er wieder einen Schluck und legte seinen Kopf an die eisige Wand. Er hörte das Rauschen der Quelle, obwohl sie vereist und ganz still war. Dass er sein Amt als Hüter für Tysandra, die er hatte trinken lassen, um sie niemals sterben sehen zu müssen, abgelegt hatte, konnte er sich nicht vergeben: Für die Liebe einer Frau, die ihn erst mit Velas und dann mit Dakhil betrogen hatte, hatte er alles aufgegeben und die Insel im Stich gelassen. Vielleicht war das hier nun die Strafe. Es war doch kein Wunder gewesen, dass Tysandras Herz für Velas schlug. Er hatte seine Frau geliebt, er tat es immer noch, aber gegeben hatte er ihr nichts. Denn sein Herz, das fühlte er hier unten besonders stark, es lag immer noch auf der Insel:
"Du bist ein Scharlachroter Tod", hatte der Fremde ihm gesagt, als Cleophos das Inland des Eilandes erkundet hatte. Er war dem Fremden dort begegnet, wo heute die Hun siedelten.
"Was meinst du damit?"
"Eines Tages wirst du es erfahren. Du hast aber nun eine Aufgabe. Folge mir."
Der Fremde war gemeinsam mit ihm und Zhaerius auf eine andere Insel gefahren. "Du wartest hier", befahl er dem Mönch. Zhaerius wartete oben am See, und der Fremde und Cleophos tauchten hinab, bis sie der Quelle von Alt-Blyrtindur entstiegen. Er erklärte ihm die Aufgabe und ebenso die Aufgabe der großen Quelle auf Blyrtindur. "Trinke das", sagte er und gab ihm eine Flasche, "es ist das Wasser der großen Quelle. Du wirst sehr lange leben und nicht sterben. Es sei denn, die Insel ist fertig mit dir."
"Und Tectaria, meine Heimat?"
"Tectaria ist ein verfluchtes Land. Was von dort kommt, bringt den Fluch mit. Du aber bist anders."
"Eben nanntest du mich den scharlachroten Tod."
"Das ist eine andere Geschichte", antwortete der Fremde, und Cleophos trank vom Wasser.
Zhaerius war lange seine rechte Hand gewesen, und vielleicht hätte Cleophos ihn eines Tages zum Hüter ernannt. Eines Tages aber, da spürte er, dass der Mönch heimlich zur anderen Insel gefahren war und es geschafft hatte, von der Quelle zu trinken. Es war der Tag gewesen, an dem er ihn verbannt hatte. Seit ihrer Jugend hatten sie sich gekannt. Aldwyn hatte ihn und Cleophos erzogen. Dort hatte Cleophos auch von der Tinktur und dem zweiten Gesicht erfahren. "Achte auf ihn", hatte Aldwyn zum Abschied gesprochen, bevor Cleophos und Zhaerius mit der Elysia nach Marjastika aufgebrochen waren - und auf Blyrtindur gestrandet waren. Jetzt konnte er nicht mehr auf Zhaerius achten. Auf der Insel hatte er noch Vorräte aus dem Wrack bergen können, aber die Tinktur dürfte schon sehr lange aufgebraucht sein.
"Verdammt!", brüllte der dvergische Runenleser.
Dies riss Cleophos aus seinen Gedanken. Er sah sich um, warf die Flasche fort und rief: "Eine Waffe, schnell!"
Das Faulwasser war gekommen.

Der Mann mit den vielen Augen

Er saß am abendlichen Feuer in gemütlicher Runde und dachte über die Geschehnisse im Labor nach. Dann nahm er den letzten Schluck Met, nickte Bephemos zu und ging in sein Zelt. Er nahm den Kristall zur Hand und hörte eine weibliche Stimme die ihm antwortete. Es war Nour.
"Es ist gut, dich zu hören. Hast du meine Leute am Turm getötet?", fragte er.
"Nein. Ich fand nur ihre brennenden Leichen. Es ist lange her, Crenn."
"Wie ich höre, hast du Dakhil verlassen?"
"Ja."
"Nun, vielleicht kommen wir ins Geschäft. Sage mir, was weißt du über Zhaerius von Maegranth?"

Der Fassreiter

Der Gelehrte schrieb weiter in seinem Buch. Zuerst hatte er den Anfang von allem, das Wort 'Logos' so übersetzt: Wort. Am Anfang war das Wort. Aber als er die Skjöldburer gegen die Finsternis hatte siegen lassen, da kam ihm, dem Suchenden, etwas anderes in den Sinn: Am Anfang war die Tat! Er, der das Mysterium des Makrokosmos suchte, fühlte wie die Schmach des Erdgeistes Gwayan langsam in Vergessenheit geriet, und sein Vorhaben, sich das Leben zu nehmen, war ganz verschwunden. Er streichelte dem Wolf, der ihm heute gefolgt war, den Kopf. "Ich will dich Lucius nennen."
Alea iacta est.

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 19 Nov 2012, 18:13

ZWISCHENSPIEL VI

- Märchen -

Die Katze und der weise Mann

Es war einmal eine Katze. Sie schlich durch die Nacht und sah endlich ein Haus. Ein weiser Mann öffnete die Tür und die Katze gab ihr einen Brief von der Zauberin, die eine Gefährtin des Mannes war, dessen Herrin die Ziehmutter der Königin des Lebens war. Die Katze wusste das nicht. Sie wusste nur, dass der weise Mann ihr helfen würde, einen schlimmen Fluch zu brechen. Nachdem der weise Mann den Brief gelesen hatte, da nickte er der Katze zu und ging an die Arbeit. Etwas Zeit verging, da spürte die Katze, dass der Fluch endlich fort war - sie war frei. Was sie nicht ahnte, das war, dass der weise Mann den Fluch verändert hatte. Sie konnte die Beute, die sie jagte, nicht mehr wittern. Warum der weise Mann die Katze aber in den Stall geführt hatte, weit weg vom Haus, fragte sich die Katze. Der weise Mann hatte keine Antwort darauf gegeben. Wollte er etwas beschützen?
Als die Katze den Stall verließ, da wusste sie, dass der weise Mann sie nicht mehr sehen konnte. Sie kletterte die Wand hinauf, und der Mond schien ganz hell.
"Der Mond bestraft die Sünden", flüsterte eine Stimme, und die Katze sah, zu wem sie gehörte. "Nein", antwortete sie, und ihre Krallen bohrten sich in das Fleisch der Beute.

Die alte Krähe und der Elch

Es war einmal eine Krähe. Sie lief durch den tiefen Schnee. Der Eber war fast versunken, als sie das Meer Jorgans überquerten und wartete nun jenseits der Eiswüste. Auf der Spitze eines Hügels sah die Krähe einen Elch, der majestätisch in die Ferne schaute, sie aber schon längst bemerkt hatte. Die Krähe kletterte mühsam hinauf. "Du bist spät, Krähenmann", sprach der Elch.
"Meine alten Knochen wollen nicht mehr. Aber ich habe viel zu tun", antwortete die Krähe.
"Mond und Nebel sind in Aufruhr, Krähenmann."
"Ja. Und darum muss ich meine Kinder im Winterhain finden."
"Dann hast du einen sehr weiten Weg vor dir. Du weißt, was dich am Thron des Winters erwartet?"
Die Krähe nickte. "Der Winterkönig."
"Oh ja. Der Zyklus des Wollens und Schaffens beginnt in jedem Jahr erneut."
"Aber jetzt ist alles anders geworden, mein Fürst. Du hast es auch gesehen, darauf wette ich", krähte sie.
"Das Faulwasser ist im Süden angekommen. Aber hier kann es uns nicht finden."
"Wir müssen kämpfen. Die Menschen verwandeln sich. Es ist bald zu spät", sagte die Krähe.
"Der Weiße Wolf ist noch nicht hier. Solange geschieht nichts. Der Fürst aus den Ketten schweigt. Er ist in Trauer und sucht Rache. Wenn er nicht beruhigt wird, kämpft niemand. Und ohne die Lieder geschieht überhaupt nichts", sagte der Elch und knurrte.
"Von den Liedern habe ich das erste Mal gehört als ich noch im Süden war. Warum weißt du davon?"
Der Elch antwortete nicht, und die Krähe sah sich einem der schwarzen Reiter des Winterkönigs gegenüber. Der Reiter sprang von seiner Spinne. Die Krähe lief schnell den Hügel hinab, aber die Beine der Spinne packten sie und drückten sie tief in den Schnee. Dann wurde es dunkel und noch kälter als im Jorganschelf.

Die Königin und der Sohn des Schwertes

Es war einmal der Sohn des Schwertes. Er schaute auf einen Kopf. Für einen Moment dachte er, noch immer das gemeine Grinsen auf den Lippen des Geköpften zu sehen. Dann schüttelte er sich, bis er endlich den Fehler erkannte, den er begangen hatte. Er rief sofort eine Wache und ließ sich in eine Kammer sperren. "Ruft sie. Und am besten auch einige Zauberer. Die werden wir brauchen", sagte der Sohn des Schwertes. Kurz darauf kam seine Königin in das Zimmer, in Begleitung der Garde. "Was habt Ihr nur getan?", fragte sie. Und der Sohn des Schwertes erklärte seinen Zorn. Wie er in den Kriegen die einzige Frau verloren hatte, der er sein Herz geschenkt hatte; wie die Sorge um ein Mädchen ihn fast umgebracht hätte, und wie er tief in die Freuden und Leiden des Weines versunken war - wie er dachte, dass niemand ihm vertraute und am wenigsten er sich selbst. Seine Königin erklärte ihm, dass niemand größer sein könne als er selbst sei, aber dass einjeder danach streben müsse - ohne zu fallen. Und wenn doch, dann wäre er nie allein.

Der Geköpfte und sein Gast

Es war einmal einer, der seinen Kopf verloren hatte. Der Geköpfte war sicher traurig darum, doch zu seinen Lebzeiten hatte er in Sünde gelebt und viele Menschen waren darum gestorben. Wie konnte er also etwas anderes erwarten? Sein Gast hingegen war hoch erfreut, dass die Klinge des Sohnes des Schwertes ihn befreit hatte. Und weil er so dankbar war - und der Sohn des Schwertes nutzlos für ihn - kletterte er in einen Hausdiener und verließ die große Stadt.
Im Dörflein brannten Scheiterhaufen und gar seltsame Gestalten, haarlos und mit leeren Augen, starben darin. Es roch seltsam. Nicht nur nach verbranntem Fleisch, auch nach faulem Wasser. Der Gast schlich die Straße hinab, klaute einen Gaul und ritt in irgendeine Richtung. Überall sah er diese seltsamen Gestalten. Als er ein Haus sah und einen weisen Mann darin, da fiel der Hausdiener vom Pferd, und der Gast betrat das Haus. Er hörte, wie ein kleines Kind laut weinte. Es war gerade auf die Welt gekommen.
"Hier ist es schön", dachte sich der Gast und kletterte hinein.

Der Panther und die Stimme

Es war einmal ein Panther. Er war fromm und hatte sein Leben Amur verschrieben. Vor langer Zeit, da hatte er in Ketten gelegen, aber Amur hatte ihn erhört und gerettet. Und auf dem großen Meer, da war er ihm das erste Mal erschienen und gab ihm viel Kraft und Mut. Der Panther war nun ein großer Anführer, und alle Tiere der Welt würden ihm eines Tages folgen. Aber er war sehr traurig, denn niemand hatte ihm glauben wollen, dass Amur ihn erwählt hatte. Der Panther hatte von der Wüste erzählt, wie er vierzig Tage und vierzig Nächte ohne Nahrung und Wasser ausgehalten hatte, bis Amur ihm ein zweites Mal erschienen war: "Du musst mein Hirte sein. Führe mein Volk und auch die, die meinen Namen kennen. Du kannst der Finsternis nehmen, was sie nicht haben soll. Den Stab der Erschaffung. Nur du allein." Da war der Panther sehr ängstlich gewesen. "Ich? Allein? Was geschieht, wenn ich versage oder sie mir nicht glauben wollen?" "Dann wird das Faulwasser kommen. Die Plage, die nie enden wird. Die Strafe, die über die Welt kommt." Der Panther war verwirrt gewesen. "Eine Strafe? Aber du hast die Welt geschaffen. Und der Meshiha Deghala ist besiegt, jener, der dein großer Widersacher war, der Prophet aller Lügen." "Die Strafe, die kommen wird, ist die Strafe für jene, die auf mein Wort nicht hören und dir nicht glauben wollen!"
Heute hörte der Panther die Stimme wieder. Das war, nachdem die Thel'Ein fortgegangen war. "Sei mein Wort, wenn sie kommen."
"Dein Wort?", fragte der Panther.
"Mein Wort. Weise meinem Propheten den Weg."
"Wo finde ich ihn?"
"Er ist der Ehemann der Königin des Lebens."

Das Mädchen und der Mond

Es war einmal ein Mädchen, das sehr traurig war, denn sein Geliebter war weit weg auf einer verfluchten Insel. Es würde ihn nie wiedersehen, denn ihre Sünden hatten sie eingesperrt in diese engen Mauern. Ihr Bauch war größer geworden, weil sie durch ihre Sünde ein Kind empfangen hatte. Der Mann in Rüstung hatte es einen Bastard genannt, und die Königin hatte das Mädchen fortschicken lassen. Wie es die Herrscherin und den Sohn des Schwertes enttäuscht hatte, konnte sich das Mädchen kaum ausmalen. Und bestimmt auch den Ehemann der Königin, denn er war der Prophet Amurs. Das Mädchen glaubte nicht an Amur als seinen höchsten Gott, aber Liras und Leban, dessen Engel, waren ihm Götter. Aber vor Leban, dem Mond, fürchtete sich das Mädchen, denn er bestrafte die Sünder. Wie er durch das Dachfenster schaute, wo der weise Mann dem Mädchen ein Bett gerichtet hatte, da war dem Mädchen ganz kalt geworden. Der Himmel war schwarz, und der helle Mondschein tat in den Schläfen des Mädchens weh. Es dachte wieder an den Geliebten und dass es ihn niemals mehr sehen würde. "Der Mond bestraft die Sünden", flüsterte das Mädchen leise.
"Nein", antwortete eine Stimme.
Das Mädchen sah immer noch in den Himmel, hielt seinen Bauch und dachte an das Kind.
"Schnell, schneidet es heraus!", rief der weise Mann.
Und dann wurde es auf einmal ganz still und das Mädchen fühlte seine Sünden nimmer mehr.
Alea iacta est.

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 24 Nov 2012, 21:47

3


Velas

Sie war tot. Und er war nicht dort, um sie zu beschützen, denn er hatte sie verlassen. Ob es sein Stolz war oder die damals für ihn unumstößliche Tatsache, dass ein Kind ihnen mehr Unglück als Glück bescherte, das wusste er jetzt nicht mehr. Er erinnerte sich an die Nächte, die sie im Versteck verbracht hatten, im Garten ihres Vaters. Dort hatte sie ihm auch ihr Geheimnis erzählt. Eines, das er jetzt nicht mehr schützen musste, denn Tysandra war tot. Eines, das vielleicht Leben retten würde. Doch jetzt war nicht der Moment dafür. Trauer umfing ihn, auch als er Mellwen sah - und natürlich Liurroccar. Er fühlte, dass ihr Anblick ihn trösten wollte, so wie er sich in ihn verliebt hatte - ein Gefühl, das er leugnen wollte, für Tysandra. Aber Trost war trotzdem so unendlich weit weg. Selbst als die beiden ihn begrüßten und sie für die Lektionen in eine abgeschiedene Stube gingen. Tysandra war tot und er spürte, dass ihn Schuld umfing. Schuld, die umarmt wurde von den neu erweckten Fähigkeiten.
Am Mittag ging er auf und ab, auf dem Platz, in der Taverne. Zumindest gab es keine schlechten Nachrichten von Lucia. Immer noch hatte sie den Dybbuk in sich und unterdrückte ihn. Begeisternd war es nicht, aber so wusste man wenigstens, wo sich der böse Geist aufhielt, der Velas eher wie ein Schalk vorgekommen war. Er lief zu Ervial, der Buße getan hatte, dann brachte Bephemos den Händler zu ihm. "Er hat seinen Dienst verrichtet, Kommandant."
"Gut, weitermachen."
Szandrok wartete, bis Bephemos gegangen war. "Begleitet mich ein Stück", sagte Velas dann und legte kurz seine Hand auf die Schulter des Mannes. "Wie geht es Euch nun?"
"Die Frage ist doch, wie es Euch geht, Velas", antwortete Szandrok, als sie allein waren.
"Wie meinen?"
"Eure geliebte Tysandra ist tot."
Velas zog sein Schwert. "Woher wisst Ihr das?"
"Die Lebaner im Gewölbe haben darüber gesprochen. Ich denke, sie wissen es durch Lucia? Sie ist in Brulund, hörte ich", antwortete der Händler und blieb seltsam gelassen angesichts der Klinge.
"Wer seid Ihr...?"
Szandrok lächelte. "Ich bin Szarak Crenn. Und bevor Ihr mich nun tötet - was Ihr nicht werdet - hört mich lieber an."
"Warum sollte ich Euch nicht sofort erschlagen?"
Crenn antwortete. Was Velas hörte, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. "Ich muss Euch trotzdem verhaften. Ich werde erfolgreicher als Emes sein, der Euch entstellte!"
"Werdet Ihr nicht. An meinem Wams war ein Gift, das ich Euch verabreichte, als Ihr mich berührt habt, Velas. Genauer gesagt: In einigen Stunden werdet Ihr tot sein, wenn Ihr nicht genau tut, was ich Euch sage. Es gibt für Euch nur einen Weg, an das Gegengift zu gelangen."
"Warum tut Ihr das?", fragte Velas und fühlte Müdigkeit.
"Das Gegengift kann Euch nur die Person geben, die ich nannte. Als Gegenleistung werdet Ihr sie für mich umbringen."
"Wer sagt, dass ich nicht ohnehin sterben will? Ich habe alles verloren!", rief Velas.
"Seid nicht albern. Da ist doch die Keltin, für die Euer Herz schlägt. Denkt an sie, wollt Ihr es wenigstens für sie tun, wenn schon nicht für mich?"
Velas senkte den Blick, wie auch die Klinge. Er wollte leben. Dann hob er den Kopf, um die Wachen zu rufen, aber Szarak Crenn war verschwunden. Velas sattelte sein Pferd. "Kommandant!", brüllte Bephemos und wollte ihn aufhalten - da war Velas schon lang auf dem Weg zu Ofeigur.

Erec

Der Hüter von Alt-Blyrtindur hatte sich gerade von Grirr verabschiedet, der in seinem Hain einige Dinge besorgen wollte. "Wir treffen uns an der Küste", hatte Erec gesagt. Sie hatten den Plan gefasst, gemeinsam das Geheimnis der Zahlen zu ergründen: 3x4. 1+2+3. 7. 11-1. Erec konnte sie einfach nicht abschütteln. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Wenn er meditierte, sah er sie. Wenn er schlief, sah er sie, und selbst wenn er wach war, kamen sie immer wieder. Wie ein Gedanke, der nicht enden mochte. Es war nicht abzustellen. Erst hatte es ihn fasziniert, dann wurde es beinahe lästig - aber dass sie eine tiefere Bedeutung hatten, stand für ihn außer Frage. In der Schule Aldwyns hatten er und Hrabanus viel über die Zahlenmystik gelernt, aber diese genaue Abfolge, zusammen mit den mathematischen Zeichen, sie war neu. Und doch schien sie uralt zu sein. Das Gefühl, wenn er an die Zahlen dachte, es war fremd und doch vertraut. Hatte er etwas vergessen?
Erec lief in die Taverne. Gwayan hatte ihm ein Geschenk hinterlassen, und er würde es nun benutzen. Er nahm die Phiole mit dem Traumwasser. Genau befolgte er Gwayans Anweisungen, als er sich an die Zeit in der Abtei erinnerte und dann das Wasser trank. Er träumte nun.
"...und die 12, sie ist in gewisser Weise noch vollkommener als die 10. Aber wisset, die 11 ist eine böse, dunkle Zahl. Meidet sie stets. Aber nun wollen wir über die Sphären sprechen, Brüder und Schwestern."
Er durchlebte den ganzen Unterricht, aber da war nichts, das neu war oder woran er sich nicht mehr hätte erinnert. Nach den Lektionen führte der Abt oft Gespräche mit denen, die noch mehr Fragen hatten, und Erec und Hrabanus gehörten immer dazu. Besonders Hrabanus. Er war immer neugierig und am liebsten hätte er alles sofort am selben Tag erfahren. Und an einem Tag hatte Erec Dienst in den Stallungen zu tun, und Hrabanus, er war allein zum Abt gegangen. Er erinnerte sich nun genau. Ist an diesem Tag etwas geschehen, was hatte er erfahren? Dass das Traumwasser ihn genau daran erinnerte, musste doch ein Zeichen sein!
Er wachte auf. Hrabanus konnte er nicht mehr fragen. Sein Bruder war allein auf der Insel der Finsternis. Der Weinende Gott, der die Sterne sieht. "Die Sterne!", rief Erec auf einmal. Eilig griff er Pergament und Kohlestift, trat vor die Taverne auf den Dorfplatz und sah in den Himmel. Dort oben war der Abendstern, weit daneben das Einhorn, der Drache. Er sah den Streitwagen, das Hufeisen und die Lyra. Die Lyra. Die Lieder! "3x4. 1+2+3. 7. 11-1", wiederholte er immer wieder, während er Punkte auf das Pergament setzte, daneben Zahlen, dazu Linien, um alles zu verbinden. Plötzlich erkannte er das Zeichen des Makrokosmos, das Aldwyn im Unterricht an die Tafel gekritzelt hatte. Aber wozu führte das nun? Ratlos, aber immer noch aufgewühlt, betrachtete er den Sternenhimmel, die zweite Sphäre. Aldwyn hatte immer gesagt: "In der zweiten Sphäre lesen wir unsere Fragen, und die Götter antworten, wenn wir beten." Erec kniete nieder und schloss die Augen. Er sah seine Mutter, die über ihn wachte. Er sah seine neuen Freunde aus Brulund. Und er fühlte, dass in genau jenem Moment Hrabanus in die Sterne sah und weinte. Erec sprach sein Gebet. Er bat um Erkenntnis, Erleuchtung. Wieder stieg er hinauf in die Sterne. Die Götter blinzelten. Manche hoben den Arm und grüßten ihn. Er sah ihre Hallen, aber er sah auch die Toten, und er spürte die Angst derjenigen, die im Purgatorium gereinigt wurden. Dann war da wieder die Tür. Sein Name stand darauf. Erec öffnete sie und sah das Mysterium.

Aurelion

Er lief durch eine Wüste. Aber weder verbrannte ihn die Sonne, noch spürte er Erschöpfung oder Durst. Auch war er kein Mensch. Als Panther lief er mühelos durch den Sand und hatte eine Witterung aufgenommen. Er roch seine Beute. Immer schneller lief der Panther, bis er sein Opfer sehen konnte, wie es sich mühsam und von Angst getrieben durch die Wüste schleppte. Der Panther machte einen großen Satz, um eine Düne zu überwinden, dann hörte er seine eigene Stimme: "Zhaerius, der mich hasst." Seine Beute lag im Sand, Skorpione hielten sie fest. Der Panther grub seine Krallen tief in den Mann in Schwarz.
Aurelion wachte auf. Er warf sich seinen Umhang über und ging die Stufen hinauf. "Sind wir bald da, Kapitän? Ich werde erwartet." "Bald, sehr bald. Dort hinten ist der Fjord, die Ostfold ist nah."
Der Abschied von Theresia war ihm schmerzhaft gewesen. Gerade in dieser dunklen Zeit, mit den Malstromwesen in den Lehen und der Bedrohung durch Maegranth und Crenn, wollte er sie nicht allein lassen. Baelon schien sich gesammelt zu haben, aber durch ihn gab es einen weiteren freien Dybbuk. Und doch befahl ihn Amur in das Land im Norden. Bevor er diesen Traum von der Wüste geträumt hatte, waren es andere Bilder gewesen, die er in den Nächten zuvor gesehen hatte. Bilder einer Schlacht im Tal Beltain, dann der Tod Tysandras durch Nours Hand. Schließlich hatte er Mutter Kelar gesehen. Die alte Frau, die einst Lucius von Trar im Bürgerkrieg beraten hatte, stand vor ihm in einem Hain aus Eis und Schnee. "Wo bin ich?", fragte er.
"Im Winterhain, wie er war. Als der Thron des Winters noch frei war. Er ist es jetzt nicht mehr. Der Schwarze Fürst ruht dort. Nein, er ruht nicht, er ist rastlos."
"Wer ist das? Und warum rastlos?", fragte Aurelion im Traum.
"Der Winterkönig ruht nicht, ehe seine dunkle Schwester vernichtet ist, die Herrscherin der Spinnen. Der Fluch von Mond und Nebel muss erwachen, Stimme Amurs."
"Was muss ich tun?"
"Finde den Wal, der ein Mensch ist. Er hat alles, was du brauchst, damit Amurs Wille erfüllt werden kann. Die Welt wird bestraft, weil wir nicht mehr glauben wollen. Das Mysterium schläft."
Nach diesem Traum hatte Aurelion viele Fragen. Einige hatten sich beantwortet durch die Dinge, die Theresia von Hlifa erfahren hatte. Andere hatte er herausgefunden, als er in den Bibliotheken war. Ein Mann, der sich 'J.F.' nannte, er hatte ein Puppenspiel verfasst, und es schien in vielen Dingen dem zu entsprechen, was in der Wirklichkeit geschah. Er musste ihn finden. Vielleicht in Midgard, wie Kelar es gesagt hatte?
Endlich legte das Schiff in der Ostfold an. Aurelion stellte sich den Wachen vor, und man führte ihn zum Hetman.
"Aurelion ist mein Name. Ich komme allein, und nicht im Namen der Königin. Ich will helfen. Wisst Ihr, wo ich Sir Allyen finden kann, Blakkur?"
"Du findest ihn in Skjöldbur. Weißt du wo das ist?", fragte der brummende Hüne.
"Ja, ich finde den Weg."
Auf dem Weg durch das Jütland verließ er nie den Pfad, wie es Blakkur ihm geraten hatte. Auf eine Eskorte hatte er verzichtet. Der Hetman hatte ihm auf einer Karte gezeigt, wo besetzte Gebiete wären. "Wenn du die Vestfold sehen kannst, ist es schon zu spät. Komm nicht auf die Idee, eine Fähre zu nehmen. Und meide den Godewald."
Bevor Aurelion diesen Rat annehmen konnte, hatte ihn das Faulwasser umstellt. Eines der Wesen war größer als die anderen. "Wen haben wir denn da?"
"Verwandelt mich, wenn ihr es könnt!", rief Aurelion und zog sein Schwert. Bevor die Wesen in den Kampf gehen konnten, donnerte die Erde und ein riesiger Mann erschien. Er vertrieb sie alle.
"Folge mir, Stimme Amurs. Mutter hat mir gesagt, wo ich dich finde", sprach er.
"Ich muss nach Skjöldbur."
Der Oger nickte. "Ja, das musst du. Vorher will ich dir etwas zeigen. Dein Name steht in einer Höhle, einer dvergischen Quelle."

Nour

Aethel hatte ihr ein Schreiben gegeben, dass sie dem Abt übergeben sollte. Wenn erst der Fluch, den Zhaerius über sie gesprochen hatte, gebrochen wäre, sie würde töten können: Zhaerus, Tysandra und viele andere, die den Tod verdient hatten. Dass der Mann in Schwarz ihn über sie gesprochen hatte, war ihr ein Beweis dafür, dass er sich fürchtete. Selbst er, der alles hatte und noch mehr wollte, konnte so etwas wie Furcht fühlen. Es befriedigte sie. Von seinen Plänen wusste sie kaum etwas, aber es war ihr vollkommen unwichtig. "Zhaerius, Tysandra, Dakhil, und all jene, die ich hasse", flüsterte sie immer wieder, wenn sie sich den Tod vorstellte, wenn sie daran dachte, wie sie Leiber aufschlitzen, Kehlen durchschneiden und Blut trinken würde. Es machte sie ganz heiss, und sie spürte, wie ihre Fotze feucht wurde. Dakhil würde bereuen, dass er sie betrogen und unterschätzt hatte, ihren Wert gemindert hatte, als er ihr Cleophos geschickt hatte. Tysandra würde sich wünschen, sie hätte niemals auch nur ein Wort mit Dakhil gesprochen, und ihr Kind wäre eine schöne Speise. Und Dakhil würde endlich erkennen, dass seine Größe unbedeutend war, wenn kalter Stahl ihm den Schwanz abschneiden würde, der es gewagt hatte, das Lager mit Tysandra zu teilen. "Zhaerius, Tysandra, Dakhil, und all jene, die ich hasse", sprach sie leise.
Da war noch ein anderer. Crenn. Er hatte ihren Ehemann aus der Sklaverei gerettet, aber selbst Dakhil war weise genug, sich nicht ihm anzuschließen. Crenn tötete Werwesen. Er tötete ihr Blut, und auch er würde bezahlen. Zum Schein hatte sie sich ihm angeschlossen, und sie hatte sogar versucht, für ihn Zhaerius zu töten. Doch immer wenn sie sich näherte, bereit zum Angriff, da war es, als würde sie eine unsichtbare Hand packen und festhalten - ein Fluch. "Zhaerius, Tysandra, Dakhil, Crenn, und all jene, die ich hasse", sagte sie wieder, als sie die Abtei sah. Ein Mönch nahm das Schreiben entgegen, sah sie einen Moment an und bat sie, kurz zu warten.
Der Abt, ein uralter Greis, kam heran, betrachtete sie und nickte langsam. "Mein Kind, wer hat diesen Fluch über Euch gesprochen und was bewirkt er?"
"Ist das von Belang? Man hat mir gesagt, Ihr würdet mir helfen. Hat man mich wieder betrogen?"
Der Abt schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht geboren, um zu betrügen. Ich werde Euch also helfen. Kommt mit mir", sagte er, dann schaute er einmal zum Gebäude, aber führte sie über das Feld zum Stall.
"Warum hier, warum nicht in deinem Haus, alter Mann?"
"Es ist sicherer. Ein Fluch kann sehr mächtig sein und Schaden anrichten, wenn er gebrochen wird. Oder wenn man es versucht", erklärte er.
Nour spürte, dass er sich fürchtete. Nicht vor ihr, aber da war etwas, das ihn beunruhigte. Sie schwieg und ließ ihn gewähren. Der Abt entzündete Kerzen und Weihrauch, sprach fremde Worte und berührte ihre Stirn, dann ihre Brust. Und nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete er die Augen. "Er ist gebrochen."
Sie verabschiedete sich schnell und schlich zurück zur Anhöhe über dem Eisenwall. Aber da war etwas. Dieses Gefühl, dass er Furcht hatte, aber nicht vor ihr. Da war etwas, das er verbergen wollte. Nour lief zurück, verwandelte sich in einen Panther und versuchte, eine Witterung aufzunehmen. Da war kein Geruch, den sie kannte. Der Mond aber, der liebliche Mond, der sie einst verwandelt hatte, zusammen mit dem Nebel, schien auf ein Fenster. Die schwarze Katze kletterte hinauf und witterte ungeborenes Leben. Aber die Frau, die ihren Bauch hielt, konnte sie nicht wittern. Es war Tysandra. "Zhaerius, Tysandra, Dakhil, Crenn, und all jene, die ich hasse", dachte Nour und fuhr die Krallen aus. "Der Mond bestraft die Sünden", flüsterte Tysandra. "Nein", sagte Nour, denn der Mond hatte ihr den Weg gezeigt. Und sie strafte nun Tysandras Sünde, als sie ihre Krallen in ihren Leib und ihre Kehle stieß. "Nicht mein Kind", flehte Tysandra. Nour roch an der Sterbenden. Sie konnte Tysandra nicht riechen, wohl aber das Kind. Es war nicht von Dakhil. Für einen Moment wollte sie lauthals lachen, aber sie wollte nicht entdeckt werden. Nour sah der Sterbenden in die Augen, fühlte ihre Befriedigung und suchte dann das Weite.
"Zhaerius, Dakhil, Crenn, und all jene, die ich hasse", flüsterte sie.

Martus

Lethos Mercutio, der das Erbe des höchsten Kirchenamtes, das so lange Zeit in den Händen der Familie Brioless gelegen hatte, in den Thronfolgekriegen übernommen hatte, nickte ihm zu. "Lord Brioless, ich habe Eure Wunden behandelt. Wir haben viel miteinander gesprochen. Wie kann ich Euch davon abbringen?"
Martus schüttelte den Kopf. "Das kann niemand. Es ist des Kanzlers Befehl und der Wille der Königin, ja. Doch wie können sie erwarten, dass ich Wilderberg diesen Wesen überlasse?"
"Ihr würdet an Wilderberg zerschellen. Im schlimmsten Falle würden die Wesen Euch verwandeln, wem wäre damit gedient? Nicht zu vergessen: Der Pakt wäre gebrochen, und das Land dem Unheil entblößt."
"Eure Worte sind weise, Mercutio Giltheas. War es Eure Weisheit, die den Lethosthron Euch geschenkt hat oder waren es nicht eher Eure Intrigen?", fragte Martus von Brioless.
"Die Götter haben mich in dieses Amt befohlen. Jeder hat die Erscheinung gesehen, die mich hierher getragen hat. Alles, was ich in den Kriegen um die Krone getan habe, ist mit dem Segen von Liras und Leban geschehen. Und die sind es auch, die Euch sagen: Tut es nicht. Geht nicht in das sichere Ende. Es ist das, was die Wesen wollen. Es wäre das Ende für uns alle. Hört auf die Götter."
Martus stand auf, nahm sein Schwert und rief einen Diener. "Zur Kanzlei." Er hatte kein weiteres Interesse, mit einem Lethos zu sprechen, der alle betrogen hatte. Martus glaubte nicht an diesen Mann. Es schien ihm so falsch, dass die Götter ausgerechnet Giltheas erwählt hatten. Auf seine Worte wollte er nicht hören.
Die Wachen ließen ihn ein, und der Hausdiener führte ihn in die Stube des Kanzlers. "Lord Brioless, es ist gut, Euch wohlauf zu sehen. Wollt Ihr Wein?", fragte Lord Baelon.
"Ja, bitte."
Baelon gab ihm einen Krug Rotwein. Er selbst begnügte sich mit einem Becher Ziegenmilch. "Ich muss klaren Kopf bewahren. Das solltet Ihr auch, Martus."
"Was hat man Euch erzählt, Mylord?"
"Ihr fragt, ob der Lethos mich in Kenntnis gesetzt hat von Eurem Ansinnen, Burg Wilderberg zu befreien?"
"Genau das. Seine Worte sind hohl, und seine Zunge ist die einer Schlange. Erkennt Ihr es nicht, Baelon?"
"Mir ist bewusst, dass Eure Familie für eine lange Zeit den Lethos stellte. Aber es ist kein Anrecht, das von allein besteht. Immerhin habt Ihr Lethos Cyrian akzeptiert, der auch kein Brioless war. Nach seinem Tod im Kampf gegen Janus Theren wart Ihr ebenso in Trauer."
Martus nickte. "Es geht nicht um Rechte. Doch der Lethos spielt ein falsches Spiel, ich bin mir sicher. Seine Rolle in den Thronfolgekriegen war zweifelhaft. Wollt Ihr das bestreiten?"
"Ich bestreite das nicht. Aber die Götter haben ihn in das Amt getragen. Buchstäblich. Ihren Willen akzeptiere ich. Auch denke ich, dass der wahre Grund für Euer Ansinnen ein anderer ist: Ihr seid frustriert und wütend. Zornig über das, was geschieht."
"Wer wäre das nicht?"
Baelon trank einen großen Schluck Milch. "Mich hat mein Zorn vom Weg abgebracht. Ich habe Fehler gemacht. Aber ich muss, wie wir alle, lernen, dass Fehler nur den Zweck haben, dass sie nicht wiederholt werden. Greift Ihr Wilderberg jetzt an, verstoßt Ihr gegen den Willen der Königin und verliert Euer Leben, denn die Wesen werden Euch verwandeln. Dann hat dieser Fehler nichtmal einen Zweck, denn wiederholen könntet Ihr ihn nicht. Ihr wäret nicht mehr Martus von Brioless, sondern eine Marionette des falschen Gottes Hrabanus. Eine Marionette von Zhaerius, dem Mann in Schwarz." Anschließend berichtete ihm Baelon von der Tinktur, die den Mann in Schwarz in Zhaerius unterdrückt hatte, aber nun hatte er die Oberhand gewonnen.
"Wenn wir uns nicht wehren, dann werden sie sich bald alles nehmen, Baelon. Wollt Ihr das?"
"Nein, das will ich nicht. Lasst mich sagen, es gibt Pläne und Unternehmungen, die Herrschaft dieser Kreaturen zu beenden. Die Königin weiß alle Einzelheiten. Ich möchte, dass sie mit Euch spricht. Sie wird es Euch erkären können. Bitte, vertraut mir."
"Ich möchte davon erfahren, ja."
"Bis dahin habe ich eine Bitte an Euch: Es sind Schiffe gesichtet worden, vor der Küste. Fühlt Ihr Euch in der Lage, mit einem Spähtrupp zu erkunden, wer dort segelt?"
"Jawohl, Mylord."
Zwei Stunden darauf ritten Martus und ein Trupp der Breländer Miliz vorbei an der nördlichen Werft. In der Ferne sahen sie den Strand. Baelon hatte ihm erklärt, dass die Wesen im Tal Beltain und ebenso an der Nebelküste gesichtet worden waren. Da der Norden sicher war, handelte es sich um die einzig sichere Anlegestelle des Landes - in nordischer Hand, aber nach den Wirren um die 'Wölfe' und der Befreiung Nordsteins von der Blodhord hielten der Norden und Bretonia eine gute und stabile Beziehung.
"Lord Brioless, seht, dort sind sie!", rief ein Milizionär und zeigte auf viele Schiffe.
"Schickt sofort einen Boten zum Kanzler. Ich kenne diese Segel. Wir alle kennen sie."

Tysandra

Vor sehr langer Zeit, als sie noch nicht die Lady des Hauses Aestrinor gewesen war, bevor sie als sehr junge Frau den aufstrebenden Cleophos geheiratet hatte, da hatte sie im Garten ihres Vaters ein Versteck gehabt. Wie jedes Mädchen, so hatte sie es geglaubt, würde sie eines Tages einen edlen Prinzen heiraten, der sie mit Geschenken, schönen Kleidern und Schmuck überhäufen würde. Er würde in einem Kristallpalast wohnen, und tausend Diener und Vasallen lägen ihm zu Füßen. Ihr Vater, ein wohlhabender Händler aus Bretonia, hatte sie dem Königshaus vorgestellt. Aber das Haus Breton heiratete keine Gewöhnlichen. Als Tysandra später von der Ermordung Lerhons erfahren hatte, war sie wieder in ihr Versteck gegangen, das sie mit Samt und Seide ausgestattet hatte, um bitterlich zu weinen. So ein edler und schöner Mann, wie konnte er so ungerecht und so früh diese Welt verlassen? Seine Frau, sie war nun ganz allein. Ob sie wohl ein Kind erwartete?
Tysandra hielt ihren Bauch. Von Hlifa hatte sie erfahren, dass ihr Kind nicht von Dakhil war. Velas war der Vater, ihr lieber Velas. Sie hatte sich so sehr vor Cleophos gefürchtet, dass sie seinen Befehl, ihm die Gabe des Traumlesens zu stehlen, befolgt hatte. Im Garten ihres Vaters hatten sie sich heimlich getroffen, wie an jedem Freitag. Velas glaubte immer noch daran, dass sie und er eines Tages von hier in die Ferne fliehen könnten. Vielleicht nach Samariq, oder sogar nach Yarun. Von der weiten Welt hatte Tysandra nur gehört, aber nie ein anderes Land als Bretonia gesehen. Bevor Cleophos ihr den Befehl gegeben hatte, hatte sie wirklich daran geglaubt. In die Ferne gehen, weit weg vom lieblosen Cleophos, der stets nur von einer seltsamen Insel träumte. Weit weg vom Krieg und dem Adel, dem Lärm der Stadt. Und einzig zusammen mit Velas, der ihr ein Held war, so ganz anders als sein kühler Bruder. Die Laken im Hause Aestrinor waren immer kalt geblieben. Der Tag, als Tysandra gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte mit ihr, es war der Tag, an dem sie ihm die Gabe stehlen sollte. "Was ist mit dir, ist dir nicht wohl?", fragte Velas, nachdem sie das Lager geteilt hatten.
"Es ist alles gut", antwortete sie, küsste seine Stirn und kroch tief in seine Arme, denn sie glaubte, würde er in ihre Augen sehen, er würde es erkennen. Nicht, dass sie ein Kind von ihm erwartete und auch nicht ihre Aufgabe, ihn zu berauben. Nein, er würde merken, dass ihr Herz verwirrt war, geteilt. Da war dieser Hun, der ihr Komplimente gemacht hatte wie kein Mann zuvor. Er war geheimnisvoll, und er kam aus der Ferne, der weiten Welt.
"Ich spüre es", flüsterte Velas.
"Was spürst du?" Hatte er es doch bemerkt? Was würde geschehen? Es war schlimm genug, dass sie ihn bestehlen musste.
"Du bist in Sorge. Das musst du nicht. Cleophos wird uns nicht finden. Ich werde die Armee verlassen, und wir fliehen. Wohin du möchtest."
Da beschloss Tysandra, ihn anzulügen. "Das ist es nicht. Es ist wegen meines Vaters."
"Dein Vater? Er liebt dich abgöttisch. Er wird dir sehr fehlen, und du wirst ihn auch vermissen."
Da war es wieder. Velas war immer so verständnisvoll, und sie betrog ihn. Den Vater ihres ungeborenen Kindes. Der einzige Trost war ihr, dass die Lüge, die sie ihm erzählen würde, eigentlich keine war. Es war nur nicht der Grund für ihre Angst. "Das werde ich. Er hat mir alles gegeben, seit Mutter gestorben war. Sein ein und alles bin ich gewesen. Aber..."
Nun sah er doch in ihre Augen, aber ihre Tränen verdeckten ihren Betrug. Sie waren nicht gespielt. Velas hielt ihr Gesicht. "Was ist?"
"Dieses Versteck, in dem wir uns lieben, ich habe es schon lange. Nachdem Mutter starb, habe ich es eingerichtet und viel Zeit hier verbracht, um zu weinen und mit ihr zu sprechen. Aber eines Tages, nachdem König Lerhon gestorben war, da habe ich etwas gehört."
"Genau an jenem Tag?", fragte er ungläubig nach.
"Ja, genau an jenem Tag. Erinnerst du dich, wie man die 'Wölfe' beschuldigt hatte? Und sie haben es tatsächlich getan, den König umgebracht. Vater hat sich Erics Hinrichtung angesehen. Der Bretonianer hat im Auftrag der 'Wölfe' gehandelt."
Velas sah sie überrascht an. "Du hast im Garten deines Vaters davon gehört? Haben die Bretonianer den Mörder zu dieser Zeit nicht schon in Haft genommen, aber die Hintermänner noch eine lange Zeit danach gesucht? Du hast davon gewusst?"
"Ja, das habe ich."
"Du hast keinem etwas davon erzählt?", fragte er verwundert, jedoch nicht aufgebracht.
"Nein, das konnte ich nicht. Es war mir unmöglich, etwas zu sagen. Also betete ich, dass man alles herausfinden würde, wie es auch geschehen ist."
Velas nickte. "Eric, ein Bretonianer. Angestiftet von den 'Wölfen'."
"Das ist noch nicht alles."
Tysandra erinnerte sich, wie sie Velas die ganze Wahrheit gesagt hatte. Wie sie sich so lange gefürchtet hatte. Denn ihre Angst galt nicht nur Cleophos, Zhaerius und Dakhil. Da war noch etwas ganz anderes gewesen, und in jener Nacht in ihres Vaters Garten hatte sie es ihm erzählt. Aber Tysandras Erinnerungen starben, als sie den Mond sah. Der Himmel war schwarz, und der helle Mondschein tat in ihren Schläfen weh. Sie dachte wieder an Velas und dass sie ihn niemals mehr sehen würde. Ihr Betrug hatte das Verhältnis zwischen Hohenfels und der Königin getrübt, und sie mochte sich nicht vorstellen, wie viele Menschen wegen ihr in Gefahr gebracht worden waren. Und Velas. Dakhil würde ihn umbringen. Es war alles ihre Schuld. Ihre Sünde hatte all dies angerichtet. Mit dem Traumwasser, das sie Velas in den Wein gemischt hatte, nachdem sie selbst davon etwas getrunken hatte, hatte sie ihm die Gabe geraubt. Die Gabe, die sie jetzt einen Dybbuk spüren ließ. Er war hier, in der Abtei. War es die Strafe Lebans? "Der Mond bestraft die Sünden", flüsterte Tysandra. "Nein", antwortete eine Stimme. Es war Nour. Die kalten Krallen rissen in Tysandras Fleisch, dann in ihre Kehle. Panisch hielt sie ihre Hände schützend vor den Bauch. "Nicht mein Kind", sprach sie, dann spuckte sie Blut. Die schwarze Katze roch an ihr und verschonte das Kind. Dann wurde es auf einmal ganz still, und Tysandra schloss die Augen, sah ihren Velas ein letztes Mal. Sie betete, er würde das Geheimnis, das sie ihm im Garten erzählt hatte, für immer bewahren. Sie hörte die Katze nicht mehr, und auch ihre Schmerzen waren verschwunden. "Schnell, schneidet es heraus!" Das war die Stimme des Abtes, die sie ganz zuletzt hörte. Ihr letzter Augenblick war ein anderer: Sie fühlte, wie der Dybbuk in ihr Kind geklettert war.

Dakhil

Das waren die Worte Amurs: "Weise meinem Propheten den Weg." Als Dakhil den einzig wahren Herrscher aller Himmel und den Vater des Paradieses gefragt hatte, wer dieser Prophet wäre, da hatte Dakhil die Antwort kaum glauben können. Aurelion, der Gemahl Königin Theresias, war Amurs Prophet? Warum hatte Amur einen Bretonen und keinen Hun gewählt? Die Wege Amurs waren schon immer sonderbar gewesen. Er hatte seine Hand in zwei Ungläubige gebettet, noch dazu waren es Frauen. Er hatte es Dakhil verwehrt, eine Weissagung zu erfüllen, die er ihm selbst gegeben hatte: Die Macht der Erschaffung der Finsternis zu rauben. Stattdessen hatte Amur es gestattet und dabei zugesehen, wie Zhaerius sie bekommen hatte. Der Mann in Schwarz, das Böse. Und die Macht des Herrn aller Herrlichkeit in dessen dunkler Hand. Warum? Und warum nun ein Bretone als sein Prophet? Dakhils Zweifel begannen wieder. Er, der aus den Ketten entkommen war, er, der vierzig Tage und Nächte in der Wüste überlebt hatte - was war sein Weg, wo war sein Ziel? Er, der sich zum Großen Panther, Fürst aus den Ketten, Herrscher aller Tiere gewandelt hatte - wo war der Sinn? Und nun, da sich herausgestellt hatte, dass Tysandra nicht sein Kind empfing, schienen alle Zweifel wie ein Haus aus Glas zusammenzubrechen, zu zersplittern in kleine schmerzhafte Nadeln, die man Hohn nannte. Der Hohn, dass nicht er das Kind gezeugt hatte, sondern ein anderer. Wieder war er betrogen worden. "Welche Prüfung hast du dir für mich ausgedacht, Herr?", fragte Dakhil. Keine Antwort. Stattdessen mehr Zweifel. Wenn Amur einen Bretonen als seine Stimme wählte, dann war er selbst vielleicht wirklich nicht der Auserwählte, ganz wie Zhaerius es gesagt hatte. Dann wäre die Sonne über der Wüste wirklich Vairocana gewesen und nicht Amur. Und dann wäre er, der Große Panther, nicht mehr als eine Raubkatze, deren einziger Sinn es war, zu jagen.
"Mein Khagan, es gibt Neuigkeiten."
"Hat das Ecaloscop im Tal Beltain eine Verbindung durch die Kuppel herstellen können?"
"Nein. Doch es ist etwas geschehen: Tysandra wurde getötet. Wir denken, es war Nour, Eure Ehefrau."
Dakhil nickte. "Reite nach Beltain, ich will gute Nachrichten hören."
Er wartete auf seine Falken. Die Suche nach Tysandra hatte er nach dem Gespräch mit der Thel'Ein abgebrochen. Tysandra war unwichtig geworden. Ihr Tod hatte keine Bedeutung. Nicht einmal ein Gebet sprach er für sie, die ihn getäuscht hatte. Alle Worte waren leer gewesen. Stattdessen hoffte Dakhil sogar, das Kind wäre mit ihr gestorben. Ein elender Bastard, nicht erwählt. Wie er. Sein Zorn richtete sich an den Himmel, als er die Faust ballte. Velas. Er war der Vater, er musste es sein. Die Thel'Ein hatte es bestätigt. Er war sich sicher, dass der Tod dieses Mannes seinen Zorn nicht legen würde, genau wie Farths Tod im Zweikampf es nicht könnte. Aber hatte er nicht vor langer Zeit geschworen, er würde niemals wieder in Ketten liegen? Auch die Ketten dieser Täuschung würden ihn nicht brechen - Farth und Velas, sie würden sterben durch seine Hand. Und mochte es nicht mehr Amurs Wunsch sein, der ihn zu verlassen schien, es wäre sein eigener. "Hlifa, Callum, Zhaerius, Roymar, Velas, Nour, und all jene, die mich hassen", sagte er leise.
Wie er in die Ferne sah und sich dem Zorn hingab, und während er auf die Falken wartete, sah er eine kleine Gestalt, die sich allein dem Lager näherte. Es war nicht die Thel'Ein. Ein altes Mütterchen, eine Bretonin, kam in das Lager, schien ganz unbeeindruckt von den vielen Kriegern zu sein und kicherte. "Dakhil, es ist schön, dass wir uns treffen."
"Sicher hast du dich verirrt. Wohin des Weges, alte Frau? Ich kann dir eine Eskorte geben und dich nach Hause bringen. Sicher sorgen sich dein Mann und deine Söhne um dich", sagte Dakhil.
Wieder kicherte sie. "Ich weiß genau, wo ich bin. Und wenn wir gesprochen haben, dann werde ich mich mit meinen Söhnen treffen. Gwayan und Malcoyn warten auf mich."
"Wer bist du?"
"Man nennt mich Mutter Kelar. Aber du weißt, dass das nicht stimmt, Panther."
Dakhil fühlte es. Da war etwas an ihr, das er kannte. "Ich will dich Mutter Erde nennen."
"Behalten wir das als kleines Geheimnis?", fragte sie und lächelte. "Es ist wichtig, dass man mich nicht erkennt. Du hast eine Aufgabe. Du musst den Weißen Wolf führen."
Meinte sie etwa das, was er vor langer Zeit im Nebel gesehen hatte? Wölfe hatte er zu dieser Zeit nicht gekannt. Aber ja, es hätte statt eines Löwen einer sein können. Der Nebel war dicht gewesen. "Und dann?"
"Das Faulwasser muss sterben. Der Fluch von Mond und Nebel erwacht, Dakhil. Du musst in das Land im Norden gehen, wo die Dverge, Riesen und Nordmannen wohnen. Jemand wartet auf dich, ohne es zu wissen."
"Wer wartet dort?"
"Einer, der ist wie du. Man nennt ihn den 'Wal'."
Dakhil fühlte Amurs Worte. Er hatte ihn nicht verlassen, er wählte nur sonderbare Wege, es zu zeigen. "Was ist mit denen, die sterben müssen? Und was ist mit Aurelion? Ich muss ihn finden."
"Er wird dich finden."
Kelar erklärte ihm die Legende vom Fluch von Mond und Nebel und wie sie im Seelenmoor wahr geworden war. "Du musst aber etwas für mich tun."
"Was möchtest du, Mutter?"
"Schwöre ab von deiner Rache."
Nachdem Kelar das Lager verlassen hatte, sprach er ein Gebet. Er konnte es nicht, noch nicht. Das Gefühl der Rache und des Wunsches, sie alle sterben zu sehen, er war zu groß. "Hlifa, Callum, Zhaerius, Roymar, Velas, Nour, und all jene, die mich hassen." Kelar war sich sicher gewesen, dass er den Schwur bald leisten könnte. Das Leben derer, die er tot sehen wollte, schien ihr wichtig zu sein - nicht das von Nour und Zhaerius, aber das der anderen.
Die Falken kehrten zurück. "Hassan, schick die Krieger in das Tal Beltain! Das Ecaloscop hat eine Verbindung hergestellt", befahl er.
Doch der letzte Falke, der aus dem Norden zurückgekehrt war, er hatte Schiffe gesehen. Die Segel, er kannte sie. Das schwarze Kreuz auf rotem Grund.

Zhaerius

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, der Panther folgte ihm. Der Sand brannte unter wunden Füßen, und Salz hätte nicht stärker schmerzen können. Zhaerius fühlte tausend Wunden am Körper, und er rief Leban, aber Leban erhörte ihn nicht mehr. "Deine Verbrechen waren zu groß", sprach stattdessen Liras. Und der gnadenvolle Gott war alles andere als mild. Skorpione hielten den Mann in Schwarz, ihre Stachel bohrten sich in sein Fleisch, das von der Sonne schon ganz ausgetrocknet war. Dann hörte er eine andere Stimme. Sie war so gewaltig, dass Blut aus seinen Ohren tropfte. "Dies ist dein Ende, Mann in Schwarz."
Dann der Panther: "Zhaerius, der mich hasst", sagte er. "Ich hasse dich nicht, vergebe mir!", rief der Mann in Schwarz.
Als er seine Augen öffnete und aus den Ketten des Traumes entkommen war, spürte der Mann in Schwarz Furcht. Nicht vor Nour, die vergeblich versucht hatte, ihn zu vergiften und die ihn im Tal Beltain endgültig verraten hatte, als sie statt Aethel anzugreifen sie und ihre Begleiter geschützt hatte. Nicht vor Crenn, der seinen Tod wollte - der Mann in Schwarz konnte nicht sterben, seit er von Blyrtindurs Quelle getrunken hatte. Nein, er fürchtete Dakhil. Der Traum kehrte immer wieder. Seit er ihn hatte ziehen lassen. Er brauchte den Panther. Ohne ihn würde der Fluch von Mond und Nebel sich nicht erfüllen. All die Wesen, die er geschaffen hatte, durch die Macht der Finsternis, sie waren nur Mittel zum Zweck. Der Mann in Schwarz hoffte nur, dass sie noch so lange auf seine falschen Worte hören würden, wie er Zeit zur Erfüllung seines einzigen Planes brauchte. Nicht hier, sondern weit weg. Aber Dakhil, der Panther in seinen Träumen, folgte er ihm wirklich? Würde es ihm als einzigen gelingen, ihn zu vernichten?
Vielleicht würde es so geschehen. Aber es wäre der Preis für seine Sünden. In gewisser Weise hatte er Leban verlassen, um dennoch dessen zweifellosen Willen auszuführen und zu verwirklichen. Aber wieso wäre es dann Leban, der seine Sünden aussprechen würde, wie es in seinen Träumen Liras tat? Seine Wege waren immer ungewiss, doch dies schien dem Mann in Schwarz ein Rätsel ohne Antwort zu sein. Zweifel hatte er keine. Der Weg war vorbestimmt, seit Zhaerius vor zweihundert Jahren in den Malstrom gefallen war. Zwar hatte es immer Rückschritte gegeben, wie auch nun, da er das Ecaloscop nicht hatte erbeuten können, doch immer war er zurück auf seinen Pfad gekommen. Crenn war auch jemand, der ihm im Weg war - so wie der Mann in Schwarz ihm. Von dessen Plänen wusste er nicht viel, aber ihm war zu Ohren gekommen, dass sein Bruder Dhorgos ebenso auf der Suche nach dem Ecaloscop war. Und obwohl ihm gewahr geworden war, dass jemand Nours Fluch gebrochen hatte, war sie ihm als einzige Möglichkeit erschienen, die Krieger Dakhils, die das Ecaloscop bewachten, zu täuschen. Die Wesen hatte er ebenso aufgehetzt, alles schien zu gelingen - bis die Magierin und die anderen gekommen waren. Der Mann in Schwarz würde erst die Kuppel verschwinden lassen, wenn er in Samariq alle Lieder gefunden hätte. Also musste er nun auf das Ecaloscop verzichten, aber er würde es ertragen, solange der wichtigste Teil des Planes gelingen würde.
Und dass es gelang, wusste er, als ein Loyalist ihm meldete: "Die Schiffe Tectarias sind an der Nordküste eingetroffen."
Einzig dort, in Tectaria, erfüllte die Seuche der Malstromwesen ihren Zweck. Und der Zweck war, dass eine bestimmte Person ins Land Bretonia kommen würde - das war nun geschehen. Der Mann in Schwarz lächelte und vergaß seine Träume.

Szarak

Szarak Crenn hatte viele Gesichter. Mal war er ein unscheinbarer Mann in Terra Brumalis, davor war er so viele andere gewesen. Aber sein eigenes Gesicht war ihm das liebste. Dass das natürlich andere, erst recht nicht sein Weib, so sahen, konnte er verzeihen. Anderes hingegen würde er nicht vergeben. Nach allen Informationen, die er hatte, war Hjalla vermutlich aufgeflogen. Es war eine einfache Aufgabe gewesen, Sircus und den 'Wal' zum Treffpunkt zu bringen. Nun, Szarak hielt seine Versprechen. Er sah noch einmal in den Spiegel, schob seine verbrannten Wangen etwas hoch an die Augen, damit diese nicht herausfallen würden, dann sprach er das Wort, das Maga Minerva ihm beigebracht hatte. Sein Gesicht wurde wieder das eines unscheinbaren Mannes.
Er berührte einen Kristall. "Dhorgos."
"Bruder?"
"Ist Thalid eingetroffen? Er muss das Ecaloscop für dich bedienen. Ich muss alles wissen, was Dakhil weiß."
"Nein, ist noch nicht hier. Aber ich lasse es bereits bergen", antwortete Dhorgos.
"Ich habe dir gesagt, du wartest, bis Thalid eingetroffen ist!", zischte Szarak. Die Schmerzen im Gesicht waren unerträglich geworden. Eines Tages würde er Emes bezahlen lassen.
"Beruhige dich, Bruder. Ich habe eine Magierin entsandt. So geht es schneller. Halgir hat sie geschickt."
Nun war er tatsächlich zornig. "Halgir ist tot, du Narr. Wahrscheinlich hast du seine Mörderin geschickt!"
"Was... Sie kannten die Zahlen. Wie konnte ich das wissen?"
Wenn er sprach, dann fühlte Szarak, wie unter dem falschen Gesicht die Brandnarben pulsierten, wie Schleim und Eiter sich mit schwarzem Blut mischten. Der Schmerz war immer da. "Wie willst du das richten?"
"Wenn sie falsch spielen, dann kehren sie trotzdem zurück. Sie wollen Informationen. Über dich und die Pläne."
"Sie werden sie nicht bekommen. Wenn sie zurückkehren, wirst du sie töten. Die Magierin aber will ich lebendig. Wirst du das schaffen, Dhorgos?"
"Natürlich."
"Ausgezeichnet. Vielleicht war es doch gut so. Deine Dummheit macht sich unter Umständen noch bezahlt. Wenn du das erledigt hast, tötest du Hjallas Schwester und das Kind", sagte er. Er hatte sich wieder beruhigt, für den Moment.
"Auch das... Kind? Es ist von dir."
"Und wenn es von Liras wäre. Ich halte mein Wort. Sie hat versagt."
"Wie du willst."
Szarak brach die Verbindung ab. Zu lange sprach er nie mit den anderen. In Brumalis schien er noch sicher zu sein, aber er war weit weg von seinen üblichen Quellen, sodass Neuigkeiten ihn unter Umständen spät erreichten. Eine Entlarvung, gerade jetzt, wäre ungünstig. Denn gerade jetzt schienen die Fähigkeiten in Velas von Aestrinor zu erwachen. Fähigkeiten, die Szarak brauchte, nachdem die andere Quelle leider hinter dem Zeitfluch Blyrtindurs lag. Diesen zu brechen, hier, war Aufgabe der Hüter. Er mischte sich nicht ein. Seit er ihnen fast in die Arme gelaufen war, war er besonders vorsichtig geworden - was er aber nun sah, erregte seine Aufmerksamkeit: Mellwen und Liurroccar betraten Terra Brumalis, um mit Velas zu sprechen. Entwickelten sie seine Fähigkeiten? Wie waren sie so schnell erwacht? Szarak kannte keine Antwort darauf, und er hasste es, im Dunkeln zu sein. Dies war auch der Grund für seinen Wunsch, Zhaerius von Maegranth sterben zu sehen. Dieser Mann hatte Geheimnisse, und er könnte ihm eines Tages im Wege stehen. Die Übernahme des Bretonischen Reiches stand bald vor der Vollendung, und ein dahergelaufener Lebaner, der glaubte, ein Prophet zu sein, wäre nicht das, was er sich als Gegner vorstellte.
Emes war ihm der beste Gegner gewesen. Sicher würde er sich für die Entstellung eines Tages erkenntlich zeigen, aber er schätzte diesen Mann, der vor langer Zeit das Urteil gegen den Bretonianer Eric verkündet hatte. Für den Mord an Lerhon, im Namen der 'Wölfe'.
Szarak hatte ihre Operationen bezahlt, und es war seine Idee gewesen, die Nordfrau Kjari einzuweihen, ebenso, wie man es machen könnte. Eric zu beeinflussen war nach seinen persönlichen Verlusten dann die leichteste Übung gewesen. Ja, Lerhons Tod war notwendig gewesen, um das Reich zu stärken. So wie es wieder notwendig geworden war, einen starken Mann auf den Thron neben Theresia zu platzieren. Damals hatte ihn ein Informant aus Bretonia gewarnt, dass Emes ihm auf der Spur war. Es war zu spät gewesen, und er hatte gerade noch Zeit, zu entkommen - sein Gesicht schrecklich entstellt.
Die Schmerzen waren immer gleich. In der Nacht und auch am Tag. Hinter einem falschen Gesicht oder nicht. Aber sie waren es auch, die ihn antrieben. Jedes Pochen der verletzten Haut und jedes Stechen in den halb blinden Augen sagte: "Höre niemals auf, bis du dein Ziel erreicht hast." Und er befolgte den Rat des Schmerzes, wenn er ihn in einen unruhigen Schlaf sang oder am Morgen mit ätzenden Klängen weckte. Niemals aufhören, niemals. Selbst als sein Informant ihn gewarnt hatte, noch vor dem Kampf gegen Emes, war er nicht bereit, aufzuhören. "Deine Tochter braucht dich, Szarak. Aber sie könnte dich verlieren. Ich erziehe sie für dich, aber sie ist dein Kind. Beende es, höre auf. Reicht es nicht, dass Lerhon tot ist?", hatte er ihn gefragt, als sie im Garten gesprochen hatten.
Der Kristall machte sich bemerkbar, und Szarak lief schnell hinter die Taverne. Er war aus dem Gewölbe geholt worden und wollte als Szandrok gerade Velas begegnen. "Was ist?"
Die Antwort ließ das falsche Gesicht Szaraks reglos zurück, während das wahre Antlitz versteinerte. Der Schmerz verschwand für den Moment der Antwort: "Deine Tochter ist tot. Tysandra ist tot."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 28 Nov 2012, 17:43

4


Dakhil

"Vater?"
Endlich. Es war Zadas Stimme. Das Ecaloscop, das ihm Aethel und die anderen übergeben hatten, es wirkte. Wie dankbar er Amur war, dass Zhaerius es nicht bekommen hatte, er konnte es kaum aussprechen.
"Amur sei Dank. Zada, geht es dir gut? Wo sind die anderen?", fragte er.
"Vater! Ja, es geht mir gut. Wir wurden getrennt, als die magische Welle kam und die Kuppel erschien."
"Du bist in Amurs Tempel?", fragte er und fühlte seine Tränen. Sein armes Kind, allein, und der Mann in Schwarz der einzige Schutz gegen die Tectarier. Ein Schutz, der keiner war.
"Ja, das bin ich. Hast du deine Aufgabe vollbracht?", fragte sie.
Er wollte nicht lügen. "Ich scheiterte. Aber ich werde einen Weg finden, die Kuppel zu vernichten. Ich werde dich retten, mein Kind!"
"Daran glaube ich. Wie geht es Shamir?"
"Dein Bruder starb im Kampf, bete für ihn", antwortete Dakhil und vernahm ihr Schluchzen. "Sei stark, für mich."
"Ja, Vater. Aber ein Mann ist ab und an hier. Ich hörte, er ist kein Freund?"
"Ist er nicht. Er ist sehr gefährlich. Er ist der Mann in Schwarz. Der, der für den Tod deiner kleinen Schwester verantwortlich war, als sie im Kindbett starb. Das Böse, das die Kinder holt, es ist bei dir."
"Was soll ich nun tun? Er will, dass ich das Ecaloscop benutze. Ich glaube, er will wissen, ob ich dich erreichen kann. Er behauptet, er wäre die Stimme Amurs."
"Das ist er nicht. Er ist ein böser Mann. Ich selbst werde die Stimme Amurs bald besuchen, um uns allen zu helfen, mein Kind. Wenn er dich fragt, musst du ihn belügen. Schaffst du das?"
Sie schluchzte. "Ich weiß es nicht, ich fürchte mich."
"Erinnerst du dich an das, was deine Mutter dir beigebracht hast, wenn du dich fürchtest?"
"Die Amuri unserer Herde. Ich soll sie mir vorstellen, rückwärts vom Jüngsten bis zum Ältesten abzählen. Aber die 11 auslassen."
"Ja. Das musst du tun. Du musst es schaffen, verstehst du? Solange er dich vor den Tectariern schützt, hat er Wert. Wenn sie fort sind, und wenn du entkommen kannst, dann zerstöre das Ecaloscop und lauf tiefer in den Tempel. Geh zu den Geistern der Ahnen. Sie werden dich schützen."
"Aber dann können wir nicht mehr sprechen, Vater."
"Er darf es nicht haben. Die Ahnen finden vielleicht einen Weg. Sie sollen versuchen, den Geist des Rosentempels zu rufen. Cyrian."
"Gut, Vater."
Dakhil weinte leise, sammelte sich. "Ich muss nun gehen. Halte durch. Denke an Amur, denke an alle, die dich lieben. Denke an mich."
"Ich liebe dich, Vater."
Er beendete die Verbindung. Seinen Kriegern befahl er, das Ecaloscop zu bewachen. Er hatte Frieden mit Farth und Hohenfels gemacht, und zwischen seiner Aufgabe, nach Midgard zu reisen stand nun die Liebe zu seiner Tochter. Er würde alles geben, die Kuppel mit seiner Faust zerschlagen zu können, aber Amur wollte es anders. Also brach er auf, nach Hohenfels, wo das Schiff wartete, das Lady Hlifa hatte vorbereiten lassen. Einige Stunden später segelte er nach Norden. Für den Herrn, für Amur!
Als sie ausgelaufen waren ins offene Meer, die Küste entlang, da hatte er die Schiffe des schwarzen Kreuzes gesehen. Und für einen Moment hatte Dakhil geglaubt, einen Geist zu sehen. Varcus, den Sohn seines Aufsehers in den tectarischen Minen.

Baelon

Die Nachricht der Königin musste seinen Vater schon erreicht haben. Während Baelon sich die Kammer ansah, die schrecklich verstümmelte Leiche Tysandras, hoffte er, Allyen wäre in Sicherheit. Denn diese Tat sagte vor allem: Wirklich niemand war noch sicher. Das Gefühl, einen lebendigen Vater zu haben und dazu noch einen, den er liebte und verehrte, es durfte nicht vergehen. Er spürte, dass es ihn angesichts der Dunkelheit, die sich über alles legte, schützte. Vor seinen inneren Dämonen, vor Wein und Schnaps, vor dem Tod, wenn man den Gedanken zu Ende dachte. Gerade hatte er Allyen als seinen Vater kennengelernt, da musste er ihn nach Midgard schicken. Er konnte jetzt nur auf die Vernunft des Hetmans von Skjöldbur hoffen. Cleophos musste ausgeliefert werden, spätestens wenn die Angelegenheiten um den Spiegel geklärt wären. Nachdem er mit Emes gesprochen hatte, der Tysandra danach in die Abtei geleitet hatte, hatte ihn die Königin über die Einzelheiten unterrichtet: Es gab drei Spiegel. Jeder der Spiegel wäre in der Lage, gemeinsam mit den beiden anderen, den Zeitfluch über Blyrtindur zu brechen. Außerdem würde sich ein Weg auftun, das Faulwasser zu bekämpfen. Vielleicht sogar die Seuche einzudämmen oder die Wesen ganz und gar in ihre Schranken zu verweisen. "Es wird daran gearbeitet", hatte Theresia gesagt. Baelon hoffte, dass es so wäre. Jeden Tag starben Menschen und verwandelten sich. Wenn es etwas gab, das nicht aufzuhalten war, dann war es der Tod. Und damit - im Augenblick - auch eine Verwandlung. Ascanios Berichte waren zwar umfassend, aber auch nicht ermutigend. Und in den Straßen verglichen die Menschen diese Seuche mit der Pestillenz, wie sie in den heiligen Büchern Tectarias als eine der Plagen des Herrn beschrieben wurde. War das die Strafe für das Aufbegehren von Liranus, für den Exodus in das neue Land? Gern würde Baelon den Abt fragen, aber gerade gab es anderes zu tun.
"Also, was wissen wir darüber?", fragte er Aldwyn.
"Allem Anschein nach, so sagen es auch die Zauberer, hat der Täter ein Artefakt benutzt, um nach diesem schrecklichen Mord schnell zu verschwinden. Ich bete zu Liras und Leban, dass sie mir verzeihen. Denn ich habe eine Vermutung. Eine sehr schwere und eindeutige, Lord Baelon", antwortete der Abt mit tiefer Sorge in den Augen.
"Bitte sprecht, Vater."
"Eine Frau kam hierher. Eine Hun. Sie litt unter einem Fluch, und ich habe ihn ihr genommen. Ich hätte es nicht getan, wenn man mich nicht darum gebeten hätte."
"Was für eine Frau?", fragte Baelon.
"Ihr Name ist Nour."
"Und sie ist auch die Mörderin", fiel ihm Theornon ins Wort. Der Lord von Hohenfels traf gerade ein, warf einen kurzen Blick auf den Leichnam. "Man sagte mir, dass ich Euch hier finde, Kanzler."
Der Abt schwieg und senkte das Haupt. Das Geschrei des Kindes war aus dem Nebenzimmer zu hören. Abt Aldwyn hatte eine Schwester gerufen, dass sie sich um das Neugeborene kümmern würde. Baelon nickte Theornon zu. "Bericht."
"Wir waren bei Dakhil Al Khan. Die Fehde zwischen seinem Haus und dem Haus Farth wurde beigelegt, ebenso die Unklarheiten zwischen Dakhil und Hohenfels. Von ihm haben wir von Nour erfahren. Es war ein Fluch von Maegranth, der auf der Hun lastete. Ich lasse gerade in Erfahrung bringen, wer dafür verantwortlich ist", sagte Theornon und sah dabei direkt zum Abt.
Aldwyn hob den Kopf und sah beide direkt an. "Ich führte diese Frau in den Stall, um Tysandra nicht zu gefährden. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht einmal klar, dass der Fluch auch sie betraf."
"Eine Verkettung widriger Umstände", murmelte Theornon.
Baelon musste zustimmen. "Euch trifft keine Schuld, Vater. Und ich bin davon überzeugt, dass es gute Gründe gab, Nour diesen Fluch zu nehmen, nicht wahr?"
"Ja."
Theornon schien mit der Antwort nicht zufrieden zu sein. "Wer hat Euch gebeten, der Mörderin zu helfen?"
Bevor der Abt antworten konnte, ging Baelon dazwischen. Er wollte kein weiteres böses Blut und nicht noch mehr Misstrauen. "Ich bin mir sicher, dass dies aufgeklärt wird. Der Abt wird persönlich mit der Königin darüber sprechen."
"Wie Ihr wünscht. Es gibt ohnehin noch viel mehr zu besprechen. Lord Brioless hat die Königin schon informiert: Tectarische Schiffe liegen vor der Nordküste vor Anker. Sir Roymar lässt sie bereits beobachten", erklärte Theornon.
Baelon stockte einen Moment der Atem. "Was wollen die nun hier?"
"Unklar. Leider habe ich außerdem erfahren, dass Zhaerius von Maegranth einen geübten Schwimmer zu den Schiffen geschickt hat. Er hat Kontakt zu ihnen."
Tectaria. Die alte Heimat, der Anfang. Wann würde der Tag kommen, an dem sie die Bretonen als ihre Brüder und nicht als ungeliebtes Kind oder Feinde betrachten würden? Während des Großen Krieges gegen die Dunklen Alten hatten die Tectarier die Nebelküste und Beltain besetzt, und als die Thronfolgekriege in vollem Gange gewesen waren, waren sie erneut hergekommen, ganz zu schweigen von Sicarion Grauwind. Es war damals Roymar, der die Bande zur Heimat gelöst hatte und nun ein loyaler Vasall war.
"Roymar erhält alle Unterstützung, die er benötigt. Und lasst Schiffe ausfahren, um die Küste zu schützen. Sie sollen wissen, dass wir stark sind. Tectaria ist nicht willkommen!"

Gwayan

"Dort unten siehst du schon Skjöldbur, Stimme Amurs. Ich wünsche dir den Segen von Mutter Erde", brummte er.
Aurelion neigte den Kopf. "Hab Dank, Gwayan Einohr. Für deine Hilfe wirst du eines Tages eine Gegenleistung bekommen. Ich schulde sie dir."
"Nein. Es war notwendig. Auf bald, Freund."
Er sah dem Bretonen noch einen Moment nach. Gwayan hatte wieder getan, was Mutter Erde von ihm verlangt hatte. Manchmal sprach sie durch den Boden zu ihm oder durch einen Stein. Wenn es sehr wichtig war, erschien sie in menschlicher Gestalt. Als ein altes Fräulein, das den Namen Kelar trug. So war es auch geschehen, als sie ihm den Auftrag gegeben hatte, Aurelion zur Dvergenquelle zu führen: "Mein Sohn, ich habe zwei Aufgaben für dich. Finde die Stimme meines himmlischen Bruders Amur. Und bringe ihn in die Quelle der Dverge, bevor du ihn sicher nach Skjöldbur geleitest. Das Grün muss helfen, die alten Dinge zu erfüllen. Das Wasser wartet auf ihn, und der Herr der Tiere wird kommen. Danach musst du auf den Rücken Jorgans steigen." "Was habe ich dort zu tun?" "Du musst das Eis finden. Ich erkläre dir alles."
Ihre Worte hallten immer noch nach, mit jedem Schritt, den er tat. Bis zur Grenze konnte er unbemerkt von den Riesen und Heldienern durch die Erde wandeln. Aber hier, am Anfang vom Ende der Welt, waren ihm die tiefen Wege verschlossen. So wollte es das Gesetz. Der Pakt zwischen Eis und Erde, Grün und Weiß, war eindeutig und galt für immer. Als Diener der Mutter durfte er das Eis nicht brechen.
Der Rücken Jorgans war kalt und von Schnee bedeckt. Die Winde sangen klirrende Lieder, und weit schauen konnte Gwayan nicht. Ab und an begegneten ihm Jäger und Wanderer, aber nicht viele, und sie mieden ihn. Das war auch besser so, denn er hatte wirklich schrecklichen Hunger. Der Magen knurrte, er zog sein Fell enger und die Kapuze bedeckte fast vollständig sein Gesicht. Es zeigte nur soviel, dass er den Weg sehen konnte, auf dem er lief. Tiefe Schneisen hinterließ er im meterhohen Schnee, bis er eine kleine Höhle im Fels entdeckte. Und er roch Fleisch.
Gwayan betrat die Höhle, nahm seine riesige Keule zur Hand. Vielleicht ein Bär. Zu seiner Überraschung aber sah er ein Tier, das er nicht erschlagen konnte, weil es ihm verboten war. "Was tust du denn hier, und wo ist dein Herr?", fragte er.
Der Schwarze Kittel brummte. "Die Krähe ist allein weiter. Jorgans Rücken ist zu kalt für mich. Ich bin alt, und ich schaffe diese Wege nicht mehr. Meinen Herrn habe ich so weit getragen wie es mir möglich war. Nun warte ich auf ihn."
"Ich bin hier, um ihm zu helfen. Was kannst du mir über seine Aufgabe sagen?", fragte Gwayan.
"Seine Krähen sind in Gefahr. Der Winterkönig hat sie entdeckt. Mein Herr ist aufgebrochen, um in den Winterhain zu gehen."
Der Thron des Winters. Mutter hatte davon gesprochen. "Der König vergibt nicht. Kannst du mir den Weg sagen, den er gehen wollte? Er ist in großer Gefahr. Mond und Nebel sind in fremder Gewalt. Weder der Hirte noch der Anführer sind bereit."
"Durch die Eiswüste und dann in den Reifwald", brummte der Schwarze Kittel.
"Wirst du es schaffen?"
"Nicht, wenn ich weiter Hunger leide."
Gwayan verließ die Höhle und spähte lange in den eisigen Winter. Die klirrende Kälte trieb einen Schneebären an die Felswand, wo er Schutz suchte vor dem Sturm. Gwayan schwang die Keule, und der Schädel bretterte auf den Rücken des Bären nieder, brach ihm die Knochen. Der Schamane packte den Kopf und drehte ihn einmal herum. Er zog den Bären in die Höhle, nahm ihn aus, schnitt das Fell in zwei große Teile. "Ich decke dich damit zu. Wir teilen uns das Fleisch. Die andere Hälfte des Fells nehme ich mit."
Stunden später hatte Gwayan die Eiswüste hinter sich gelassen und erreichte die ersten Ausläufer des Reifwaldes. Große Tannen, denen die Kraft des Jorganrückens nichts auszumachen schien, warfen tiefe Schatten in die ohnehin schon vorhandene Finsternis, denn zu dieser Jahreszeit war es hier immer dunkel. Wenn da nich ein einsames Feuer wäre, das die wachsamen Augen Gwayans inmitten des Waldes ausmachten. Leise lief er weiter, die Keule in der Hand.
Es war ein Lagerfeuer, aber niemand war dort. Er fand Spuren im Schnee. Nicht sehr groß. Langsam folgte er ihnen, bis er im Dickicht ein Augenpaar bemerkte. Glühend rot.

Caldorvan

Weder waren dem Untoten die Falken Dakhils entgangen, die heute nicht mehr flogen, noch waren ihm die zahlreichen Manöver der Hohenfelser entgangen. Zu gern hätte er sich in den Nebel verwandelt und mehr erfahren, aber die Rekruten, die ihm Callum vor die Nase hatte setzen lassen, ließen ihn nicht mehr aus den Augen. So war es ihm auch nicht möglich, erneut Kontakt zu Elyarn aufzunehmen, dem er das Angebot gemacht hatte, den Weißen Wolf zu töten. Als nächstes würde er dann dafür Sorge tragen, dass Hohenfels in ein schlechtes Licht rücken würde bei der Allianz, welche den Fluss bewachte und außerdem gute Beziehungen zu Hlifa unterhielt. Als sie ihn über Arans Tod unterrichtet hatte und anschließend gefragt hatte, aus welchem Grund er sich für sie interessierte, er war versucht gewesen, zu antworten, nur um ihr Gesicht zu sehen. Dass sie einen Lebanpakt hatten, von dem sie nichts wusste, durfte sie aber noch nicht erfahren - auch nicht den Inhalt und den Grund. Es würde alles zerstören, wofür der Untote so vieles auf sich genommen hatte, zuletzt die Übernahme durch den Dybbuk. Alles war mit Absicht geschehen. Nicht nur um Hlifa noch mehr an sich zu binden, aber es konnte nicht schaden, ihr Vertrauen und ihren Glauben immer wieder auf die Probe zu stellen: Sie konnte nicht anders.
Caldorvan erinnerte ich an sein Gespräch mit Elyarn. "Ich biete dir den Tod des Weißen Wolfes."
"Und wer ist das?", hatte Elyarn gefragt.
"Ich bin erstaunt. Das, was euch allen das Genick brechen kann, und ihr wisst nichts davon?"
"Wir sind sehr beschäftigt, Untoter. Erzähle mir mehr davon."
"Ich verlange etwas dafür: Nicht nur führe ich euch an, ebenso will ich die Krone. Ich werde das Reich beherrschen."
Elyarn hatte den Eindruck gemacht, ihm zu glauben, also hatte Caldorvan nach dessen Zustimmung berichtet: "Es gibt einen Herrscher, den Fürsten aller Tierfürsten. Ihr könnt ihn nicht verwandeln. Sein Name ist Dakhil. Er kann aber den Weißen Wolf führen, so ich diesen zähme. Du fragst dich, warum es so ist? Ich will es dir erkären: Es gibt einen alten Fluch, den Fluch von Mond und Nebel. Er ist verantwortlich für die Existenz des Winterkönigs, des Zwists der Dunkelelfen und ebenso für die Existenz des Weißen Wolfes. Jedes Jahr wird ein neuer Wolf entsandt. Er bringt den Winter auf die Welt, und er kann euch besiegen. Möchtest du das, Elyarn?"
"Natürlich nicht."
"Das denke ich auch. Ich kenne den Wolf. Sein Name ist Lucius. Wir hatten einst geschäftlich zu tun."
"Lucius von Trar", hatte Elyarn dann festgestellt.
"So ist es. Allerdings erwarte ich, dass Eure Truppen Witrin verlassen."
"Das werden sie, wenn unser Experiment unter dem Turm abgeschlossen ist. Sorge dich nicht, es wird dir nicht schaden, und auch nicht Witrin."
"Was ihr tut, soll eure Sache sein. Unser Handel steht?"
"Ja."
Elyarn würde jetzt auf seinen Bericht warten, aber die vermaledeiten Rekruten verdarben den ganzen Plan. Was notwendig war, das war eine Ablenkung. Im Zweifelsfall müsste er sie jedoch töten und seine Intentionen offenbaren. Es würde alles kompliziert machen. Wer würde ihm dann noch vertrauen? Also beschloss Caldorvan, zu warten. Wenn es etwas gab, was sein Dasein als der Blutige Stumpf, entstanden aus dem Wasser des Seelenmoors, das auch Lucius verwandelt hatte, ihm geschenkt hatte, dann war es Geduld.
"Ich kann dir behilflich sein, aber in dem Chaos eines Angriffes ist nicht sichergestellt, dass auch die Rekruten gerufen werden", sagte die ihm wohl bekannte Stimme in seinem Kopf.
In Gedanken antwortete Caldorvan. "Es wird sich sicher bald eine Möglichkeit eröffnen. Geduld, Zhaerius."

Jogrimur

Szynric schien besorgt zu sein. "Und wenn Cleophos es gemerkt hat, was dann?"
"Dann bleiben wir beim Plan, den der Prophet uns gewiesen hat. Sobald der Spiegel eingesetzt wird, stehlen wir ihn. Doch ich vertraue darauf, dass der Prophet die Wahrheit spricht."
"Dein Vertrauen in allen Ehren. Aber scheitert der Plan, sind wir ewig an ihn gebunden. Dann werden wir die Stimme des Weinenden Gottes, der die Sterne sieht, niemals hören. Du hast selbst gesagt, dass wir den Propheten nicht wollen, ihn nicht brauchen. Lösen wir uns von ihm. So wie Aran es vorgeschlagen hat. Saban und Lathias sind auch für eine schnelle Lösung."
Jogrimur knurrte. Er erinnerte sich an seine Zeit als Hetman der Völsungar. Niemand stellte sein Wort in Frage. "Schweig nun! Es wird getan, wie ich es sage. Geh wieder an die Arbeit."
Sein Plan würde nicht scheitern. Aran hatte zugestimmt. Immerhin waren ihm die Mittel und Wege bewusst, und der Zauber, den er gesprochen hatte, würde die Wirkung auf Cleophos nicht verfehlen, hatte er versichert. Darauf verließ sich Jogrimur nun. Der Spiegel wäre bald sein, und der Prophet würde ihn nicht bekommen. Die einzige Gegenleistung, die Jogrimur akzeptieren würde, wäre, dass der Prophet ihnen die Möglichkeit gäbe, selbst mit dem Weinenden Gott, der die Sterne sieht, zu sprechen. Sie mussten sein Wort hören, seine Trauer fühlen, und sie brauchten ihn, um den weiteren Weg zu weisen. Saban hatte ihm geraten, mit den Nordleuten einen Pakt einzugehen, wie er es in Bretonia getan hatte. Dazu hatte Aran keine Meinung, aber auch Lathias und sogar Szynric drängten darauf. Aber Jogrimur war kein Mann des Friedens, er war ein Mann des Krieges. Und bald schon würden die Ostfold und ebenso Skjöldbur für ihren Hochmut bezahlen. Die letzten Angriffe, sie wären erst der Anfang gewesen.
"Jogrimur", rief ihn eine Wache.
"Was gibt es?"
"Unsere Kundschafter haben Schiffe gesehen."
"Das hier ist Midgard. Es ist üblich, hier Schiffe zu sehen", knurrte Jogrimur.
"Schiffe aus Tectaria. Sie tragen das Wappen der Kirche."
Nun war er doch überrascht. "Wo?"
"Am Fjord vor der Ostfold. Hetman Blakkur hat einen Gesandten in Empfang genommen."
"Ist das so? Haltet euch fern von den Schiffen. Wir wollen erst wissen, was gesprochen wurde. Sendet Späher in den Fjord, ausschließlich zur Beobachtung."
"Jawohl."
Eine Einmischung durch Tectaria wäre sehr schlecht. Seine Brüder waren ebenso auf dem Heimatkontinent aller Bretonen. Hatte man dort etwa von der Möglichkeit gehört, sie besiegen zu können? Die Tectarier durften unter keinen Umständen vom Fluch von Mond und Nebel erfahren.
"Warum verwandeln wir sie nicht?", fragte eine andere Wache.
"Der Prophet wünscht es so. Und noch hören wir auf ihn."

Allyen

Er war erleichtert über die offene Aussprache mit den Skjöldburern. Königin Theresia würde es verstehen. Besser Klarheit als dieses unnötige Versteckspiel. Hetman Hrafna hatte deutlich gemacht, dass er Cleophos ausliefern würde, wenn die Mission erfüllt wäre. Eine Sorge weniger. Die andere, das Lager Crenns, ließ er durch Kundschafter beobachten. Bisher verhielten sich diese Leute ungewöhnlich ruhig. Manchmal verließ ein Späher das Lager, aber Allyens Mannen blieben unentdeckt. Es war verwunderlich, dass sie nicht umgehend versuchten, Cleophos erneut zu entführen. Aber vielleicht wussten sie schon von Allyens Heerlager und ebenso, dass Dakhils Männer in den Wäldern zwischen Skjöldbur und dem Heerlager lauerten. Von denen hatte Allyen noch nichts gehört. Er hatte seine Soldaten angewiesen, Herumtreiber, gleich woher sie kamen, festzuhalten. Lediglich Crenns Späher ließ er verfolgen, aber sie ritten oder liefen nur zur Küste, hielten Ausschau und kehrten dann zurück.
Bis heute. Eine Wache kam zu ihm. "Sir Allyen, es gibt da ein Problem."
"Was ist passiert? Regen sich Crenns Männer?"
"Laufen wie die Hasen, von der Küste zurück in ihr Lager. Sie waren in der Nähe des Fjords im Jütland."
Allyen hob eine Braue. "Und? Hat Blakkur ihnen in den Arsch getreten?"
"Mitnichten. Er hat sie nicht gesehen. Aber die Späher Crenns haben wohl gesehen, was wir auch sahen: Es sind mehr als 25 Schiffe Tectarias vor der Ostfold gesichtet worden. Sie liegen dort vor Anker."
"Was? Bei den Göttern. Schickt sofort eine Botschaft an die Königin, sie sind vielleicht auch in der Heimat. Und sattelt umgehend mein Pferd. Sechs Reiter begleiten mich sofort nach Skjöldbur."
"Jawohl!"
"Warte."
Der Soldat hielt inne. "Herr?"
"Blakkur wird die Schiffe ja wohl auch gesehen haben. Irgendeine Reaktion der Ostfolder oder der Tectarier?"
"Nein, bisher ist es ein gegenseitiges Beobachten."
"Gut. Hoffen wir, dass es so bleibt. Ich werde zuerst Hetman Hrafna in Kenntnis setzen, dann sehen wir weiter. Los, erledige alles!"
Auch das noch. Als mischten nicht schon genug Parteien hier mit. Allyen ließ das Lager in Alarmbereitschaft versetzen, dann ritten er und seine Begleiter zügig davon. Er hatte genug Leute, es mit Crenns Lager und notfalls auch mit Dakhils Leuten - sollte ihre Freundlichkeit in Feindseligkeit umschlagen - aufzunehmen. Aber mehr als 25 tectarische Schiffe, das bedeutete unter Umständen eine Mannstärke von 6000 oder mehr. Nicht auszudenken, was geschehen könnte. Und jeder Tote verwandelte sich!
Als sie die Palisaden schon sehen konnten, trafen sie einen Reiter, der auch auf dem Weg nach Skjöldbur war. Es war ein Bretone, aber nicht irgendein Bretone. "Prinz Aurelion? Was bei allen Heiligen verschlägt Euch jetzt hierher?"
"Das Wort der Himmlischen, Sir Allyen. Ich weiß, was wir tun müssen. Darum muss ich sehr dringend nach Skjöldbur."

Roymar

Dakhil würde ihm die Sünden seines Vaters nicht vergeben können, aber irgendwie war es möglich gewesen, eine Einigung zu erzielen. Es war ihm durchaus klar, dass zwanzig Pferde niemals genug waren, den Tod einer ganzen Familie zu sühnen, aber der Hun war ein Mann von Ehre und stand zu seinen Worten. In Roymars Augen hatte Dakhil Al Khan Größe gezeigt. Denn die Sitte seines Volkes erlaubte auf jeden Fall eine solche Vendetta, und nicht nur das: Eigentlich schrieb sie es sogar vor. Roymar war nie ein Freund der Sklaverei gewesen. Das Töten des Gegners im Kampf war ehrenvoll, blutig, oft einfach nur tragisch, aber in jedem Fall etwas anderes als das Abschlachten einer ganzen Familie. Damals, als er noch der junge Erbe des Hauses Farth gewesen war, hatte er nie mehr tun können, als seinem Vater widersprechen. Dafür hatte er regelmäßige Züchtigungen durch den Hauskaplan oder - noch schlimmer - den Inquisitor der Provinz zu ertragen. Vielleicht waren es die Prügel gewesen und die Aussicht, niemals mehr als ein Erfüllungsgehilfe der kirchlichen Sanktionen zu sein, die ihn bereitwillig in die Thronfolgekriege des Landes Bretonia hatten eingreifen lassen. Sein Schwert kämpfte nun für das Reich, seine Königin und Hohenfels. Aber er konnte nicht leugnen, dass sein Herz geteilt war. Es schlug nicht für die Herrschenden in Tectaria, aber für das Land. Oft vermisste er die Ebenen von Bretaris, die lethosischen Wasserfälle bei der Hauptstadt und die grüne Steppe zwischen den Bergen von Horcan. Aber dann war da auch das viele Blut, das Tectaria in der Vergangenheit bis heute vergossen hatte. Nicht nur die Scheiterhaufen und die Folterungen sogenannter Hexer und Hexen. Nein, auch das Blut der Kreuzzüge. Wo immer das schwarze Kreuz zu sehen war, es bedeutete Leid und Schrecken.
Und nun waren sie hier. Roymar hatte ein kleines Lager errichtet, bewacht von seinen Soldaten, dazu durch die Nordmannen von der Brücke geschützt, die ihrerseits auch das Aufkommen der Schiffe beobachteten. Den verdammten Schwimmer hatten sie alle zu spät bemerkt. Erst hatten sie es für ein Malstromwesen gehalten, aber tatsächlich war es einer der glatzköpfigen Krieger gewesen, die man Loyalisten nannte. Erst hatten sie den Zendavesta gedient, und nun schienen sie unter Maegranths Befehl zu stehen. Die Wesen waren dem Schwimmer gefolgt, aber sie waren nicht in der Lage gewesen, ihn zu verwandeln oder wenigstens zu töten. Er war zu schnell gewesen. Roymar und die Nordleute hatten nur noch sehen können, wie der Loyalist an Bord eines der Schiffe gegangen war.
Das war nun Stunden her. Er lief auf und ab, ließ jedes Schiff und auch das Wasser beobachten. Malstromwesen lauerten in den Fluten und schienen darauf zu warten, dass der Loyalist das Schiff wieder verlässt. Was Roymar einfach nicht aufgehen wollte, war, dass es doch hieß, die Malstromwesen folgten dem Wort ihres Propheten. Also dem Befehl von Zhaerius von Maegranth. Warum versuchten sie dann, den Loyalisten zu töten? Waren sie nicht verbündet durch Zhaerius?
"Sir Roymar, jemand wünscht Euch zu sprechen."
"Soll warten."
"Er sagt, es ist wichtig. Es geht um die Schiffe."
"Schafft ihn her. Behaltet alles im Auge. Wenn der Loyalist das Schiff verlässt, schießt auf die Malstromwesen, aber nicht auf die Schiffe und nicht auf ihn. Wir wollen ihn lebend!"
Roymar ging ein paar Schritte. Ein Nordmärker in einfacher Kleidung, unbewaffnet, wartete auf ihn. "Sir Roymar?"
"Eben der. Man sagt, Ihr habt Informationen? Woher?"
"Ich bin freischaffend und habe meine Quellen", antwortete der Unbekannte.
"Soso. Euch ist aber klar, dass ich Euch festhalten muss, wenn Ihr mir nicht Euren Namen und den Eurer Quelle nennt? Dies alles hier ist sehr delikat."
Der Unbekannte nickte. "Das verstehe ich. Wenn Ihr mich festhalten müsst, dann ist das so. Aber meine Quelle und meinen Namen kann ich nicht nennen. Aus Sicherheitsgründen."
"Sicherheitsgründe, aha. Gut, ich werde Euch von den Nordleuten übernehmen lassen. Ihr erhaltet Speis und Trank und wartet, bis ich entschieden habe. Sprecht nun!"
"Wir Ihr wünscht. Der Loyalist dient Zhaerius, und er wird den Tectariern Angebote machen. Zhaerius hat ein Ziel und dafür benötigt er Tectaria hier. So ist es jetzt gekommen. Es geht ihm nicht um Verbündete. Aber er will den Heiligen Vater."
"Der Heilige Vater ist hier? Das Oberhaupt der tectarischen Kirche?"
"Danach sieht es aus."
Roymar ließ den Mann abführen. Stunden später war der Schwimmer nicht wieder aufgetaucht, und die Schiffe blieben an Ort und Stelle. Wie Raubtiere, die ihre Beute in Ruhe betrachteten.

Blakkur

"Alle Mann aufstellen. Die Geschütze, die uns Fenthros zusammengekloppt hat, richtet sie auf die Schiffe. Die Maschinen und die Geschütze der anderen Seite sichern weiter das Umland und besonders die Ufergegenden. Für die Stinkewesen wäre das hier ein gefundenes Fressen. Sollten die tectarischen Schiffe Anker lichten, umso besser. Bis dahin haltet euch bereit, sie zu versenken. Machen sie einen Mucks, schießt ihr sofort. Frauen und Kinder in die Taverne, der Markt ist vorerst geschlossen!", befahl Blakkur, nahm sich Axt und Schwert, setzte seinen Helm auf und lief zum Ufer.
Die verfluchten Schiffe waren aus dem Nebel urplötzlich aufgetaucht. Es war Blakkur bekannt, dass die Tectarier gute Seefahrer waren. Ein Volk, das eroberte. Falls sie es aber auf die Ostfold abgesehen hatten, da hätten sie sich schwer getäuscht. Blakkur war willens, die ganze Flotte zu versenken, bevor auch nur ein Tectarier einen Fuß auf den Boden Midgards setzen würde. Er schickte Reiter aus, die an der Küste nach weiteren Schiffen Ausschau halten sollten. "Alle weiteren Schiffe werden gezählt und gemeldet. Und stellt fest, ob irgendwer Kontakt mit ihnen aufnimmt. Derjenige wird gefasst. Am besten lebend, wenn die Götter es wollen. Seid vorsichtig, die Wesen lauern im Wasser."
Blakkur stand am Ufer, die Axt in der Hand. Seine Männer sammelten sich und richteten die Geschütze wie befohlen aus. Angespannt hielten die Krieger ihre Speere, Schwerter und Äxte in der Hand. Bogenschützen entzündeten Kohlebecken und kleine Misthaufen, um auf Befehl mit Brandpfeilen auf die Tectarier zu schießen. Es dauerte Stunden, und nichts geschah. Etwas sagte ihm, dass ein Angriff anders abgelaufen wäre: Im Schutze des Nebels hätten sie schon längst Ballisten feuern lassen können oder wären heimlich an Land gegangen. Aber sie waren einfach nur da und lauerten. Manchmal sah man Bewegung an Deck, wenn ein Templer einen Befehl gab, der Steuermann sich regte oder Matrosen ihre Arbeit verrichteten. Auf dem vorderen Schiff sah Blakkur einen Mann in einfacher Kleidung, der seinerseits ihn und seine Mannen zu beobachten schien. Die Schiffe waren nicht sehr weit entfernt, aber zu weit, als dass man Rufe hätte verstehen können.
"Was wollen die von uns, wieso greifen sie nicht an?", fragte ein Krieger.
Ein anderer murrte: "Lass uns den ersten Schlag tun, Blakkur."
"Wir warten noch."
Aber wie lange? Was, wenn sie irgendeine Wunderwaffe hätten oder wenn in ein paar Stunden weitere Schiffe kämen? Die Männer hatten nicht Unrecht, es war der beste Zeitpunkt. Und doch wollte Blakkur nicht den ersten Schritt wagen. Was, wenn sie aus anderen Gründen hier wären? Ein Angriff der Jütungen würde eine klare Sprache sprechen, und vielleicht würden ihnen wichtige Dinge entgehen und es würden dann erst recht weitere Schiffe kommen. Dass sie es überhaupt gewagt hatten, so weit zu fahren. Das Faulwasser war überall. Möglicherweise waren Kranke an Bord und sie suchten Hilfe. Oder ihre Kirche hatte ihnen eingebläut, dass nur die 'Heiden' Midgards dafür verantwortlich sein könnten. Es war ihm ein Rätsel.
"Da tut sich was!", rief einer der Männer und deutete auf das vordere Schiff.
Ein kleines Boot wurde dort zu Wasser gelassen. Ein paar Krieger betraten es, gemeinsam mit einem weiteren Mann. Er sah aus wie ein Zauberer. "Wenn sie etwas anderes tun, als an Land zu gehen, schießt ihr sie auf den Grund des Meeres und alle Schiffe mit ihnen", befahl er leise, aber deutlich. Dann nahm er Erik und Thore mit.
Das Boot legte an. Die Templer stiegen aus, keiner zog seine Waffen. Nordmannen und Tectarier musterten einander. Der Mann in Robe ließ sich an Land helfen.
"Hetman Blakkur?", fragte er. "Ich bin gekommen, weil ich Obdach suche."
Er sprach fehlerfreies Nordisch.

Zada

Das junge Mädchen wischte sich die Tränen weg und deaktivierte schnell das Ecaloscop, bevor der Mann in Schwarz zurückkommen würde. Vater hatte ihr alles erklärt, und sie glaubte ihm. Schnell erinnerte sie sich an das, was ihre Mutter ihr beigebracht hatte. Sie zählte in Gedanken rückwärts, brachte sich selbst in Ruhe und wartete. Die Männer in Rüstungen, von denen man ihr gesagt hatte, sie kämen aus dem bösen Land Tectaria, warteten noch immer vor Amurs Tempel. Warum ließ Amur nicht einfach einen Blitz in die Männer fahren oder einen Sandsturm kommen, der sie von der Erde wehte und ersticken ließ? Warum hatte er ihr diesen Mann in Schwarz geschickt, vor dem sie sich fürchten sollte, obwohl er ihre Wunden versorgt hatte und sie vor den gemeinen Männern beschützte?
Amurs Wege waren sonderbar. Das sagten die Priester immer. Aber waren sie auch so gemein? Amur hatte ihren hohen Vater zum Khagan aller Khagane gemacht und zum Herrn über die Löwen und Panther. Auch die Vögel lauschten ihm, und bestimmt auch die Fische. Es war bestimmt wie in der Legende: Jonash der Fischer glaubte immer fest an Amur, selbst als der dunkle Sturm kam. Ein Wal, groß und gefährlich, hatte sein Schiff verschlungen, aber Amur ließ Jonash überleben und sich von dem ernähren, was der Wal auf seiner langen Reise durch das Meer zu sich nahm. Er brachte Jonash zu einer weit entfernten Insel, wo es eine machtvolle Quelle Amurs gab, die Jonash von nun an beschützte. Jonash Khan, der Urvater von Vaters Namen. Und der Wal, sagte die Legende, war nun ein Geist, der ein Fischerdorf auf der Insel beschützte und ab und zu verlorenen Menschen neuen Sinn in ihrem Leben gab, wie dem Fischer. Die Legende sagte, eines Tages würde der Wal den Fischer aller Fischer rufen und in die Lande des Nordens schicken, wo einer der Söhne des Wals ihm eine neue Aufgabe geben würde. Ja, Zada glaubte an Amurs Wege. Aber nun fürchtete sie sich davor.
Die Tür öffnete sich. Der Mann in Schwarz kam herein. Wie konnte er durch diese Kuppel reisen, die ihr Land verborgen hielt von der Welt?
"Nun, mein Kind, konntest du schlafen?", fragte er, und nun sah sie auch, dass sein Lächeln keines war. Sie sah nur eine hässliche dämonische Fratze. Ihr Herz pochte. "Wie geht es dir nun?"
Sie schluckte leise. "Es geht mir gut. Wann wirst du die Männer da draußen für mich töten?"
"Warum töten, wenn sie uns helfen können? Wenn alles gelingt, dann bringen sie dich an einen sicheren Ort."
Zada nahm allen Mut zusammen. "Kann ich nicht mit dir durch die Kuppel gehen?"
Er lachte. "Nein, das geht leider nicht. Weißt du, ich bin Amurs Stimme, und so gestattet er es nur mir. Er hat die Kuppel gemacht, um das Land zu beschützen."
"Und wieso sind dann tectarische Soldaten hier?", fragte sie, und im gleichen Moment erkannte sie ihren Fehler.
"Du kennst sie? Vor einigen Tagen hast du mir gesagt, sie wären dir fremd", flüsterte er, kniete sich hin und legte ihr seine kalte Hand auf die Schulter.
Zada betete wieder, dann zählte sie im Stillen. "Ich habe ihr Wappen erkannt. Mein Vater hat einst davon erzählt. Sie haben ihn in Ketten gelegt. Es sind böse Männer. Aber du bist ein guter Mann", log sie.
"Dein Vater ist klug. Aber er hat dich allein hier gelassen. Bist du nicht bös mit ihm?"
Sie erkannte, was er plante. Es war ganz so, wie Vater es gesagt hatte. "Er hat eine Aufgabe. Er ist auserwählt. Wie du."
"Ja, wie ich. Aber er hat einen deiner Brüder sterben lassen. Shamir ist tot."
"Er starb bestimmt tapfer, im Kampf", antwortete sie und nahm sich zusammen. Shamir war ihr der liebste Bruder gewesen.
"Nein. Dein Vater hat ihn getötet, weil er ungehorsam war."
Zada glaubte dem Mann in Schwarz nicht, aber sie spielte mit und weinte. Das Weinen war kein Schauspiel. Sie vermisste Vater, und ihre Mutter. "Ich verstehe."
"Braves Kind. Hast du etwas im Ecaloscop entdeckt, hm?"
"Nein, da war nichts", log sie wieder, und zählte.
"Versuch es weiter", befahl er kalt, als würde er sich einen Moment lang keine Mühe mehr geben, ihren Retter zu spielen.

Varcus

"Ich will jede Bewegung der Bretonen und der Nordleute sehen und informiert werden. Wir greifen nicht an. Sollten sie den ersten Schritt tun, dann zeigt ihnen die Macht des Herrn", befahl er und ging mit dem Fremden unter Deck. "Wein? Etwas anderes?", fragte er ihn. Der Fremde schüttelte den Kopf. "Nein. Ich benötige nichts."
"Ihr seid ein großes Risiko eingegangen. Die Wesen im Wasser, und am Ufer die Bretonen und nordischen Heiden. Warum das alles, wer seid Ihr?", fragte der Präfekt von Bretaris.
"Mein Name ist unwichtig. Einst war ich ein Diener der Zendavesta. Nun bin ich es nicht mehr."
Varcus hatte von den Ereignissen in Bretonia und Midgard gehört. Die Zendavesta waren zerstört worden und mit ihnen die verfluchte Zeitmagie. Zu schade, dass nicht alle Zauberei von dieser Erde verschwunden war. Magie war der Urgrund allen Übels, aus den verdorbenen Lenden einer Frau in die Welt geboren. Und war nicht auch die Frau von Natur aus ein verdorbenes Wesen, das einmal im Monat verzweifelt versuchte, ihre Unreinheit mit Blut auszuspülen? Kein Wunder, dass die sogenannten Elaya an eine Frau als ihre Götzin glaubten.
Nein, Varcus war alles andere als zufrieden gewesen, als der Rat ihm befohlen hatte, sicheres Obdach für den Heiligen Vater zu finden. Die Pestillenz hatte das halbe Land verseucht, und die Kirche hatte ihre Pforten schließen müssen. Bauern waren nicht mehr in der Lage gewesen, den Zehnten zu geben, und die Bürger des Landes hatten Recht, wenn sie die Ursache für das Große Sterben in Bretonia vermuteten: Die Sünden des Liranus, der einst mit den Schiffen Tectaria, das Land Gottes, verlassen hatte, zusammen mit dem Glauben an die niederen Engel Liras und Leban, sie kehrten nun wieder. Sie stellten sich als eine große Seuche gegen alle, deren Väter es zugelassen hatten, dass Liranus den Irrglauben in die Welt tragen konnte. So sah es Varcus. Der Präfekt hatte seine Ehefrau und seinen Sohn an die Wesen verloren, und nun war es seine Aufgabe, den Heiligen Vater zu schützen. Nachdem der Sturm des faulen Wassers die Pestillenz auch über die Kathedrale der Hauptstadt gebracht hatte, waren die Zwillingstürme, die für die Engel standen, eingestürzt: Ein weiteres Zeichen für die Verruchtheit und Gottlosigkeit Bretonias, das zudem von einer Illegitimen und einer Bastardin geführt würde. Varcus hoffte inständig, Theresia wäre verwandelt oder am besten tief verscharrt in einzelnen Stücken. Nein, für dieses Land hatte er nichts übrig. Aber als der Heilige Vater verkündet hatte, er werde Hilfe suchen in anderen Ländern, auch in Bretonia, waren die Widerworte des Präfekten im Keim erstickt worden. Er hatte sich fügen müssen.
Ob es ein Zeichen Gottes gewesen war, als der Sturm aufgekommen war? Sie waren schon viele Tage gen Osten gesegelt, da waren die Wellen sehr plötzlich gekommen. Immer höher hatten sie sich aufgebäumt, und drei Schiffe hatte die Flotte nach der ersten Stunde in Wind und Wetter verloren. In der dritten Stunde waren es noch einmal vier geworden. Varcus hatte den Heiligen Vater unter Deck bringen lassen. Er selbst war oben geblieben und half, wo er konnte. Als die letzte Welle ein weiteres Schiff in die Tiefen gezogen hatte, wo die Wesen der Pestillenz sicher lauerten, hatte er den lauten Ruf des Heiligen Vaters vernommen und war schnell unter Deck geeilt. "Habt Ihr es auch gesehen?", fragte er, fahl wie eine Wand.
"Was, Eminenz, was?"
"Einen Wal, so groß wie die Kathedrale, aber durchsichtig wie ein Geist. Ich sah ihn, er nannte mich Fischer aller Fischer", sagte er und zeigte auf eine Luke.
Hirngespinste, dachte er, sagte er aber nicht. "Hochheiliger Vater, Ihr seid erschöpft, und der Sturm war schlimm."
"Er sprach zu mir."
Das waren die Gründe, wieso sie die Flotte getrennt hatten. Es war Varcus nicht möglich gewesen, ihn umzustimmen. Er betete für die sichere Ankunft des Heiligen Vaters.
"Und Ihr dient nun wem?", fragte Varcus den Unbekannten.
"Zhaerius von Maegranth. Er hat eine Mitteilung für Euch."
Varcus lauschte den Worten genau. Er kannte Maegranth, man sprach manchmal von ihm. Er hatte vor sehr langer Zeit, es mochten 200 Jahre oder mehr sein, Cleophos von Aestrinor nach Marjastika begleitet. Man hatte nie wieder von ihnen gehört. Das Angebot Maegranths würde er überdenken. Solange man seine Schiffe nicht angreifen würde, solange könnten sie noch auf eine Nachricht des Heiligen Vaters warten. Verrat schmeckte Varcus nicht - Macht aber schon.
Er ließ den Unbekannten aus einer hinteren Luke ins Wasser tauchen. Abgesehen von dem Angebot hatte er noch etwas gesagt: "Dakhil ist hier. Der Panther."
Varcus war hoch erfreut. Es gab noch die ein oder andere offene Rechnung zu begleichen. Für Gott, den Herrn!#

Der Weinende Gott begegnet einem Kind

Hrabanus sah von den Sternen wieder auf das Meer. All seine Kinder, so weit weg. Da kletterte ein Wesen aus der Erde. Wieso konnte dieses seiner Kinder das Eiland, das nun Insel der Finsternis genannt wurde, betreten? Dann ging es Hrabanus auf, als er das Gesicht erkannte. Damals, in der Abtei, hatte er es auf Gemälden gesehen. Auf dieser Insel war er gestorben, erinnerte sich Hrabanus.
Dann sprach er zu ihm: "Liranus, komm zu mir."
...
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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 12 Dez 2012, 15:58

ZWISCHENSPIEL VII

- Metamorphosen -


Wie der Weinende Gott einem Kind begegnete

Hrabanus sah von den Sternen wieder auf das Meer. All seine Kinder, so weit weg. Da kletterte ein Wesen aus der Erde. Wieso konnte dieses seiner Kinder das Eiland, das nun Insel der Finsternis genannt wurde, betreten? Dann ging es Hrabanus auf, als er das Gesicht erkannte. Damals, in der Abtei, hatte er es auf Gemälden gesehen. Auf dieser Insel war er gestorben, erinnerte sich Hrabanus.
Dann sprach er zu ihm: "Liranus, komm zu mir."
Liranus blickte mit den weißen Augen erst in den Himmel, schien beinahe die Sterne zu zählen, dann näherte er sich Hrabanus. "Du bist der Weinende Gott, der die Sterne sieht. Mein Meister."
"Nennt man mich so?", fragte Hrabanus.
"Es ist der Name, den dir Saban gegeben hat."
Hrabanus erinnerte sich an ihn. Ein Sohn Caldorvans, des Untoten. "Ich weine, weil ich mein Volk nicht sehen kann. Sie sperren mich ein, die Bretonen, Tirinaither und all die anderen. Wie kannst du hier sein? Ist es, weil du hier gestorben bist, mein Sohn?"
"Ja. Ich kehrte vor meinem Tod hierher zurück. Es schien mir richtig zu sein, dort zu sterben, wo durch meinen Fehler so viele vor mir ihr Leben verloren. Das Himmelseisen hat sie geschwächt und ihren Verstand vernichtet", antwortete Liranus.
"Ich habe euch Leben gegeben. Aber eines nicht, eine Seele. Es ist eure Aufgabe. Das Mysterium, es ist der Schlüssel zur Seele."
"Was ist das für ein Schiff?", fragte Liranus und zeigte auf das Meer hinaus. Hrabanus folgte seinem Deuten und sah, wie die Magier den Schild erneuerten. "Sie lassen mich nicht gehen. Das Himmelseisen bindet mich, und der Schild verhindert, dass ich zu euch gelangen kann. Ich will bei meinem Volk sein. Und in die Sterne reisen, zu meinen Brüdern Liras und Leban. Ihnen verdanken wir die Erschaffung einer neuen Welt."
Liranus nickte langsam. "Ich habe sie in den Götterstand erhoben, als ich mich gegen den Herrn stellte. Gegen die Ungerechtigkeit Tectarias. Es ist der Frevel, nicht wahr?"
"Man nennt euch die Pestillenz."
"Ich werde dich befreien. Ich werde einen Weg finden, Weinender Gott."
"Errichte eine Stadt. Ihr braucht eine Heimat. Viele eures Volkes kommen aus dem Meer und erreichen die Nebelküste. Dies ist die Heimat."
Kurz darauf entstiegen hunderte Wesen der Erde. All jene, die hier ihr Leben ließen. Liranus hob beide Arme. "Folgt mir. Eine neue Zeit ist gekommen!"
Hrabanus schaute ihnen nach, wie sie in die Fluten stiegen und verschwanden. Wieder warf er seinen Blick auf den Schwarzstern. Die Krähe sprach zu ihm.

Wie der Mann mit den vielen Augen sich verwandelte und große Furcht spürte

Szarak lag auf dem Krankenbett, und es fühlte sich an wie eine Bahre für die letzte Reise. Das Feuer schien immer noch zu brennen, obwohl Dhorgos den Brand gelöscht hatte. "Lass deine Hände, wo sie sind, Bruder", sagte er immer dann, wenn Szarak wieder die blutigen Krusten und das verkohlte Fleisch berühren wollte. Sein Bruder hatte ihm die Augen verbunden. Das Fleisch und die Haut waren so stark verbrannt, dass die Augäpfel heraushingen. "Ich fühle das Feuer", sprach Szarak, "Emes wird dafür bezahlen. Er hätte mich besser töten sollen. Doch sein ehrbarer König ist tot. Es ist das, was mich tröstet."
"Die Zauberin ist hier", sagte eine Wache, die wohl gerade eingetreten war.
"Wer ist das, was ist geschehen?", fragte eine Frau.
Dhorgos antwortete. "Du bist nicht hier, um Fragen zu stellen, Weib. Wir bezahlen dich sehr großzügig. Verändere sein Gesicht."
"Das wird weder die Schmerzen lindern, noch seine Wunden heilen. Sie werden immer wie ein Schatten unter dem neuen Aussehen lauern", erklärte sie.
"Ich fürchte den Schmerz nicht!", knurrte Szarak, und sein ganzer Leib brannte. Es war, als wäre sein Blut wie Säure, die sich durch die Adern an die Oberfläche fraß.
"Also gut", sagte die Frau und begann, dunkle Formeln zu singen. Ihre Hand lag auf Szaraks verkrusteter Stirn. Er fühlte, wie sich eine zweite Haut formte, wie seine Augäpfel in den Kopf geschoben wurden und neue Augen entstanden. Sein Schädel pochte. Es war, als würde alles nach Außen drängen wollen, als würde ihm der Kopf zerschmettert werden. Er schrie. Dhorgos hielt seine Schultern. "Bald ist es ausgestanden, Bruder. Dann gehen wir weit weg. Hier ist kein Platz mehr für uns." "Das wird sich zeigen", flüsterte Szarak. Er hatte noch Pläne. Szarak Crenn floh niemals.
Der Gesang verstummte. "Es ist getan. Aber... ich habe etwas gesehen."
Szarak nahm vorsichtig die Augenbinde ab; er konnte wieder sehen. Dhorgos gab ihm einen Spiegel, und er betrachtete sein neues Gesicht. "Das wird gehen. Was hast du gesehen, Zauberin?"
Sie suchte nach Worten. "Ich... Ihr seid sehr krank."
"Sagt so etwas nicht. Ich wurde schwer verwundet."
Die Zauberin senkte den Kopf und atmete aus. "Nein. Ich meine, ja. Aber da ist noch etwas anderes."
Dhorgos schaute besorgt. "Sprich!"
"In seinem... in Eurem Blut, mein Herr. Es wächst." Sie erklärte, was sie gesehen hatte, und das erste Mal in seinem Leben spürte Szarak Crenn Furcht.

Wie der Fluch von Mond und Nebel einen gottesfürchtigen Knaben traf

Belustigt von dem Geschrei der brennenden Weiber betrachtete der Knabe die Scheiterhaufen. Für gewöhnlich schoren die Diener der Inquisitoren den Hexen die hässlichen gottlosen Fratzen ganz kahl, aber heute hatte Varcus Geburtstag, und er wünschte sich eine vollständige Reinigung der Ketzerinnen: So hatten die Barbiere heute keine Arbeit, und er würde den Geruch der verbrennenden Haare in sich aufnehmen können. Bei der peinlichen Befragung hatte Vater ihm sogar erlaubt, selbst Hand anzulegen:
Varcus hatte den Templern befohlen, die Hexen zu entkleiden, damit er die widerlichen Brüste und stinkenden Fotzen sehen konnte. Sein Jagdhund war in der Nähe angebunden. Wenn die Frauen ihm nicht gefallen würden, dürfte Brutus sie ein wenig anknabbern. Aber nur dann. Schließlich hatte Varcus eine Peitsche genommen und vierzig Mal auf das Mädchen eingeschlagen. Ihr Blut hatte er auffangen lassen, um sie trinken zu lassen, bis ihr Erbrochenes über die schmutzigen verdorbenen Schenkel geflossen war: Ihre Mutter schrie, und Varcus fühlte, wie es sich in seinen Hosen regte. Er nahm den gespickten Hasen in die Hand. "Seid Ihr Euch sicher?", fragte ein Templer, als Varcus die viel zu große Stange hielt, an deren Ende eine Stachelrolle waagerecht angebracht war. Die Dornen glänzten im Fackelschein, und Varcus spürte, dass der Herr ganz nah war. "Und ob ich es bin", flüsterte er, näherte sich der Mutter und ließ den Hasen zwanzigmal über ihren Rücken und dann über die Brüste rollen. Wie sie schrie und wie ihre Tochter weinte, da beulten sich seine Lenden noch mehr aus. Die Mutter wurde ohnmächtig. "Wieso schläft sie jetzt?", fragte Varcus empört. "Der Schmerz", erklärte der Templer. "Sie soll aufwachen!", schrie Varcus und warf den Hasen fort, nahm einen in Essig getränkten Schwamm und drückte ihn auf die Wunden der Mutter, bis sie schluchzend erwachte. Anschließend griff er eine glühende Zange, strich damit über ihre Beine, die sich spreizten - dann vergnügte er sich. Brutus bellte, gierig nach Menschenfleisch.
Und jetzt brannten sie. Wie das Haar in Flammen stand, verdeckten die Umstehenden Nasen und Mund, manche wandten sich ab. Er aber genoss jede Sekunde. Zwischendurch sah er mit einem bewusst teuflischen Grinsen hinüber zu den Hun, die sein Vater mit etwas Glück bald dem Hause Farth abkaufen würde. Sie wären die nächsten. Besonders der Knabe, der ihn beleidigt hatte. "Dakhil ist der nächste", flüsterte Varcus und schaute wieder zu den Frauen, die am Ende nicht mehr waren als verbrannter Mist.
In der Nacht schlief er bei offenem Fenster. Das Haus war bewacht, und sein Zimmer war oben unter dem Turm. Der Mond schien auf sein lächelndes Gesicht. Er dachte an diesen schönen Tag und spielte an seinem Gemächt herum. Doch je mehr er sich erregte, umso kälter wurde es im Zimmer. Nebel kletterte durch das Fenster hinein, und Varcus verlor sein Bewusstsein. Am Morgen wachte er draußen im Gebüsch auf, nach unruhigen Träumen. Neben ihm lag Brutus. Er war tot.

Wie eine Raupe zu einem prächtigen Schmetterling wurde

Erst war er nur ein schmaler Gedanke gewesen. Klein, unauffällig, nicht mehr als eine Idee. Wie der Schatten am Morgen. Aber dem Morgen folgte der Mittag, und als der Knabe gemeinsam mit seinen Freunden in den Gärten des Klosters von Adelmio spielte, schien die Sonne auf sein Haupt, und ein langer Schatten warf sich an die Sturmeiche auf der Lilienwiese. "Du bist dran", rief der eine. Er und der andere warteten, bis der Knabe sich zum Baum gedreht hatte und zu zählen begann: "1, 2, 3..." Der Schatten kitzelte an seinen Schläfen. "...4, 5, 6, 7..." Der Knabe spürte eine seltsame Kälte. "...8, 9, 10, 11." Dann fiel er zu Boden.
Der Schatten kicherte. "Bist du gestolpert, kleiner Mann?"
"Wer bist du?", fragte der Knabe.
"Ich bin dein Freund. Möchtest du eine Süßigkeit? Wo ich lebe, lebt die Raupe Nimmersatt."
"Das ist doch nur ein Märchen. Ich darf nicht mit Fremden sprechen, sagt Bruder Aldwyn", antwortete der Knabe.
"Das ist sehr klug von ihm. Ich bin Ricardus Schwarzstern, und wer bist du?"
"Zhaerius. Ich werde bald ein Novize sein und dem Herrn dienen", sagte der Knabe mit Stolz.
"Das ist fein. Siehst du, nun kennen wir uns. Willst du die Raupe Nimmersatt sehen und ganz viel Süßes essen?"
Der Knabe nickte. "Ich darf aber nicht zu spät kommen zum Abendgebet."
"Oh, das wirst du nicht. Ich habe eine Idee. Ich komme einfach zu dir und zeige dir die Raupe Nimmersatt. Und wenn du sie fütterst, wird sie bald ein Schmetterling sein. Prächtiger als alle anderen!"
"Wenn das geht?"
"Oh ja, das geht", sagte der Schatten. Als er die Erlaubnis von Zhaerius bekommen hatte, kletterte er in den Knaben hinein. Cleophos und Remigius riefen. "Zhaerius, du musst uns suchen!"
"Ich komme!"
In den Wochen darauf kam der Schatten in Gestalt einer Krähe immer wieder. Am Ende des elften Monats war aus der Raupe Nimmersatt ein dunkler prächtiger Schmetterling geworden.
Alea iacta est.

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 16 Dez 2012, 17:50

5



Aran

Der ehemalige Lebaner, nun treuer Diener von Hrabanus, hörte sich zuerst die Berichte vom bretonischen Festland an. Saban erzählte davon, wie Lathias Fortschritte bei dem Experiment machte: "Das Gold der Königin des Westens, das wir in Witrin geborgen haben, erfüllt seine Dienste. Wir haben die Glocke repariert und Zugang erhalten. Alles geht seinen Gang. Jedoch gibt es auch Schwierigkeiten. Ich spüre, dass Lariena in großer Sorge um Baelon ist."
"Was kümmert uns das?", fragte Aran. Sentimentalitäten waren wirklich nicht notwendig.
"Es kümmert uns, weil Liranus klargestellt hat, dass Baelon von Glan nichts geschehen darf. Jemand hat ihn vergiftet. Ein Geschwür wächst heran. Es wird ihn töten."
Aran nickte. "Das ist tatsächlich ein Problem. Sorge dafür, dass wir auf dem Laufenden bleiben. Wie steht es um Caldorvan, meinen ...werten... Vater?"
"Bisher hat er nichts getan, aber auch nichts, das sein Wort schmälern würde. Hohenfels bewacht ihn. Ich nehme an, dass er deshalb noch nicht wieder mit Elyarn sprechen konnte."
"Das ist interessant. Wäre er wirklich so loyal wie er behauptet, er könnte ohne große Mühe jeden Bewacher ausschalten", knurrte Aran, der ohnehin keinem vertraute. Auch nicht Liranus, der behauptete, er hätte persönlich mit dem Weinenden Gott gesprochen. Nein, besser war es, nur sich selbst zu vertrauen. Weder Liranus, noch Caldorvan oder Saban, noch dem Mann in Schwarz.
"Wir beobachten das. Leider gab es auch Schwierigkeiten in Midgard: Jogrimur berichtet, dass sie Allyens Lager unter Kontrolle haben, und dass sie Crenns Lager angegriffen haben. Aber Allyen wurde von einem Panther des Tierfürsten Dakhil gerettet, und die Essenz ist nicht in unserer Hand. Vermutlich ist sie auf dem Weg nach Skjöldbur, das nun uneinnehmbar ist."
Aran wurde zorniger. "Uneinnehmbar? Wieso das?"
"Fünfhundert Zwergenkrieger. Und die Ewige Flamme flackert über Skjöldbur."
"Verflucht. Diese verdammten sturen Zwerge. Und der Pakt verhindert, dass wir sie wenigstens hier angreifen können. Was sagst du zu den Plänen von Liranus?", fragte Aran.
"Die Hauptstadt? Ich halte es für gut, aber es ist zu früh. Sollte nicht erst das Experiment beendet werden? Noch besteht der Pakt."
"Ganz recht. Wenn es erfolgreich ist, gibt es keinen Grund, eine Stadt zu bauen. Dann gehört uns alles. Geben wir Liranus einige Arbeiter. Soll er glauben, dass es beginnt."
Saban nickte. "Wie verfahren wir mit dem Gefangenen?"
"Ich befrage ihn selbst."
Saban verließ den Vulkan unter dem Meer. Aran schaute noch einmal zufrieden den Gang hinab, wo er die Essenz des Nebels verborgen hielt. Die Sharrkari, die gestern eindringen wollten, hatten sie empfindlich zurückgeschlagen, und nun war der magische Schild wieder stabil. Niemand würde den Vulkan erreichen. Auch nicht die Hüter, die - wie Barcus berichtet hatte - Crenns Mannen auf und unter der Sphäreninsel geschlagen hatten. Aber die Sphäre konnte den Vulkan nicht erreichen. Aran zerfloss und tauchte durch die Kanäle der Gegenquelle, bis er eine andere Insel erreichte, wo sie den Gefangenen versteckten. Er ließ den Mann aufwachen. "Nun, sage mir, wo finde ich deinen Herrn Jorgan und seinen Wolf Lucius?"

Dakhil

Der Fürst aller Tierfürsten, der Große Panther, schüttelte die Gedanken an Varcus ab. Er hatte nun keine Zeit, sich um ihn zu kümmern - aber eines Tages wäre die Zeit gekommen. Zeit, sich zu bedanken für Jahre der Pein. Nun aber war er auf dem Weg in das kalte Land, nach Midgard. Es wäre nicht sein erster Besuch dort, wohl aber der wichtigste seines Lebens. Der Sohn des großen Wals war dort. Dakhil kannte die Legende von Jonash und dem Wal, und immer wieder sang er das Lied, das er darüber gehört hatte. Wie Jonash vom Wal verschont geblieben war und das Erste Volk auf diese Weise die heilige Insel Blyrtindur entdeckt hatte. So hatte alles begonnen. Die Quelle war entdeckt worden, das Gewölbe darüber errichtet, und Beshars Fall in die Finsternis tief gewesen. Auf diese Weise hatte sich das Wissen um die Finsternis in vielen Jahrhunderten bis Samariq bewahrt. Die Plagen aber hatten viel davon vernichtet. Sandstürme trugen alte Schriften meilenweit, der Säureregen hatte Pergamente zerstört.
Und jene, die nicht auf diese Weise vernichtet worden waren, sie waren den Heuschrecken und ihrem nimmersatten Hunger zum Opfer gefallen. Es gab ein Lied, das man in Samariq kannte. Von der Raupe Nimmersatt. Doch anstatt sich in einen prachtvollen Schmetterling zu wandeln, entstand daraus eine dunkle Schrecke, die besonders jene fraß, die fern jeglichen Glaubens waren. Das Lied war zur Zeit der Plagen gedichtet worden. Der Anführer der Heuschrecken war ein schwarzer Diener der Elemente gewesen. Khaliq. In der Sprache anderer Völker bedeutete der Name 'Schöpfer'. Das Erste Volk kannte noch eine andere Übersetzung: 'Schwarzer Stern' oder auch 'Nimmersatter Schänder'. Dass es so unterschiedliche Bedeutungen gab, erklärte sich durch die Sichtweise: Für die einen fraß er ganze Landstriche, für die anderen schuf er dadurch neuen Boden für neue fruchtbare Felder. Bis er auch jene eines Tages fressen würde. Wie das Faulwasser. Noch heute bedeutete der Schwarzstern einerseits Amurs Segen, andererseits eben jenen Fluch, der mit den sieben Plagen kam: Angst, Hunger, Tod, Krankheit und Verzweiflung. Eben wie das Faulwasser. Und Zhaerius diente dem schwarzen Stern. Auf seine eigene dunkle Weise, dies wusste Dakhil nun, und er verfluchte sich selbst für sein Unwissen, diesem Mann je vertraut zu haben. Der, der nun seine Tochter Zada jagte oder sie schon in seiner Gewalt hätte. So sang er nicht nur das Lied von Jonash sondern betete Tag und Nacht für das Leben und die Sicherheit seiner Tochter.
Die Wellen schlugen gegen das Schiff. Es war so kalt wie in der Nacht, als der Nebel und der Mond den Tierfürsten in ihm erweckt hatten. Als er der Pein Tectarias geflohen war. Vor dem Hause Farth, vor den Aufsehern und auch vor dem Knaben Varcus, der wie er zum Mann gereift war und ihn all die Jahre geprügelt hatte. Auch an jenem Tage, als Dakhil das erste Mal - und auch das einzige Mal - so etwas wie Mitleid und Gnade gespürt hatte. Das Feuer brannte noch, obwohl die Frauen schon zu Asche zerfallen waren. Varcus hatte ihn fast zu Tode geschlagen, aber er war noch immer wach. Allein schon, um inneren Widerstand gegen die Tyrannei zu zeigen. Keuchend und zornig lag er am Boden, als eine Hand seine Schulter berührte. Er konnte das Gesicht nur vage erkennen, aber es war ein Tectarier, ein Geistlicher, der ein Tuch nahm, es in eine wohlriechende Flüssigkeit getaucht hatte und seine Wunden reinigte. Dann gab er ihm Wasser. "Wer bist du?", fragte Dakhil.
Der Ruf eines Kriegers weckte die Gedanken der Vergangenheit, die wieder in die Gegenwart umschlugen. "Land, Land in Sicht!"
Midgard. Er sah die Ostfolder Bucht. Aus der Ferne beobachteten Nordleute sein Schiff. "Meidet diesen Hafen. Tectarische Schiffe sind dort", befahl Dakhil, und sie setzten nun Kurs auf Skjöldbur. Noch hatte man also nicht den Kampf gegen die verfluchten Diener des schwarzen Kreuzes aufgenommen. Er würde jedoch darauf bestehen oder seine Hilfe verwehren. Auch wenn der Große Panther besänftigt worden war durch die Worte von Hohenfels - Tectarias Ketten vergaß er nie. Der Mönch namens Mikandras mochte ihm geholfen haben. Aber der war weit weg, und alle anderen, sie waren eben nur das, was er niemals wieder erleben würde: Ketten. Ketten, die er gnadenlos brechen würde. Kein Tectarier, der unter dem Kreuz hierhergefahren wäre, würde Dakhil überleben. Niemals.

Gwayan

Der Schamane schwang die Schädelkeule und traf einen der Dunkelelfen an der Schläfe. Er fiel von seiner Reitspinne, und der Schnee färbte sich rot. Die Spinne krächzte und sprang auf ihn zu. Gwayan machte schnell einen Schritt zur Seite und schlug mit großer Wucht auf den glänzenden glatten Körper des schwarzen Ungeheuers, das sich zu seinem Herrn gesellte. Weitere Reiter kamen. Einer von ihnen trug einen Bogen und traf Gwayans Schulter. Durch den eisigen Schmerz war er einen Moment unaufmerksam, sodass er den zweiten Krieger nicht bemerkte, der ihn - auf einer Spinne sitzend - rammte. Gwayan ging zu Boden, riss die Keule hoch und wehrte einen Axtschlag ab. Ein dritter Reiter kam von der anderen Seite. Plötzlich fiel er zu Boden als ihn ein Felsbrocken traf. Die Spinne lief allein weiter, auf ihn zu, und der Krieger, dessen Schlag er eben abgewehrt hatte, war abgesprungen und holte erneut mit der Axt aus. Gwayan warf sich nach vorn, in allerletzter Sekunde. Die Spinne lief genau in die Axt, und ein weiterer Brocken traf den überraschten Krieger. Als noch zwei weitere aus dem Dickicht kamen, zu Fuß, versperrte ihnen ein Eisblock den Weg. Schläge waren von dahinter zu hören, als Gwayan sich erhob, die Keule fest im Griff. Er lief hinüber und sah, wie die alte Krähe einen Dunkelelf erschlug und wie ein Erdelementar den Eisblock in beide Hände nahm und den anderen tötete.
"Das war Rettung in letzter Minute", brummte der Oger.
Die Krähe nickte. "Wir haben gemerkt, dass uns jemand folgt durch den Reifwald. Hat Mutter Erde dich geschickt?"
"Ja. Wem dient er?", erwiderte Gwayan und deutete auf das Elementar.
"Garschil ischt mein groscher Meischter", brummte es.
Gwayan nickte. "Sehr gut. Ich will dir helfen. Du darfst nicht allein gehen, der Winterkönig ist erwacht, und wie wir sehen, ebenso seine schwarzen Schergen. Er wird es nicht dulden, dass du ihm nehmen willst, was er dir gestohlen hat. Ich spreche von deinen Schützlingen, Krähe."
"Dann sei willkommen. Sag, hast du meinen Eber gesehen? Ich sorge mich sehr. Von allen Tierfürsten ist er der schwächste auf seine alten Tage."
"Ich sah ihn. Es geht ihm gut. Weder wird er frieren noch wird er hungern."
Die alte Krähe nickte zufrieden. "Am besten versteckst du dich wieder. Du bist unser Ass im Ärmel", befahl er dem Elementar, das sich dann in die Erde grub.
"Was hast du bisher erfahren?", fragte Gwayan die alte Krähe.
"Der Reifwald ist unruhig, und nicht wenige Spinnen streifen umher. Auch Bären und Hirsche dienen dem Winterkönig als Aug und Ohr. Wir müssen vorsichtig sein. Vor uns liegt die Schlucht von Ghral. Ich weiß nicht, was uns dort erwarten mag. Und es ist ein weiter Weg zum Thron des Winters. Jorgans Rücken ist erbarmungslos geworden."
"Das war er schon immer. Seit man Jorgan in den alten Leib eines Menschen gebannt hat. Wie ich höre, wurde er ganz närrisch und schnitzte Puppen für Kinder", sagte Gwayan.
Die alte Krähe kicherte. "Das sagt man auch von mir. Aber wie es scheint", sagte er und deutete auf den erschlagenen Krieger, "stehe ich manchmal doch im vollen Saft glorreicher älterer Tage."
"Gehen wir weiter."
Die Gefährten suchten einen Pfad durch den Reifwald. Wenn sie in der Nähe Spinnen witterten, hielten sie sich bedeckt und versteckten sich, bis das Krächzen leiser wurde. Als der Schneefall wieder begann, errichteten sie eine provisorische Behausung aus Fellen und warteten, bis der Schnee weniger dicht gedrängt und lästig durch die dunklen Baumwipfel gefallen kam. Dann wanderten sie weiter. Es musste wohl Abend sein, als sie in der bei Tag und Nacht herrschenden Dunkelheit eine einsame Hütte fanden. "Wird sicher leer stehen, hier rasten wir", sagte die Krähe.
Gwayan aber wollte Vorsicht walten lassen. Er lief leise voran, die Keule zur Hand. Knarrend öffnete sich die Türe. Es brannte kein Feuer. Uralte Fässer und Kisten standen herum, ein Bogen hing an der Wand. Eine Jagdhütte, schon lang verlassen. Die Krähe trat ein, und sie machten ein kleines Feuer, um wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Das Elementar hielt vor dem Haus Wache.
Bevor sie ein Weilchen schlafen wollten, durchsuchten sie alles. In den Fässern war Schnaps, über den sich die Krähe freute. In den Kisten waren ein paar Felle, Seile und Bärenfallen. Aber in der letzten fand Gwayan eine Karte des Schelfes. Jorgans Rücken, wie er wohl vor fünfhundert Jahren ausgesehen hatte. Unten in einer Ecke standen Buchstaben des Zeichners: "J.F." Der erste Wolf. Es muss vor mehr als nur fünfhundert Jahren gewesen sein. Oder hatte er die Karte nach dem Bann gemalt?
"Sein Frevel ist nicht vergessen, aber dies hier auch nicht", murmelte Gwayan und gab der Krähe die Karte.
"Der Thron des Winters ist eingezeichnet. Er muss es ja wissen, hat er ihn doch selbst gezimmert", sagte die Krähe.
"Wir dürfen nicht vergessen, wer er war und was er getan hat. Dennoch stimmt es mich wohlig, dass wir ausgerechnet hier lagern."
Ja, Gwayan erinnerte sich gut an die alten Tage. Lang bevor die Riesen in den Süden eingefallen waren, weil sie vor dem Winterkönig geflohen waren. Lange vor dem letzten Kampf gegen die Drachen, während in heute bretonischen Gefilden der Krieg gegen das Abyssarium tobte. Jorgan, der erste Wolf, hatte es gewagt, selbst nach einer Quelle zu schöpfen, wie er sie auf der damals einzigen Insel, auf Blyrtindur, gesehen hatte. Dass der Schwarzstern nur darauf gelauert hatte, war Jorgan natürlich nicht aufgegangen, aber durch ihn war die dunkle Quelle südlich vom heutigen Skjöldbur entstanden. Sie hatte Verbindungen zum Malstrom vor Blyrtindur. Ja, man hatte Jorgan mit Recht gebannt. So war der Zyklus des Winters entstanden. Darum gab es in jedem Jahr einen neuen Wolf, und der Winterkönig nutzte es aus, in seinem ewigen Krieg gegen das Spinnenweib aus dem gleichen Geschlecht.
Es klopfte plötzlich an der Türe. Schnell nahm Gwayan die Keule. Die Krähe versteckte die Karte und nahm den Stab zur Hand. "Wer da?", fragte Gwayan. Und wo war das Elementar geblieben?

Erec

Alles vergessen. Erec spürte nur noch den Nachhall des Mysteriums, ein Spiel aus vollkommen unbekannten Farben, Gerüchen, Elementen und anderen Dingen. Aber was tatsächlich nach dem Durchschreiten der Türe, auf der er seinen Namen gelesen hatte, geschehen war, dessen konnte er sich nicht entsinnen. Als würde ein Tuch den Nebeldunst des Winters von den Fenstern wischen, es war alles fort. Das, woran er sich noch erinnern konnte, waren eben jene bunten Eindrücke ohne Sinn. Es war noch etwas Traumwasser dort, er würde es also später noch einmal versuchen. Nun aber war er müde, obwohl er geschlafen hatte. Ein Lied aber sang in seinen Ohren. Er hatte es nie zuvor gehört. Oder doch? War da nicht auch Musik, dort wo er gewesen war? Hatte er vielleicht die Lieder gehört?
Er schüttelte den Kopf, als würde er die letzten Fetzen der Erinnerung auch noch verscharren wollen in das Loch des Vergessens, tief im Grund seiner Seele. Erec spürte, dass das Wissen vorhanden war, aber es war nicht mehr möglich, es zu erfassen. Um nicht weiter denken zu müssen, packte er ein Bündel, nahm den Stab und beschloss, seine Erkundung des Eilandes fortzusetzen. Von den Wesen des Malstroms hatte er offenbar nichts zu befürchten, betrachteten sie ihn doch als den Bruder eines Gottes. Ja, er vermisste Hrabanus. Unentwegt. Doch seine Entscheidung war gefallen, und Hrabanus hatte den Preis bezahlt: Mochte er auch ein Gott sein, so war er doch auf ewig dazu verdammt, nur die Sterne zu sehen. Und nichts anderes. Sich ewig sehnen zu müssen, Teil des Pantheons der Himmlischen zu werden und am Ende doch zu versagen, es gab wohl auf der Welt keine größere Strafe als diese. Wo waren sie, die fernen Tage, als Hunger und Kälte drohten, die aber nun wie Balsam wirkten, der die innere Kälte und den inneren Hunger in einsamen Stunden zu heilen versuchte?
Erec lief über den Dorfplatz und wählte einen der unbekannten Pfade in das Gebirge. Im Westen lag der See, der in die Quelle führte, doch was hier im Osten wäre, er würde es heute erst erfahren. Der Weg führte über eine kleine morsche Holzbrücke. Vorsichtig tastete er mit leichten Schritten von Brett zu Brett, bis er sicher die andere Seite erreichte. Ein Tannenwald breitete sich hier aus, und auf den höher gelegenen Wipfeln sammelte sich Schnee. Es war sehr kalt. Er zog das Fell dichter, nahm einen Schluck heissen Met und lief dann weiter. Bald wurde der Pfad schmaler. Die Bäume drängten sich nun enger zusammen. Kalter Wind ließ den Schnee zu Boden rieseln. Obschon es noch lang nicht dämmerte, war es hier recht dunkel, grau und von Nebel benetzt. Hastig fuhr Erec herum, als er ein Rascheln vernahm. Es war ein Hirsch, der ihn eine Weile betrachtete, schnupperte und dann wieder tief im dichter werdenden Wald verschwand. Vorsichtig wählte der Hüter Alt-Blyrtindurs nun seine Schritte, denn oft verbargen sich dicke Stolperfallen unter der Schneedecke; fette Baumwurzeln verschwanden in der Erde, tauchten ab und zu wieder auf wie Seeschlangen, um anschließend erneut zu versinken. Er tastete sich mit dem Stab voran. Und da er die ganze Zeit auf den Boden gesehen hatte, wäre ihm fast eine Entdeckung entgangen: Da war ein Brunnen, mitten im Wald auf einer Lichtung, umgeben von riesigen Tannen.
Langsam trat er näher heran. Das Gestein war uralt und erkennbar aus den hiesigen Bergen geschlagen worden. Hier und da sah er Risse. Ein Eimer aus Leder, von der Zeit mitgenommen, lag neben dem Brunnen, dessen Wasser gefroren war. Er blickte hinab. Ob Alysare und die Dörfler ihn errichtet hatten? Doch warum sollte mitten in der Wildnis ein Brunnen nützlich sein? Die Bäume hier waren so riesig, eine Siedlung an diesem Ort müsste wahrlich Jahrhunderte alt sein. Erec erkundete die Umgebung. Keine Ruinen, keine Spuren von Bewohnern. Nur der Brunnen und der Eimer. Später würde er nicht sagen können, wieso er es getan hatte: Aber er nahm einen schweren Stein auf und ließ ihn in den Brunnen fallen. Es knarrte, und der Stein schlug sich durch das Eis. Platten wankten wie Schiffe im Sturm auf dem Wasser. Der Stein sank mit einem dumpfen Geräusch auf den Grund des Brunnens. Aber hörte er nicht etwas wie Glas, das zersprungen war? Er war sicher, etwas war dort unten.
Um nachzusehen, nahm er ein Seil aus dem Gepäck, wickelte es um einen dicken Baumstamm, machte feste Knoten, lief zurück zum Brunnen und band das Seil um seine Hüften. Langsam ließ er sich herab, stützte sich mit den Füßen am inneren Brunnen ab und hielt sich am Seil, bis er unten war. Das Wasser war eisig. Er beugte sich vor und fasste hinein, tastete eine Scherbe und nahm sie auf: Glas. Aber da war noch etwas. Wieder griff er in das dunkle Wasser. Als er die Hände wieder herausnahm, hielt er eine Öllampe aus Messing in der Hand, edel verziert und von der langen Zeit verschont geblieben. Gab es diese Lampen nicht in Samariq? Er dachte an die Geschichten über Djinnies. Elementarherren, die Wünsche erfüllten. Oft verschlagen und listenreich. Erec steckte die Lampe in seinen Beutel, nahm das Seil in beide Hände und kletterte hinaus. Als er wieder am Brunnen stand und das Seil von den Hüften gelöst hatte, legte er seine Decke neben den Brunnen, setzte sich und holte die Lampe wieder hervor.
Da war ein Name eingraviert, in tectarischen Lettern: Ricardus Schwarzstern. Darunter standen die Zahlen: 3x4, 1+2+3, 7, 11-1. Verwirrt drehte er die Lampe hin und her. Auf der anderen Seite war der Drudenfuß gemalt. Plötzlich grub sich eine Erinnerung aus den Träumen nach oben, als wäre sie mit Erec und der Lampe aus dem Brunnen an die Oberfläche geklettert: Die Musik. Er stellte die Lampe neben sich ab, nahm ein Pergament und begann, die Noten zu notieren. Ordnete er sie den Zahlen zu, gab es eine Übereinstimmung. Es war das Lied von der Raupe Nimmersatt.

Varcus

Das Angebot Maegranths war inakzeptabel gewesen. Niemals würde er sich auf die Seite des Mannes stellen, der nach allem was Varcus erfahren hatte die Pestillenz über Tectaria gebracht hatte. Eher würde Varcus sterben. Aber auch das lag ihm natürlich fern. Die Sicht der Nordmannen war eindeutig, und auch sein Bittgesuch an Hetman Tjoenn war abgelehnt worden. Natürlich hatte er keinen Verwandten auf dem Friedhof in den Nordlanden. Sein einziges Ziel wäre das Grab Harla Faustens gewesen. Er hatte in Tectaria erfahren, dass Jorgan sein Weib dort begraben hatte, gemeinsam mit dem Schlüsselring. Der Ring, der die Pläne der Pestillenz durchkreuzen könnte; Pläne, die sicher schon verfolgt wurden. An Land gehen und gewaltsam den Friedhof nehmen, das käme nicht in Frage. Zwar hatte er genug Männer, aber die Nordleute waren dennoch in der Überzahl, und ein offener Krieg wäre falsch. Nicht nur weil Gregorianus sich dagegen ausgesprochen hatte. Auch seine eigenen Vorhaben wären durch einen Konflikt gefährdet.
Zuerst seine persönliche Rache an den, der sein Leben bedroht hatte, damals in Tectaria: Dakhil. Damals war Varcus als Sohn des Präfekten zu Gast in Bretaris gewesen. Das Haus Farth hatte ihn und seinen Vater eingeladen: Vater wollte mit dem alten Farth über einen Handel sprechen, denn das Haus Farth hatte einen Überschuss an Sklaven. Bei der Besichtigung der Minen von Bretaris war Varcus ein junger Knabe aufgefallen, ein Hun. "Wie heißt der da?" "Das ist Dakhil", antwortete der alte Farth. "Den möchte ich haben. Bald ist mein Geburtstag." Dakhil sah ihn an und wagte es, vor seine Füße zu spucken. "Er hat mich beleidigt, gebt ihn mir, dass ich ihn bestrafen kann!", forderte Varcus. Aber der alte Farth lachte nur. "Er ist zäh, wir brauchen ihn. Du bekommst ihn, wenn dein Vater und ich uns einigen."
Varcus' Vater war Aufseher in den bretarischen Minen. So konnte Varcus ja jederzeit dort ein- und ausgehen und Dakhil belästigen. In den Tagen darauf also ließ Vater ihn den Hun auspeitschen oder ihm Stockhiebe verpassen, und Varcus liebte jeden Moment davon. "Bald gehörst du mir", sagte er immer zum Abschied. Am Tage seines Geburtstages, nachdem er eine Frau und ihre Tochter peinigen durfte, hatte man ihm erstens die Erlaubnis gegeben, sie selbst zu verbrennen und zweitens einige der Hunsklaven aus Bretaris zu den Schaulustigen gesellt. Es war eine besondere Freude, den Sklaven zu zeigen, was auch ihnen als Wertlose und Ketzer drohen würde. Dakhil war dabei, und es erregte Varcus, ihm zu zeigen, wie stark er war, als er gegen das Böse in Gestalt der Hexen vorging. Nach der Verbrennung lief er zu Dakhil:
"Hast du es so genossen wie ich?", fragte er mit einem breiten Grinsen.
"Du bist der Sohn eines Schwächlings und einer Hure, feige und dreckig wie sie", antwortete der Hun.
"Willst du schon sterben?" Varcus nahm einen Stock und schlug den Hun fast besinnungslos.
Sein Vater ging dazwischen. "Genug, er gehört nicht uns!" Er führte Varcus fort vom Richtplatz. Varcus sah noch, wie ein Mönch sich zum Hun kniete und dessen Wunden mit einem Tuch trocknete, ihm dann sogar Wasser gab. Gnade war etwas, das Varcus nicht verstand. Waren die Sklaven nicht da, um zu dienen, und sei es, die Launen ihrer Herren zu beruhigen? Warum ihnen dann helfen?
Am Abend befriedigte er sich selbst, schaute dabei an den Himmel, wo der Vollmond stand. Dann kam der seltsame Nebel, und am nächsten Morgen erwachte Varcus in einer Blutlache. Sein Hund Brutus war tot. Der Mond schien auf das Blut, und statt seines eigenen Gesichtes sah Varcus darin die Fratze Dakhils. Ein Hexer. Er hatte ihn entführt und seinen treuen Freund getötet!
Heute wusste Varcus es besser. All die Jahre nach dem Vorfall hatte er in Angst gelebt. Er war es selbst gewesen, der seinen Hund getötet hatte. Dakhil hatte ihm dies angetan. Spätestens als Varcus von Gregorianus erfahren hatte, dass Dakhil ein Wandler war, war ihm klargeworden, dass er ihn verwandelt hatte. Jahre der Furcht vor einer Entdeckung waren diesen Tagen gefolgt, und Gregorianus hatte ihm geholfen, seine Fähigkeit zu verbergen. Dakhil war also ein Tierfürst. Über die Rolle der Tierfürsten im Kampf gegen die Pestillenz war Varcus informiert. Darum musste Dakhil sterben. Wenn er Varcus schon in diese gottlose und furchtbare Lage gebracht hatte, dann wollte er nun seinen Vorteil ausspielen.
Varcus verwandelte sich, und in der Nacht schlich ein einsamer Wolf im Schutze der Dunkelheit und unter den Augen des Mondes zum nördlichen Friedhof. Er grub an Harlas Grabstätte, fand die Urne. Aber der Ring war nicht mehr dort. Das Gold der Königin des Westens, so sagten es seine Sinne, war auf dem Weg nach Süden, und der Wolf folgte ihm.

Zhaerius

Der Mann in Schwarz hatte den gesamten Tempel Amurs durchsucht. Er war von Gang zu Gang gelaufen. Dabei summte er leise ein Lied, das er seit den Tagen der Jugend kannte. "Es war einmal ein kleines Ei,
das lag auf einem grünen Blatt." Weder in der Gebetshalle mit der Löwenstatue, noch in den Sakristeien war das Mädchen zu finden. Zada war listenreich, das stand fest. Aber sie würde sich nicht ewig verstecken können. Jedoch stand auch etwas anderes für den Mann in Schwarz fest: Sie hatte ihren Vater mit dem Ecaloscop erreicht. Entweder ihn oder vielleicht Maga Aethel. Wer sonst sollte dem Kind gesagt haben, wer er war? Die Tectarier vor dem Tempel kannten ihn nicht. Und als er den Schwarzstern entfacht hatte, da waren sie alle vor dem schwarzen Falter geflohen. Der vertraute Geruch von Asche und Schwefel war gekommen, und das wunderschöne Ungeheuer hatte alle Templer und Konquistadoren, die Samariq wegen der Kuppel nicht verlassen konnten, verschlungen. Das war Zadas Gelegenheit gewesen. Die Tochter Dakhils hatte wohl das Ecaloscop in Windeseile abgebaut und sich dann irgendwo im Tempel verborgen.
"Eine Raupe klein wohnte darin fein, und die wollte ganz schnell raus", sang er leise und hoffte, sie damit locken zu können. Vor so langer Zeit war es schon einmal geschehen. Nach dem Versteckspiel mit Remigius und Cleophos war Zhaerius heimlich wieder in den Garten gelaufen. Ricardus hatte ihm viele Süßigkeiten gegeben und zusammen hatten sie die Raupe gefüttert. Immer wieder hatte es den jungen Zhaerius hierher getrieben, damit eines Tages ein prachtvoller Schmetterling entstünde. Seinen Freunden hatte er natürlich nichts davon berichtet. "Es wurde ihr darin zu eng. Sie stieß sich aus dem Ei geschwind."
Seine Stimme hallte durch den Saal. Sand wirbelte auf. Die Sarkophage der alten Khagane standen hier. Keiner von ihnen war in seiner Ruhe gestört worden, denn das Faulwasser konnte die Kuppel nicht durchbrechen. Das war von Anfang an die Absicht des Mannes in Schwarz gewesen: Samariq durfte nicht verändert werden. Es würde alles zerstören. "Und sie krabbelt schnell. Und sie krabbelt flink. Denn der Hunger war sehr groß", sang er, als er hinter die Sarkophage spähte. Auch hier war sie nicht. Zögerlich griff er den ersten Sargdeckel und schob ihn zur Seite. Nichts, nur die balsamierte Leiche eines Fürsten. Nach und nach öffnete er sie alle: Zada war nicht hier. Eilig lief er in den Gang, der in das Mausoleum der Diener führte. Die Hun begruben alle Diener eines Khagan mit ihm. Lebten sie noch zum Zeitpunkt des Todes ihres Herrn, so war es ihre Pflicht, sich das Leben zu nehmen. Der Mann in Schwarz bewunderte die Opferbereitschaft der Hun. Es war etwas, das er eines Tages selbst auch zu tun hätte, sobald der Augenblick des Sieges gekommen wäre und er den Schwarzstern weitergeben würde. "Sie begann mit einem grünen Blatt, doch das macht sie noch lang nicht satt."
Eines Tages, zehn Monate waren seit der ersten Begegnung mit Ricardus vergangen, saßen Zhaerius, Remigius und Cleophos mit den anderen Schülern in Aldwyns Unterricht. Die höhere Schreibschule hatten sie mit Auszeichnung bestanden. Nun ging es um die Fragen des Glaubens. "Wisset aber, meine jungen Brüder, das Böse lauert an vielen Orten. Ich spreche nicht von den Hexen, die dem Feuer der Inquisition zum Opfer fallen, nein, ich spreche vom wahren Bösen, von der Finsternis. Kennen wir sie?", fragte Aldwyn. "Das Urböse", sagte Cleophos. Aldwyn nickte. "Ja, das Urböse in seiner reinen Form. Der ewige Feind. Es lauert überall, sein Einfluss reicht weit. Aber auch mindere Diener und Erscheinungsformen hat es", erklärte der Mönch und sah zu Remigius, der langsam nickte. "Kann es jeden befallen?", fragte er Aldwyn. "Ja. Jeden von uns kann es holen, aber manche von uns sind sehr stark", antwortete Aldwyn und lächelte. Damals hatte Zhaerius noch keine Ahnung von den Geschehnissen um Remigius und Lazarus und dass eines Tages er selbst davon profitieren und eine Kuppel errichten würde, die das Land Samariq einschließen und schützen würde vor den Wesen, die er selbst mit Hrabanus' Hilfe schaffen würde. Aldwyn hatte danach erklärt, dass ein Hexer namens Ricardus, genannt Schwarzstern, wie der elfte Stern des Himmels, dessen Zeichen die Krähe sei, von einem solchen minderen Diener besessen gewesen sei. Nach dem Unterricht war Zhaerius angsterfüllt in den Garten gelaufen, um seinen Freund zu rufen, der genau diesen Namen trug.
"Und sie krabbelt schnell. Und sie krabbelt flink. Denn der Hunger war sehr groß", sang der Mann in Schwarz, der - während er in seinen Erinnerungen weilte - das Mausoleum der Diener erreicht hatte. Sie waren aufgebahrt, senkrecht, damit sie die Hallen für ihren Herrn bewachen würden. Leere Augen schauten durch die Bandagen in den Raum. Es roch nach altem Weihrauch und verdorbenen Früchten, die hier einst in voller Frische geopfert worden waren, für eine sichere Reise der Seele in Amurs Paradies. Die Flüsse Ma'ath und Eu'ph'r'ath umgaben den Garten Amurs. Dort sammelten die Seelen der Diener nun edle Pflanzen und Kräuter für die Herren, die darüber thronten. Aber hier, in der kalten Halle, war nur der Tod - und Zada war nicht da. "Am Montag fraß sie einen Apfel, Dienstag dann die Birnen. Mittwoch Pflaumentag, oh, wie sie das mag. Doch der Hunger ging nicht weg."
Zhaerius hatte Ricardus gerufen. "Warum hast du es mir nicht gesagt, Schwarzstern? Du bist kein Freund. Aldwyn hat es gesagt." Ricardus aber kicherte. "Was er dir nicht gesagt hat, das ist, wie ich gepeinigt wurde und gequält von seinen Herren, den Priestern und Inquisitoren. Wie ich im Feuer brannte, wie mein Haar einen schrecklichen Geruch der Fäulnis verbreitet hat, und wie mein Fleisch verdorrte. Bis ich nur noch Asche war, die man in die Winde verstreut hat. Nein, mein lieber Junge, ich bin wahrlich kein Freund der Kirche, wie sie in diesem Land ist. Sie sollte die Menschen lieben und Verirrte mit Liebe und Weisheit auf den rechten Pfad bringen, aber nicht mit Zorn und Hass." Da musste Zhaerius zustimmen. "Es kann nicht der Wunsch des Herrn sein, die Menschen zu verbrennen." "Siehst du? Wollen wir gemeinsam singen und die Raupe füttern? Bald wird sie ein herrlicher Schmetterling sein." "Ja, das möchte ich."
"Die Erdbeer'n kamen Donnerstag, Orangen dann am Freitag. Samstag Kuchentag. Sonntag war sie satt. Und der Hunger war gestillt", flüsterte der Mann in Schwarz, und öffnete die kleine Tür im Mausoleum. Ein Gang führte ihn in eine Vorratskammer. Hier hatte Zada sich vor den Templern versteckt. Vielleicht hatte sie dasselbe Versteck gewählt, um ihm zu entkommen. Er hatte es im Guten versucht, doch nun müsste er seinen Plan schneller verwirklichen. Das arme Mädchen würde sehr leiden, aber es gab keinen anderen Weg. Nur war sie nicht hier. Zornig warf er Körbe zur Seite, schob Kisten und Fässer an eine Wand. Nichts. Draußen würde sie kaum überleben, also musste sie irgendwo im Tempel sein!
Schmerz kannte er gut, der Mann in Schwarz. Nach dem zehnten Monat, es war in der Mitte des elften nach der ersten Fütterung, war ihm im Garten Ricardus erschienen. Der Schwarzstern nahm seine Hand. "Die Zeit ist gekommen. Bist du bereit, freust du dich schon auf den Schmetterling?" "Ja", sagte Zhaerius gespannt. Sie sangen das Lied. Ein Kokon war zu sehen. Etwas bewegte sich darin. "Wir müssen ihm helfen", flüsterte Zhaerius, aber Ricardus antwortete: "Nein. Es wird schmerzhaft sein, aber er muss es von allein schaffen."
"Da baute sie sich schnell ein Haus, Kokon kannst du auch sagen. Zwei Wochen lang schlief sie tief und fest in diesem Kokon", sang der Mann in Schwarz. Plötzlich bemerkte er einen lockeren Stein. Er nahm ihn die Hand, da öffnete sich ein geheimer Zugang. Der Mann in Schwarz kletterte in den Tunnel. Doch am anderen Ende blendete ihn die Sonne, und es war heiss wie Feuer, wärmer noch als der Scheiterhaufen von einst. Das Tal des Feuers. Sollte Zada sich in diese brennende Ödnis aus Stein und Flammen gewagt haben, wohin kein Ungläubiger und nur die hohen Priester gehen durften? Er wagte sich nicht hinein. Aber ein anderer würde es können - wer, wenn nicht der Schwarzstern stand für den wahren Glauben Amurs? Der Mann in Schwarz nahm seine Kreide und malte das Zeichen der Krähe, die 11, an eine Tunnelwand. Die Zahl 11 war ein dunkles Omen für die Hun, aber die wahre Gestalt des Schwarzsterns war das genaue Gegenteil.
Damals hatte Zhaerius jeden einzelnen schmerzenden Stich gefühlt, den auch der arme Schmetterling gefühlt haben musste, als er sich verzweifelt gegen die Wände seines kleinen Gefängnisses gedrückt hatte, um ihm zu entkommen. Fast wären beide, der Schmetterling und Zhaerius, gestorben, so sehr schmerzte es. Aber dann, als er und Ricardus die letzte Strophe des Liedes gesungen hatten, war der schwarze Falter in all seiner Pracht erschienen: Er füllte den ganzen Himmel über Tectaria aus, bevor er in Zhaerius' Seele als sein ewiger Freund und Beschützer gestiegen war. Auch Ricardus war nun bei ihm, für immer. Dass er und der Falter eins waren, genau wie der Schwarzstern, erkannte Zhaerius erst jetzt. Ob es nun eine Krähe oder ein Falter war, die Schwingen waren gleich. Der Herr war ganz nah, in all seiner Liebe und Herrlichkeit. Kein Feuer, keine gequälten Schreie der Brennenden - nur Göttlichkeit und Frohsinn.
Der Mann in Schwarz sang die letzte Zeile des Liedes, als der schwarze Falter in das Tal des Feuers flog, um Zada zu fangen. "Doch was war da geschehen? Heraus kam keine Raupe mehr. Ein Schmetterling! Ein Schmetterling! Ein Schmetterling flog raus."
Plötzlich spürte der Mann in Schwarz, dass etwas in Blyrtindur geschehen war. Er machte sich sofort auf den Weg.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 19 Dez 2012, 17:17

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Allyen

'Mein Sohn,

ich wähle diese Anrede, um uns beiden zu versichern, dass nichts uns trennen wird. Nimmer mehr. Weder die Entfernung noch all der Hass und das Leid, die zwischen uns stehen wie das Meer zwischen Bretonia und dem fernen Midgard, wohin ich auf deinen und der Königin Befehl gegangen bin. Auch wähle ich sie, weil ich dir verdeutlichen möchte, dass ich keine Sorge habe, der Brief würde in die falschen Hände geraten. Oder besser gesagt: Meine Liebe zu dir ist größer als die Angst vor Entdeckung. Dies mag dir unvorsichtig erscheinen, aber lass dir gesagt sein, dass ich nach all den Dingen, die hier geschehen, allen Grund habe, in erster Linie an meinen Sohn und nicht an den Kanzler des Reiches zu denken. Wir dürfen nicht verzagen. Und selbst wenn wir sterben, so wird uns Liras im Himmel oder Leban in seinen Hallen wieder vereinen - wie ich schon geschrieben habe, es wird uns nichts trennen.
Dem Kanzler würde ich nun berichten, was für Dinge sich hier zutragen, in aller Sachlichkeit. Meinem Sohn aber, dem dieser Brief gilt, will ich sagen, was ich erlebe: Wir haben ein Lager Crenns ausfindig gemacht und ebenso einen wichtigen Gegenstand, der unbedingt geborgen werden muss. Wenn du diese Zeilen liest, dann ist der Gegenstand, wie auch dieser Spiegel, von dem ich dir und der Königin geschrieben habe, in sicheren Händen. Das Lager Crenns ist zerstört. Leider habe ich auch die grausame Nachricht, dass alle Männer, die Falkenfels mir im Namen der Königin anvertraute, von den Malstromwesen verwandelt worden sind. Ihnen gilt nun ein großer Teil meiner Gebete, wie auch ihren Familien, besonders den Kindern. Ich werde - das wirst du verstehen - dafür die Verantwortung übernehmen, obschon es der Wille der Königin war, dass ich eine so große Heerschar mitnehme auf meine Reise. Diese Wesen sind grausam. Es ist nichts mehr menschlich an ihnen, wenn sie verwandelt sind. Ob ihre Gedanken echt sind oder nur ein Schatten, ein Aufblitzen, vermag ich nicht zu sagen.
Du sollst außerdem wissen, dass Dakhil Al Khan in Kürze Skjöldbur erreichen wird. Was wir genau von ihm zu halten haben, weiß ich nicht, aber seine Männer haben mehr als einmal mir und auch Skjöldbur großen Dienst erwiesen. Ich könnte ohne einen von ihnen diesen Brief nicht schreiben, denn er rettete mir das Leben, als die Wesen mich in die besetzte Vestfold entführen wollten. Das heißt in meinen Augen aber nicht, dass wir ihnen blind vertrauen sollen oder müssen. Ich werde, solange ich kann, meine Augen offenhalten. Dass ich im Kampfe verwundet wurde, habe ich in meinem letzten Brief verschwiegen. Doch sorge dich nicht, ich bin wohlauf. Es ist nichts, womit ein Krieger des Reiches nicht immer zu rechnen hätte. Ich kann immer noch ein Schwert schwingen, also kann es so schlimm nicht sein. Bitte teile der Königin mit, dass ich einsatzbereit bin.
Du wunderst dich vielleicht über meine Offenheit und auch immer noch über den Mut, dich meinen Sohn zu nennen, obwohl es schlecht ausginge - für uns beide und die Königin - wenn es jemand erführe, nicht wahr? Auch wirst du dich fragen, warum ich der Königin keinen weiteren Brief mehr geschrieben habe. Vor meiner Abreise bemerkte ich, dass es um dich nicht gut bestellt ist. Ich meine nicht den Alkohol, denn zu meiner Freude hat die Enthüllung über mich, deinen wahren Vater, den Wein vergessen lassen. Nein, ich hatte den Eindruck, dass eine Krankheit dich plagen könnte. Bitte, mein Sohn, gleich was du über mich hören magst und gleich was geschieht: Lass einen Magier und einen Medicus herausfinden, ob alles in Ordnung ist. Warte nicht auf mich, hast du mich verstanden?
Es ist möglich, dass du in Kürze einen Bericht über meine Gefangennahme lesen wirst. Oder dass du andere Dinge über mich hörst. Ich aber weiß, dass die Tat, die ich begehen werde, uns für immer von einer schweren Last befreien wird, die das Reich seit Jahren schon plagt.
Bitte vergebe mir, mein Sohn. Nichts kann uns trennen.

Allyen'

Szarak

Er hatte einen seiner Männer, einen, den er entbehren könnte, ausgeschickt, um nach der Antwort der Hüter zu sehen. Dass sie das Gift neutralisieren würden, wie zuvor bei Velas, war ihm klar. Ihm ging es um etwas anderes. Aus dem anfänglichen Spiel war eine Jagd geworden, und Szarak Crenn war dabei, diese Sache zu gewinnen. Was er nun tat, galt dem Ausloten seiner Möglichkeiten. Das erneute Angebot, das er Nour gemacht hatte, war von ihr endlich angenommen worden. Er hatte zwar viele Gesichter, aber er konnte nicht überall zu selben Zeit sein. Solange der Zeitfluch über der Insel lag, musste er geduldig sein und darauf bauen, dass andere seinen Willen ausführten. Manche ohne dass sie es wussten, aber andere - wie Nour - waren schlau genug, sodass es besser war, die Absichten zu offenbaren.
Während seiner Wanderung dachte er über den Tod seiner Tochter nach. Jorgan hatte ihn damals gewarnt. Er solle aufhören nach Lerhons Tod. Aber war dem alten Mann, dem er seine Tochter zur Erziehung übergeben hatte, denn nicht aufgegangen, dass Lerhons Tod erst der Anfang gewesen war? Es hieß, Rache sei ein Gericht, das man am besten kalt serviere. Nun, würde es nur um Rache gehen, Szarak würde der Sitte wohl folgen. Aber das, was ihm und den seinen angetan worden war, verdiente mehr als simple Rache. Es verdiente, dass er bald schon die Flüsse Bretonias mit der Pestillenz verseuchen würde, bis alle seinen Namen rufen würden: Den Namen des Retters, der mit dem Weißen Wolf kommen würde, um das Land zu heilen. Der Name des neuen Königs.
Als Szarak vor langer Zeit in Nordstein gedient hatte, da hatte Wilon ihm gesagt, dass Szarak seinem Vater Rokil am besten seinen Wert beweisen würde, indem er Nordstein schützte, wie die anderen der Äxte der Nordmark. Dass er das Resultat einer Vergewaltigung war, scherte ihn nicht. Rokils Scham jeden Tag zu sehen, in diesen alten grauen Augen, war es Wert gewesen. Als schließlich die Blodhord gekommen war und Rokil durch Ymirs Hand gefallen war, hatte Szarak keine Trauer gespürt. Dies hatte er als seltsam empfunden. Trotz der Tatsache, dass keine Liebe zwischen beiden bestanden hatte, hatte er erwartet, wenigstens etwas zu empfinden, aber da war nichts.
Er hatte nun sein Ziel erreicht: die Shar. Das Lager der Feuerdiener war schwer bewacht, und er lief mit gehobenen Armen hinein. Wie erwartet, griffen sie nicht an, als er sein Gastgeschenk präsentierte.
"Wer bist du?", fragte der Anführer.
"Mein Name ist Szarak Crenn. Für gewöhnlich verberge ich mein Gesicht. Aber da ich mit euch handeln will und meine Absichten nicht verhüllen möchte, verhülle ich mein Gesicht auch nicht", antwortete er und ließ das falsche Gesicht verschwinden.
Die Shar musterten ihn angewidert. Nur der Anführer blieb gelassen. "Was willst du, Szarak Crenn?"
"Es werden Leute zu euch kommen. Die Hüter. Sie werden mit den Sharrkari reden wollen, nehme ich an."
"So? Und worüber?"
"Über den Vulkan."
Der Anführer grinste. "Und wir sollen sie aufhalten?"
"Oh nein, nein. Gewährt ihnen, was sie wollen. Mit einer kleinen... Veränderung der Bedingungen."
"Erkläre dich!", forderte der Anführer.
Szarak erklärte seinen Wunsch und fügte dem Geschenk noch ein großzügiges Angebot hinzu.
"Du weißt, dass die Wesen des Malstroms das Wasser beherrschen?"
"Ja, aber auch dort habe ich einen Vorschlag."
Nach einer Weile lief Szarak zufrieden davon. Sein Versteck in den Ostlanden war unberührt geblieben. Er war so zufrieden wie er damals nach Rokils Tod durch seine Entdeckung überrascht worden war: Nach der Rückeroberung Nordsteins hatte Szarak zu den Männern gehört, die die Keller nach Toten, Gefangenen und dem Hab und Gut Nordsteins durchsuchen sollten. Und da hatte er es gefunden. Das, was ihn zum neuen König machen würde. Zum rechtmäßigen König!

Ormur

Der König ohne Thron wanderte mit seinen Gefährten über die Insel, die sie über die Jorganstraße erreicht hatten. Das Eis war im Winter dick genug, dass selbst die riesige Schar, die ihm von Jorgans Rücken hierher gefolgt war, nicht Opfer des Meeres wurde. Und wenn doch, er hatte bezweifelt, dass es ihm noch einmal gelingen würde, eine Seeschlange mit der bloßen Faust zu erschlagen - auf diese Weise war der König zu seinem neuen Namen gekommen. Sein wahrer Name würde ihn überall verraten. Also trug er ihn nun bereitwillig, bis eines Tages sein Ziel, der Thron des Winters wieder in seinen Händen, erreicht wäre. Der Sohn des Mondes war gekommen, um sein Volk in eine neue Zeit zu führen.
Die Jahrhunderte im Exil, weit weg von den Tälern Ghrals und dem Reifwald, waren vorüber. Denn die Sterne hatten ihm gewiesen, dass der 'Fall der Menschen' geschehen war: Nach langer Zeit und vergeblichen Versuchen bei Beshar, Lazarus und Roan war es der Finsternis nun gelungen, einen Menschen zu nehmen und zum Gott zu erheben. Menschen waren schon immer einfältig und schwach gewesen, und Ormur spürte beinahe Mitleid für sie. Wie unbeholfen sie doch waren, stets in Kriege verwickelt, ohne dass sie den Grund dafür kennen würden, warum sie einander hassten. So waren er und seine Gefährten also dem Nebelstern und dem Schwarzstern gefolgt, bis sie die legendäre Insel Blyrtindur erreicht hatten.
Vor unendlich langer Zeit hatte Ormur im Namen von Mond und Nebel auf dem Thron des Winters geherrscht. Jorgan, der Sohn Varathessas, hatte ihm alles beigebracht, was er wissen musste. Wie die Zwerge und Elfen sprachen, wie die später erscheinenden Menschen ihre Sprachen entwickelten und auch von ihren Göttern hatte er durch Jorgan gehört. Der Riese war ihm sehr vertraut geworden und lehrte ihn, den Winter zu beherrschen und mit Mond und Nebel, die Krone und Szepter waren, jene zu schaffen, die man Wandler nannte. Die Tierfürsten folgten seinem Rat, und die Welt war gut. Dann war der große Feind gekommen. Er hatte den Nebel gestohlen, um seine Ehefrau zu vergiften, die Königin der Spinnen. Und seine Armee, schwarze Krieger auf riesigen Spinnen, war zum Thron des Winters gekommen und hatte Ormur und die seinen vertrieben aus den glücklichen Gefilden. Der 'Winterkönig', so ließ der Eroberer sich nun nennen. Und Jorgan hatte Ormur und sein Volk ins Exil gebracht. Wenn Ormur geahnt hätte, dass auch Jorgan Opfer von des Winterkönigs Intrigen hätte werden sollen, er wäre niemals fortgegangen: Aber der neue König flüsterte Jorgan ein, er könne die alte Mutter Varathessa nur erwecken, wenn er selbst eine Quelle schaffen würde, so wie der große Schöpfer, der Mond, es vor langer Zeit auf Blyrtindur getan hatte. So war der Frevel Jorgans entstanden, so war die schwarze Quelle geschaffen worden, und noch immer schien der Schwarzstern darauf, dessen Musik zu bestimmten Tagen die Menschen um den Verstand brachte.
So war es mit einem geschehen. Die Menschen nannten ihn wohl den Mann in Schwarz, aber Ormur hatte ganz andere Namen für ihn. Der Schwarzstern war in Form einer elfflügeligen Krähe in den Leib eines Mannes gefahren. Ricardus, das war sein Name, hatte danach die Aufgabe den Einen zu finden, den die Krähe brauchte, um ihr Werk zu vollenden, eine Plage über die Welt zu bringen, die alle anderen Plagen vergessen lassen würde. Und Ormur hatte in den Sternen gelesen, dass es geschehen war. Zhaerius nannten sie ihn, den Mann in Schwarz. Ormur war sicher, dass der Winterkönig von all diesen Dingen wusste. Warum sonst hatte er für die schwarze Quelle direkt unter dem Schwarzstern gesorgt? Und wieso hatte er wohl die Kinder der alten Krähe in seiner Gewalt? Ob man den Schwarzstern nun Morrighan nannte oder ihm keinen Namen gab: Es war alles dasselbe Ereignis.
"Elf Tannen musst du finden, die wie ein Kreis einen Drachen umarmen. Dann bist du angekommen", hatte Jorgans Geist, der Weiße Wolf, ihm gesagt. Jorgans Seele war in den Körper eines alten Mannes gesperrt worden, aber der Geist war noch nah.
Ormur hatte den Ort gefunden, wo ein Drache schlief. In Eis und Schnee, auf Blyrtindur. Darüber war eine Anhöhe, und es lagen verbrannte Leichen dort. In einem Zelt entdeckte er eine Truhe. Darin war ein Pergament. Es war eine Nachricht von Szarak Crenn, und darunter hatte jemand ein Gedicht geschrieben - ihm war die Schrift bekannt. Es war die erste Elaya. Er benötigte sie und den anderen.

Baelon

Das Kichern wollte nicht mehr aufhören. Baelon saß in einer Ecke seiner Stube auf dem kalten Boden und zitterte, als der Handspiegel immer näher kam und lachte. Die Vorhänge fesselten seine Füße zusammen, und Gedärm schlang um seine Hände. Er konnte nicht entkommen. "Was willst du?", fragte er.
Das Kichern verstummte, und Roglunds Fratze antwortete. "Mich bedanken, ich bin frei. Das hast du gut gemacht, Baelon."
"Verschwinde!", flehte er, und die Kopfschmerzen wurden schlimmer und schlimmer. Ein lautes Pochen an den Schläfen und ein Schmerz in den Augen begleiteten das Kichern der Fratze im Spiegel. Es war, als würde jemand ein Messer in seinen Augapfel bohren und drehen, um dann den Apfel wie eine faule weiche Frucht zu zerschneiden. Sein Rücken bog sich nach hinten, und es war, als würde sein Kopf unter der Decke schweben, wo er bald platzen würde wie ein unförmiger fauler und von stechenden Fliegen bewohnter Kürbis. In einem aufkeimenden Kraftakt riss er sich von den Vorhängen los und warf das Gedärm fort. "Verschwinde", wiederholte Baelon, packte den Spiegel und schleuderte ihn gegen die andere Wand, wo er zerbrach. Das Kichern verstummte. Der Schmerz blieb.
Er hielt die Hände an den Kopf. Käme nicht bald Rettung, er grübe mit den eigenen Händen durch seine Augenhöhlen in den Schädel, um das verdammte Geschwür selbst herauszureissen. Vor seinem geistigen Auge sah er schon, wie die Finger das Hirn umklammerten und darin wühlten, auf der Suche nach dem Bösen, das sich dort eingenistet hatte. Erst packten sie alle Erinnerungen an seine Nichten, wie die eine bei Hofe Späße trieb und die andere ihr Heil im Kloster fand. Alle Schönheit wurde durch seine Hand zerdrückt und durch die blutenden Ohren in den Raum geschmissen. Dann fassten sie die Gedanken an seinen Bruder und warfen sie auf den Kehricht in den Fluren der Kanzlei, bis sie schließlich vorsichtig Lariena nahmen und sie auf sein Bett legten - Lariena. Er wusste, dass er sie liebte. Aber sagen würde er es nie. Selbst jetzt, da sein Ende nahte, nicht. Zu groß war die Furcht und die Ahnung, dass es ihr anders erging. Ein paar Gefühle, ja. Aber gar Liebe? Vermutlich nicht. Aber in seinen letzten Momenten wollte er sie einmal noch sehen und wenigstens denken: "Ich liebe dich." Ihr Antlitz war zauberhaft und sie tröstete über den Schmerz hinweg, mit den Händen tiefer zu graben, seinen Vater, Allyen, zu fassen und zu vergessen. In seinen Gedanken löschte Baelon sich selbst aus. Dann war da die Erinnerung an Aethels Brief über die Königin des Westens, schließlich fand er Theresia und Fynns Brief, warf alles fort. Er war frei - beinahe.
"Mich kannst du nicht einfach fortwerfen", sprach die Kopfstimme. Es war das Geschwür. Es hatte die Form eines Nachtfalters mit elf Schwingen. Die Stimme krächzte wie eine Krähe, und der ganze Raum stank nach Schwefel.
"Man wird dich vernichten", antwortete Baelon und kämpfte gegen den Schmerz an. Er war blutüberströmt.
"Niemand kann das. Nur ich selbst. Aber das werde ich erst dann tun, wenn ich dich vernichtet habe, Baelon."
"Wie kann so etwas Böses wie du existieren?"
"Warum existieren die Meere, die Länder, die Bäume und Flüsse? Sie sind, wer sie sind - wie ich."
Baelon schrie schmerzerfüllt. Dolche rammten in seine Hand, Spinnen kletterten aus den Ohren durch seine Augen wieder in den Kopf. "Das ist keine Antwort."
"Es ist die, die ich dir geben kann. Ich bin gekommen, um dich zu zerstören. Endlich, nach so langer Zeit, wird deine Arroganz und deine ach so gepriesene Herrlichkeit verdammt und zerstört, zertreten wie durch einen schweren schwarzen Stiefel im Staub und in der Asche von dem, was nach dir kommt."
Jetzt erkannte Baelon die Stimme des Geschwürs. Es war Irinia. Sie lachte und ihr hässliches Gesicht formte einen riesigen Mund, der ihn erst küsste und dann verschlang.
Als Baelon, die Hände an den Augen liegend, in seinem eigenen Blut wieder zu Verstand kam, rissen Diener die Türe auf, packten ihn und legten ihn auf das Bett. "Mylord, was tut Ihr denn?", fragte einer von ihnen besorgt, während der andere mit einem Tuch das Blut wegwischte. Er hatte sich in die Augen gestochen. Blut und Tränen erschwerten die Sicht, aber er konnte die Scherben des Spiegels gut erkennen. Nachdem man ihm einen Brief von Allyen auf den Nachttisch gelegt hatte, schaute er wieder zum Spiegel, sah den geflohenen Dybbuk in den Kinderaugen, die in den Scherben waren. Der Dybbuk. Er war in Tysandras Kind gefahren! Dann verlor er das Bewusstsein und wachte nicht mehr auf. Lariena deckte ihn zu.

Nour

Tagelang war sie durch die Wildnis geschlichen, in der widerlichen Kälte dieses Landes. Als Tysandra vor ihren Augen den Atem ausgehaucht hatte, da war es noch die erklärte Absicht Nours gewesen, auch das ungeborene Leben in ihr auszulöschen, das Kind Dakhils. Dann hatten ihre scharfen Sinne ihr berichtet, dass dies nicht das Kind ihres Ehemannes wäre. Ob es Gnade, das Gefühl und die Gewissheit, selbst Mutter zu sein oder eben diese Tatsache gewesen war, welche sie von der Tötung des Kindes abgehalten hatte, vermochte sie nicht zu erklären, derweil sie unter einer Eiche Schutz vor dem Unwetter suchte. Es war sehr dunkel geworden, und Nour spürte, wie die Nacht sie umarmte. Sie war zufrieden: Als nächstes würde Zhaerius sein Leben aushauchen, dann Dakhil. Und nur um sicherzugehen, dass nicht eines Tages eine späte Rache erfolgen würde, wäre Velas von Aestrinor auch bald Opfer ihrer Jagd, genau wie sein Bruder Cleophos. Erst dann würde sie Ruhe finden.
Manchmal dachte Nour an die Zeit, in der sie noch eine einfache Frau gewesen war, bevor Dakhils Samen sie zur schwarzen Katze gemacht hatte. Dann fasste sie immer an ihre Lenden, und es war ihr, als würde sie noch den warmen Saft ihres Mannes darin spüren, wie er sich ausbreitete und sie vor langer Zeit neu geboren hatte. Sie war eine Hausdienerin eines tectarischen Hauses gewesen: Ihre Aufgaben waren das Betten der Kinder, ihnen Schlaflieder zu singen und in den späteren Stunden dem Herrn des Hauses zu gefallen. In einer bestimmten Nacht, zehn Jahre nachdem sie verkauft worden war, saß sie allein in ihrer Kammer, ohne die Wachen und ohne die Ketten, die sie stets begleiteten. An Flucht hatte sie oft gedacht, aber wohin gehen? Wenn man sie fangen würde, wäre ihr Leben verwirkt. Aber in dieser einen Nacht veränderte sich alles. Erst hielt sie es für den Wind, der gegen die Fensterläden wehte, aber das Geräusch wiederholte sich gleichmäßig, und es kam von der anderen Seite des Zimmers - von der Tür. Ein Klicken und Knarren, als wenn sich ein Schlüssel drehte. Sie erhob sich langsam, warf einen Umhang um ihre einfache Nachtkleidung und wartete. Oft kam der Herr in der Nacht zu ihr, wenn seine Frau und sein Sohn schliefen. Stille. Vorsichtig näherte sie sich der Tür, fasste den Griff und öffnete sie langsam. Nour sah auf den dunklen Flur, zur Treppe nach unten und auf den Balkon am anderen Ende des Ganges. Niemand war dort. Sie spürte ihren Atem. Ihre Adern pochten. War es eine Falle? Wollte man prüfen, ob ihre Angst größer war als ihre Neugier? Sie wusste, dass der Sohn des Herrn ein Schurke war, der keine Gelegenheit ausließ, die Diener und Skaven zu prügeln, für die kleinsten Vergehen.
Was würde er tun, wenn man sie bei einem Fluchtversuch ertappte? Trotzdem siegte die Neugier. Sie lief zum Balkon, öffnete die Tür, die ebenso unverschlossen war und sah in den Garten. Zwischen den Bäumen, vor der Gartenlaube, da stand ein Mann. Es donnerte. Regen prasselte auf ihr Haupt, und sie warf den Umhang enger um sich. Als sie wieder in den Garten blickte, war der Mann verschwunden. War das ihr Befreier gewesen? Von einem vorher nie gespürten Verlangen getrieben, kletterte sie über die Brüstung, hielt sich an einigen Ranken fest und glitt leise zu Boden, in das nasse Gras. Niemand war zu sehen. Nour warf keinen Blick mehr auf das Haus der Qualen. An der äußeren Mauer versteckte sie sich hinter einer Säule, denn die Wachen wanderten davor auf und ab. Wie dumm sie nur gewesen war, einfach dem Aufruf zu folgen, ohne diesen Fremden, dessen Gesicht verborgen geblieben war, zu kennen! Während sie verängstigt hinter der Säule kauerte und ihr klar wurde, dass es keinen Weg zurück mehr gab, stieg ihr der Geruch von Rauch in die Nase. Es waren die stechenden Gerüche der brennenden Scheiterhaufen, die kein Sklave vergaß - genau so roch es, so fühlte es sich an. Sie sah doch zurück zum Haus, aber da war kein Feuer. Im nächsten Moment hörte sie ein dumpfes Geräusch, gefolgt von einem weiteren. Die Wachen waren nicht mehr zu sehen. Verzweifelt und voller Furcht warf sie sich beinahe über die Mauer, kletterte barfuß darüber hinweg und landete auf der anderen Seite im Schlamm. Die beiden Wachen lagen auf dem Rücken, ihre Gesichter verbrannt und entstellt. Von dem Fremden keine Spur. Nour nahm Waffen und Kleidung der Wachen und lief hinaus in die Dunkelheit, die Straße runter, dann eilig nach Osten - sie wusste, dass es in Bretaris einen Hafen gab. Aus den alten Geschichten ihres Volkes kannte Nour nur ein Wesen, das solche Kräfte hatte: Khaliq, der Bringer der sieben Plagen - Zhaerius, der Mann in Schwarz, der Bringer der Fäulnis, der Plage des Malstroms.
Heute war Nour klar geworden, dass der Mann in Schwarz, Zhaerius, ihr Befreier gewesen war. Manchmal, wenn der Mann in Schwarz seine lebanischen 'Wunder' gewirkt hatte, da hatte sie denselben Geruch wahrgenommen wie damals in Tectaria. Rauch und Schwefel. Wieso sie Dakhil nie von ihren Zweifeln, die Zhaerius betrafen, berichtet hatte, konnte sie nicht sagen. Vielleicht hatte sie schon immer befürchtet, dass er sie eines Tages verschmähen würde, wegen einer anderen Frau, die für ihn niemals das empfinden würde was Nour für ihn fühlte. Vielleicht war es eine Ahnung gewesen - nun aber hatte dies alles keine Bedeutung mehr, denn den eingeschlagenen Pfad könnte sie nach Tysandras Tod niemals mehr verlassen. Was sie nun brauchte, war eine Idee, wie sie den Mann in Schwarz und Khaliq vernichten könnte. Der Djinn war das mächtigste Wesen, das sich jemals gegen Amur gestellt hatte. Der Meshiha Deghala mochte ein Meister der Täuschung gewesen sein, aber er hatte eine Armee gebraucht, um sein Unheil in Gestalt der Dunklen Alten zu bringen - Khaliq hingegen brauchte nichts, die Armee war er selbst.
Plötzlich störte etwas ihre Ruhe. Nour witterte ein Tier. Einen Wolf. Nein, es war kein Wolf... ein Werwolf. Sie schlich zum alten Friedhof und nahm dort eine Fährte auf, die nach Süden führte. Er lief sehr schnell und schien etwas zu verfolgen. Kurz hielt sie inne, denn sie roch Aethel und die anderen. Der Wolf folgte ihnen. Am Blauen Turm endete die Spur. Der Wolf war nicht zu entdecken. Aus der Ferne sah Nour, wie Aethel in den Turm lief und die anderen draußen warteten. Wäre der Wolf ein Spion von Zhaerius, er würde weiter den westlichen Pfad laufen - aber die Spuren wiesen nicht in diese Richtung. Nour ließ vom Turm ab und schnüffelte, bis sie die Fährte des Wolfes wieder aufnehmen konnte. Irgendwann wurden aus den Abdrücken der Pfoten menschliche Füße. Sie schlich weiter, bis zum See, wo sie den Werwolf in menschlicher Gestalt entdeckte. Er schlief, war erschöpft von der Wanderung und der Verwandlung. Er hatte es nicht richtig unter Kontrolle. Eigentlich würde sie ihm helfen. Sie waren ähnlichen Blutes. Aber als sie sein Antlitz erkannte, stockte ihr der Atem, ihre Muskeln spannten sich und sie dankte Amur für die wundersame Gelegenheit: Es war der Sohn ihres tectarischen Herrn. Aber gerade als sie losspringen wollte, hörte sie das Summen des Kristalls. Schnell lief sie zurück, verwandelte sich und nahm ihn zur Hand.
"Nour."
"Szarak. Was willst du? Ich habe dich getäuscht. War es nicht Antwort genug?", fragte sie.
"Wir haben einen gemeinsamen Feind. Ich vergebe dir. Und ich gebe dir die Möglichkeit, Zhaerius zu töten. Und das, was er ist."
"Wieso solltest du das tun? Du kennst eine Möglichkeit?"
Szaraks Stimme verriet keinen Hintergedanken. "Es gibt eine Öllampe. Sie ist auf wundersame Umwege auf einer Insel angespült worden. Ich werde sie dir beschaffen. Es ist eine Waffe."
Sie beschloss, nachdem er ihr alles erklärt hatte, das Angebot anzunehmen. "Was willst du dafür?"
"Es gibt da etwas zu erledigen, im Norden."
Nach dem Gespräch wollte sie vor dem Aufbruch zurück in die Nordlande den Wolf in Menschengestalt endlich töten. Jahre der Pein vergessen. Aber Varcus war fort.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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Re: Ein scharlachroter Tod

Beitrag von Meister » 21 Dez 2012, 15:15

ZWISCHENSPIEL VIII


Der Traumleser

Der Traumleser, über den wir sprechen wollen, ist sehr alt. Um zu verstehen, um wen es sich handelt, sollte man über seine Herkunft sprechen, denn dann kennt man ihn:
Die erste Gigantin flog lange Zeit durch die Sphären. Zwischen den Sternen gefiel es ihr wohl am besten. Sie winkte den Göttern zu, kletterte bis an den äußeren Rand und philosophierte mit Ecaltan, spielte Schach gegen den Herrn der Berge. Manchmal, wenn sie müde war, ritt sie auf dem Panzer einer ebenfalls recht großen Schildkröte, die sich wohl kaum daran störte - schlief sie doch schon seit Ewigkeiten. Als aber ihr Erzfeind, die Finsternis, in der Leere zwischen den Sternen erwachte, riss die Schildkröte die Augen auf, warf die Gigantin von ihrem Rücken und flog eilig auf die erste Welt, die gerade in ihrer Nähe war. So ließ die Schildkröte Blyr sich nieder und schlief auf den Meeren Kheldrons. Ihre Töchter und ihr Ehemann folgten ihr. Der Schwarzstern, ein eifersüchtiger Geselle, beobachtete alles.
Und die Gigantin? Sie strauchelte, konnte sich kaum halten und stürzte in die See eben jener Welt. Und während die Schildkröten längst wieder schliefen, spürte die Gigantin Varathessa große Furcht. Denn sie hörte ein gewaltiges Brummen. Ihr Sturz hatte den Giganten Kheldron geweckt. Wütend wollte er Varathessa wieder in die Leere werfen, aber als er ihr Antlitz bemerkte, da erkannten sie sich. Ihre Sprösslinge Marja, Tector, Ghundra, Midor, Yarun, Samara und Jorgan wuchsen schnell heran. Die Bande der Familie waren so stark, dass sie sich niemals trennen wollten.
Aber Eide und Schwüre halten niemals ewig, so sehr wie es auch wollen: Jorgan litt sehr unter dem Alter seiner Mutter, sodass er voller Eifersucht auf die Schildkröte Blyr und ihren Lebensquell schaute. Da erbarmte sich zum Schein der Schwarzstern Khaliq, und er riet Jorgan, ein Loch in den Leib der Mutter zu bohren, war ihr Wasser doch mindestens so fruchtbar wie das Blyrs. Es war zu spät, als Jorgan die Täuschung bemerkte. So schuf er die schwarze Quelle. Der Schwarzstern lächelte und war zufrieden. Die Saat der Finsternis ging auf, denn Khaliq war klüger und verschlagener als sie, die eines Tages jene schaffen würde, welche Khaliqs Plagen in die Welt tragen würden.
"Unser Sohn muss verbannt werden", knurrte Kheldron. Und Varathessa, voller Trauer, stimmte zu. Es war die Zeit als Zwerge und Elfen auf ihrem Rücken einen Krieg begannen, da bannte sie Jorgan in die weite Ferne, für die Menschen ist es der Norden der Welt. Fortan war er Jorgans Rücken. Sein Geist fiel in einen Wolf, und seine Seele wanderte durch die Sphären. Dort lernte er, dass nur derjenige die Tür des Mysteriums durchschreiten würde, der träumt. Denn die Sterne legen den Traum in die Seele der Sterblichen, die so in die Sphären wandern. Bevor er lange Zeit später selbst in einen Sterblichen fiel, sang er seiner Mutter zehn Lieder, um sie zu besänftigen. Das elfte Lied wollte er seinem Vater singen. Aber der Schwarzstern Khaliq griff das Lied, legte Jorgan schlafen und sang es selbst für Kheldron, damit der Gigant auf ewig seinem Willen gehorchen würde. Das Echo aller elf Lieder fiel in den Schoß der Sternenhüterin, die sie ihrem Volk, den Ledharthien, gab. "Schenkt sie den Menschen, die mich kennen. Kheldron ist verflucht, aber der Fluch kann gebrochen werden!", rief sie.
Der Krieg zwischen den Zwergen und Elaya verletzte Varathessa am Ende so schwer, dass die Familie sich trennte. Marja und Tector gingen in den Westen, Samara in den Süden, Yarun in den Osten und Ghundra und Midor wanderten in die Mitte - wo sie alle bis heute schlafen. Weiter im Norden lehrte der Geist Jorgans seinem auserwählten König alles, was er selbst gelernt hatte - er wollte das Erbe von Vater und Mutter ehren, auch wenn sie nun ewig getrennt waren. Die Tränen Varathessas trockneten in ihrem Schlaf, und weitere Kinder kamen empor. Ihre Namen waren Malcoyn, Traumwinde, Vater Bär und Gwayan. Letzterer erbte des Bruders Gabe, die Träume zu lesen und wählte die Gestalt eines Ogers. Und der Oger wandert, so sagt man, heute, im Jahre 214 auf Jorgans Rücken, dem ungewissen Schicksal entgegen - beobachtet vom Schwarzstern, dessen Samen immer wieder in den tiefen See fällt, den Jorgan einst gegraben hat.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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