Auferstehung - Der Preis für das Leben
Es erschien dem jungen Wolfdietrich wie ein Traum, aus dem er endlich erwachte. Oder war das Leben davor ein Traum, in den er jetzt wieder zurückfiel? War er denn überhaupt jung? Die Erlebnisse, das Grauen ... der Verlust hatten sich in sein ernstes Gesicht gemeißelt. Die Schwere der Erfahrung lag nun tief in seinen waldgrünen Augen, ernste Züge liefen über das einst so jugendhafte Gesicht.
Verwunderlich? Nicht nach dem Erlebten. Viel verwunderlicher scheint die Rückkehr eines, an seinem Leibe unversehrten Menschen aus der Dunkelheit der Finsterschlucht, nach beinahe zwei Jahren. Zwei Jahre. Auf der Suche nach den verschwundenen Kindern waren sie aufgebrochen. Ein junger Liraspaladin und eine junge Ordensschwester, hinab in die Fänge der Finsternis sind sie gestiegen. Beide schienen damit etwas hinter sich zu lassen, alte Wunden zu schließen, alte Schuld zu sühnen. Hätten sie an ihrem Vorhaben festgehalten, wenn die dessen erfolglosen, ja tragischen Ausgang schon damals gekannt hätten?
Wolfdietrich, dem das Licht der Kerze, in seiner bescheidenen Kammer im Kloster, vor den Augen flackerte, wollte das nur zu gern glauben. Sie sind aufgebrochen, um anderen zu helfen, keinen Gedanken an die eigene Gefahr verschwendend.
Diese Gedanken kamen erst in der feindseligen Einsamkeit der Finsterschlucht. Und sie ließen Taewyn und Wolfdietrich nicht mehr los.
Die Pferde wollten sie nicht opfern, so entließen sie sie nördlich der Schlucht in die Freiheit. Zu Fuß drangen sie in die Finsterschlucht ein. Es dauerte keinen Monat, bis sie sich vollends verlaufen hatten. Sie lebte. Die Finsterschlucht schien zu atmen, und wie ein kalter Brodem lagen die Nebelschwaden über dem Land. Einem Land das die Gestalt zu ändern schien. Wo eben ein Baum war, war im nächsten Moment ein Fels. Wo eben Wasser lag, war nichts als kalter Stein. Gestern war dort ein Pfad, heute eine Schlucht. Sie wurden beobachtet, und waren allein. Sie verfolgten unheilige Wesen, und wurden von ihnen gejagt.
Die lange Zeit der Entbehrung zehrte nicht nur an ihren Kräften, zuweilen auch an ihrem Glauben, vor allem aber an der Hoffnung. Tage schienen wie Jahre, Monate wie ein ganzes Leben.
Die Hoffnung diese Schlucht lebend zu verlassen hatten sie beide schon aufgegeben, auch wenn sie dem anderen das nie eingestanden, sondern sich an ihm aufbauten, wie der andere sich an einem selbst aufbaute. So irrten sie Tag für Tag, Nacht für Nacht durch das unwirtliche Land.
Und dann wurde sie Krank vor Schwäche.
Kein Unhold hatte sie geschlagen, kein Feind zermürbt, kein Gift verzehrt. Allein die Entbehrung forderte ihren Preis. Die Entbehrung von Nahrung, Schlaf, anderen Menschen, und der Zuversicht.
Ihr Gesicht sah er jede Nacht vor sich, wie ihr Kopf in seinem Schoß lag, die Wangen einfallend, die Haut blass, das einst so braune Haar war fad und spröde, das Licht der Augen wurde zusehends matter. Bis es an einem namenlosen Tag, der sich in nichts von den voherigen unterschied, erlosch.
Nicht einmal das seelige Lächeln, das viele auf ihrer letzten Reise begleitet, vermochte ihr Gesicht zu zeigen. Wie eine Blume welkte sie, verblich ganz einfach. So bereitete Wolfdietrich die junge, einst so lebensfrohe, nachdenkliche und gütige Ordensschwester Taewyn für ihre letzte Fahrt zum Herrn des Lichts vor.
Ihr Ende, wurde sein neuer Anfang. Ihr Leben war der Preis für seines.
Mit trübem Blick löschte er die Kerze zwischen Daumen und Zeigefinger. Nur das Licht des Mondes, des Gefährten Lebans fiel fahl durch das gebogene, glaslose Fenster, und mit ihm kam die Kälte der Nacht. Doch diese spürte Wolfdietrich nicht, wie er, auf die verloschene Kerze starrend, in seiner neuen Robe auf einem Schemel an dem kleinen Eichentisch saß, ein faseriges Stück Stoff eines alten Umhangs mit einem verblichenen Kreuz darauf in den Händen.
Das Licht der Morgensonne schien auf Wolfdietrichs Gesicht. Mit dem Klang der Glocken die zum Morgengebet riefen, erhob er sich, strich die Robe glatt, schob den Stoffetzen in sein Wams, und schritt aus der kleinen Kammer. Zurück in Bretonia. Auferstanden von den Totgeglaubten. Auf dem nächsten Wegstück in eine ungewisse Zukunft.Statistik:Verfasst von Gast — 28 Dez 2008, 12:06
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