Mercutio
"Ist alles vorbereitet? Bruder Owen soll keinesfalls den Eindruck haben, wir wären kleinlich", sagte der schwarze Lord und prüfte die Speisen, die man vorbereitet hatte. Eine bescheidene Mahlzeit sollte es sein, angemessen. Denn weniger sollte es um Hunger gehen, als um die Zukunft vieler. Mercutio war entschlossen, seine Angelegenheiten zu regeln. Es würde um die Kirche gehen und um den Drachen. Um alte Worte und neue Zeiten. Um die Dunkelheit und um das Licht. Wenn es einer verstehen würde, dann Bruder Owen, den er so lange schon beobachtet hatte.
"Alles wird zu Eurer Zufriedenheit sein, Mylord", sagte der Diener.
"Gut. Du darfst gehen."
Mercutio von Giltheas lief um die Tafel herum, richtete etwas Besteck und schickte einige Wachen fort. Bruder Owen würde es nicht wagen, die Hand gegen seinen Wohltäter zu erheben, gegen den Hüter des Schwarzen Schreckens und den, der das Lügengebäude Bretonia mit nur einem Wort zerstören könnte. Nein, nein, das würde er nicht. Zwar war ihm zu Ohren gekommen, dass Bruder Owen bei dem Zwischenfall am Räuberturm beteiligt gewesen war, aber darüber würde er hinweg sehen. Hier ging es um Größeres, und das Buch war nicht für immer verloren. Die Nordfrau würde es ihm bald sogar freiwillig geben, davon war er überzeugt. Sie würde einsehen und verstehen. Wie alle. Seine Mission war heilig.
"Sind die neuen Messdiener eingetroffen?", fragte er einen Offizier der Drakoskrieger, als er wieder durch seine Truppen schritt.
"Ja, Mylord, wie Ihr gesagt habt."
Mercutio betrachtete die Männer und Frauen, wie sie in Lumpen vor ihm standen. "Bald geht Ihr zu Eurem Wohltäter. Vorher wollen wir gemeinsam ein Gebet sprechen, liebe Freunde."
Bereitwillig folgten die Sklaven seinem Willen. Dann ließ man sie ihrer Wege gehen, in den Tiefenwald.
Ivar
"Wo ist mein Gefangener?", knurrte Ivar von Tyrell. Der Kastellan senkte den Kopf und überließ lieber dem Hauptmann das Reden:
"Mylord, es hat einen Angriff gegeben. Einen hatten wir, aber er konnte wieder entkommen."
"Wer hat den Transport angegriffen, und warum hat König Petyr ihn nicht besser bewachen lassen?"
"Es waren die Gesetzlosen aus dem Norden. Doch man hat auch gesehen, wie Späher von Lord Giltheas die Szenerie beobachtet haben."
Ivar knurrte erneut. "Eine Szenerie nennt Ihr das, Hauptmann? Die Soldaten des Königs waren unfähig, einen simplen Transport zu bewachen. Waren denn keine Bretonianer dabei? Ach, lasst mich raten, sie entwerfen Speisepläne, ja? Für das nächste große Fest?"
"Speisepläne, Mylord?", fragte der Hauptmann verwirrt.
"Verschwindet!", befahl Ivar. Er konnte heute unmöglich noch mehr Unfähigkeit ertragen. Seine Schwester war durch die Hand Gloriannas gestorben, und gleichsam versagte man nun, den Gefangenen, auf den er bestanden hatte, sicher hierher zu bringen. Thaira war eine Jungfer geblieben. Was für eine Schande. Hätte er etwa selbst Hand anlegen sollen, um dem König einen Erben zu schenken? Wohl kaum, das war abartig. Man durfte also gespannt sein, wer den König nun heiraten würde. Denn einen Erben brauchte Petyr. Nur hatte Ivar leider keine weiteren Schwestern. Das Bündnis war geschwächt. Doch Haus Glan war sich hoffentlich bewusst, welche Macht Tyrell bot. Auch ohne eine Ehefrau aus dem Hause Tyrell musste Petyr sich fügen. Aber die Gerüchte, der König verliere langsam den Verstand, die waren auch nicht unbedingt beruhigend.
"Ich hoffe, du hast gute Nachrichten", sagte er, als sein Vetter eintrat.
Der Rote Narr kicherte. "Nö. Es sei denn, du nennst es gute Neuigkeiten, wenn Martus von Brioless und Roan von Carmon dem Lord Caenor einen Freundschaftsbesuch abstatten?"
"Wie bitte? Brioless? Carmon? Wenn du mir nun sagst, Melther war auch dabei, vergesse ich mich."
"Nein, war er nicht. Aber er ist wohlauf und vermutlich im Tiefenwald, wo sich die Paladina verkriecht. Ach, hätte Helmart den Wald nur entflammen lassen", sagte der Narr traurig.
"Hätte, wäre. Was wurde besprochen?"
"Keine Ahnung."
"Was weißt du noch?"
"Die Mine ist vernichtet..."
Das war nichts Neues. Als Ivar diese Neuigkeit gehört hatte, da waren ihm gleich zwei Zofen zum Opfer gefallen, um sein Feuer zu stillen, das sein Blut hatte kochen lassen. Die Weiber dürften wohl wochenlang breitbeinig gehen. "Weiter."
"Keine Nachricht von Sir Gregorius."
Auch das noch. Wenn die Dinge mal nicht recht liefen, dann gleich alle und zwar gleichzeitig. So war es immer schon gewesen. Sir Gregorius sagte nie ein Wort, aber das musste er auch nicht. Wichtiger waren die Taten des Schwarzen Ritters. Bereits nach dem Treueschwur, den Ivar als junger Bursche miterlebt hatte, da hatte sich Sir Gregorius seinem Vater angeschlossen und ihm treu gedient, obwohl ihm eine Hand fehlte. Er hatte sie bei einer Turney verloren, doch es hielt ihn nie davon ab, seine Feinde zu zerschmettern. Wenn es keine Neuigkeit von Gregorius gab, dann war ihm etwas geschehen. "Schick eine Nachricht an König Petyr. Ich wünsche eine Erklärung. Und ebenso berichte ihm, dass Haus Tyrell sehr unzufrieden ist."
"Ja, Mylord, gern", kicherte der Rote Narr.
"Aber sag mir noch eines."
"Ja?"
"Ich hörte, der König verliert den Verstand. Du hast nicht zufällig etwas mit zu tun?"
Lucius
"Was kümmert es mich, dass sie tot ist?", polterte Lucius von Trar. Der Tod der Königin hatte für ihn keine große Bedeutung. Er konnte nicht unbedingt sagen, dass es ein Nachteil wäre, schwächte der Tod einer Tyrell doch das Bündnis Petyrs mit Ivar, aber zweifellos hätte er das auf andere Weise erledigt. Wenn man königliches Blut auslöschte, dann fern des Palastes. Denn geschah es mitten im Herz des Reiches, dann würden einige Fragen und Untersuchungen ausreichen, und man würde schnell zum Verdächtigen werden, weil jeder verdächtig war. Der Täter musste sehr dumm sein, dachte er und lachte.
"Mylord, man beschuldigt Lady Glorianna", sagte der Bote.
"So? Na, das wird sie ärgern. Wer traut es ihr denn ehrlich zu? Niemand. Das ist Gewäsch, nichts weiter."
"Lord Dryr behauptet, es wäre wahr."
"Lord Dryr? Dieser Schlachtmeister will seinen Krieg, und den hat er nun."
"Glaubt Ihr, er war es?", fragte ein anderer.
"Blödsinn! Könnt Ihr Euch etwa vorstellen, dass Dryr seine Kriege mit Gift ausfechtet? Er mag dumm sein, aber der Täter war noch dümmer." Dass er selbst vor langer Zeit Gift benutzt hatte, verschwieg er besser.
Die Alte kicherte. "Dryr ist es nicht gewesen. Aber vielleicht Esthelion."
"Eine Möglichkeit", gab Lucius zu. Der Elaya, der keiner war, hatte ganz sicher die Möglichkeiten. "Was für ein Gift war es?"
"Klammernder Tod, nach dem, was man sagt", sprach die Alte.
"Dann ist Esthelion mehr als nur eine Möglichkeit."
Der Rat wurde unterbrochen, und Lucius traute seinen Augen nicht, als Oshinya eintrat. Die Alte senkte plötzlich den Kopf und wimmerte. "Er ist tot. Der Sohn der Erlen ist tot, nicht wahr?", fragte sie die freie Frau.
Oshinya nickte. "Ich habe Nachricht von meiner Schwester Kithei. Irinia von Glan ist für das Ende Skogungs zu verantworten. Skjalgur, ein Gefährte, hat seinem Herrn das Ende nur geschenkt, welches die Hexe der Glans vorbereitet hat."
"Woher weiß sie das?", fragte Lucius.
"Grimo hat es gesehen. Und das Wilderland weinte."
Grimo. Den hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Kitheis gestaltwandelnder Sohn sah viele Dinge in seinen Träumen. Sie wird ihn also befragt haben. "Was wird das Moorvolk tun, wenn die Wilderländer kämpfen?"
"Wir schließen uns an. Und auch du, Lord Trar."
Er wusste es. Dass der Tag kommen würde, hatte er immer geahnt. Aber wollte er nicht warten, bis die großen Häuser die Schlachten geschlagen hatten? Genau wie Giltheas wollte er abwarten. "Wir sind noch nicht bereit", murrte er.
"Ihr müsst es aber sein", mahnte Oshinya, "allein um Velthan zu retten."
"Wir wissen nicht, wo er ist."
"Der Lebaner Owen hat den Blauen Turm verlassen. Und wir wissen, dass Giltheas bei ihm war. Wenn Velthan dort ist, werden wir es sehen, wenn wir nur Owen folgen", sagte die Alte.
"Dann macht es so. Und sagt meinen Wölfen, dass die Zeit des Wartens endet", befahl er widerwillig.
Petyr
"Ich habe die Königin ermordet, ich war es!", rief Petyr und lachte. Dass ihm die Tränen in die Augen stiegen, derweil er weinte, bemerkte er, doch er konnte es nicht verhindern, wie er auch seine Worte, die wie Hagelkörner aus düsteren Wolken zu fallen schienen, nicht davon abhalten konnte, durch sein Gemach, die Gänge und Höfe des Palastes zu schallen, der ihm nunmehr vorkam wie ein Vorhof zur Hölle, ein Bollwerk aus echohaftem Gelächter, das ihn verspottete, weil er Hand angelegt hatte an dem Weibe, das ihm einen Erben hätte schenken sollen. "Nein, ich war es nicht, es war Glorianna, diese falsche Schlange! Sie hat mich um meinen Erben betrogen!", schrie er dann.
Eigentlich stimmte das auch nicht. Hatte er nicht sich selbst darum betrogen, weil er lieber sein Gemächt in die Lenden seiner hässlichen Schwester tauchen wollte? Thaira war schön gewesen, gewiss, doch seine Aufmerksamkeit galt seit jeher Irinia. Sie, die ihn getröstet hatte, nachdem Mutter gestorben war. Sie, die ihn so wahnsinnig liebte. Irinia hatte Mutters Augen, ja. Der Rest war hässlicher als ein Schwein, doch ihn befriedigen, das konnte sie. Die Leute hatten ja keine Ahnung, dass Irinia unter dem Kleid eine Augenweide war. Ja, vielleicht sollte er sie heiraten? Er war doch der König! Er könnte ein Gesetz erlassen und die Ehe zwischen königlichen Geschwistern erlauben. Niemand, selbst die, die ihn so hassten, könnte das verhindern! Aber ob der Lethos dem zustimmen würde?
"Lethos Ascanio, Ihr dürft gehen", sagte Petyr leise.
"Majestät, seid Ihr Euch sicher? Man sollte Euch nicht allein lassen."
"Dann schickt meine Schwester her!"
Der Lethos schüttelte den Kopf. "Majestät, Ihr habt Eurer Schwester die Entscheidungsgewalt gegeben. Sie ist sehr beschäftigt."
"Ach ja, richtig. Dann schickt mir Clavius."
"Majestät, Clavius ist gerade im Quartier der Bretonianer, es hat einen Zwischenfall gegeben."
Daran war Petyr nicht interessiert. Sollte das Reich doch vor die Hunde gehen, solang er dabei nicht allein war, solang er Irinia hatte. "Die Prinzessin. Ich möchte mit der Prinzessin sprechen."
"Gewiss, Majestät, ich werde eine Zofe bitten, sie zu begleiten."
Ja. Alysare war ebenso traurig. Glorianna hatte das arme Kind benutzt, um die Königin zu ermorden. So wollten sie also ihn und das Reich schwächen. Das Reich, dessen Bedeutung er immer weniger kannte. Wollte er es nicht einen, war das nicht sein Ziel gewesen? Er erinnerte sich kaum noch. Nachts träumte er, wie die Häuser der Armen in Flammen standen, bis die Haut der Menschen sich wie die Haut eines faulen Apfels abschälen ließ und er ein Gewand aus menschlichem Abfall tragen konnte. Abfall wie er selbst. Kehricht. "Und schickt mir auch einen Schneider!", befahl er noch.
Alysare und eine Zofe traten ein, machten einen höflichen Knicks. "Majestät", sagte die Prinzessin leise.
"Raus mit dir!", fuhr er die Zofe an.
"Aber Majestät, Sir Allyen besteht darauf, dass die Prinzessin nicht allein durch den Palast streift", sprach die Zofe leise.
"Willst du, dass ich dir deinen dummen Mund zunähen lasse, wenn mein Schneider hier ist? Raus mit dir, sie ist nicht allein!"
Die Zofe war sehr folgsam. Petyr nahm die Hand Alysares, die ganz kalt war. "Armes Kind. Was ist nur geschehen, nicht wahr?"
"Majestät, ich bin so traurig", schluchzte sie.
"Ich bin dein Onkel Petyr. Du nennst meinen Bruder doch auch Onkel."
"Ja, aber Onkel Baelon ist nicht der König. Wo ist Baelon eigentlich?"
Petyrs Stimme überschlug sich. "Baelon, Baelon, Baelon! Ich bin Petyr! Onkel Petyr! Ich bin sogar mehr als das!"
Sie zuckte zusammen. "Wie meint Ihr, Onkel?"
Fast hätte er die Beherrschung verloren. Es war doch das größte Geheimnis, das er mit Irinia teilte! Niemand, auch nicht Alysare, durfte es erfahren. Wie gern würde er das Kind umarmen und es Tochter nennen, stolz seine Erbin zeigen, dem Volke zeigen, wie einig das Reich mit einer Erbin war. Und zwar nicht mit diesem dummen Mädchen Theresia, sondern mit der wahren Erbin, mit Alysare. Aber weil auch die Götter und das Schicksal ihn hassten, sonst hätte man ihm nicht diese Bürde des Schweigens auferlegt, durfte er das nicht. "Schon gut, Alysare. Möchtest du zusehen, wie man mir ein neues Gewand schneidert?", fragte er sie.
"Ja, das wäre schön."
Als die Türe sich öffnete und ein Schneider eintrat, ließ er auch Sir Jamrish rufen. "Haben wir Gefangene im Kerker, über die ich noch zu richten habe?"
"Jawohl, mein König", sagte Jamrish, "aber Lady Irinia hat diese Angelegenheiten nun übernommen."
"Bringt mir einen her, ich brauche neue Kleidung!"
Roan
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Er erinnerte sich, wie warm es an diesem Tag gewesen war. Man hatte für die Damen extra Zelte aufgestellt, dass sie sich keinen Hitzschlag holten in diesen Tagen des Hochsommers. Viele Lehnsherren waren dem Ruf König Lerhons gefolgt, ihren Treueschwur zu erneuern, dem rechtmäßigen König des Reiches Bretonia als treuer Vasall zur Seite zu stehen. Dank der Hilfe der Nordmannen war der Bürgerkrieg beendet worden, und Hetman Rokil aus Nordstein sollte an jenem Ehrentag seinen Eid leisten. Die Rebellion der Torbrins war gebrochen worden, und Caldorvan wurde ebenso zum Treueschwur bestellt. Doch als er seinen Schwur leisten sollte, spuckte er auf des Königs Füße. Roan war sofort eingeschritten und hatte im Namen Lerhons Satisfaktion gefordert. Er bekam sie. Er tötete Caldorvan im Zweikampf.
"Zerhackt die Schlange und verscharrt die Überreste im Moor, wo sie herkommt", hatte Roan seinen Mannen befohlen. Dann ging das Fest weiter. Die Burg der Torbrins wurde sein Protektorat. So war es viele Jahre, zu den Zeiten des Kanzlers Konrad von Rotfels, sogar bis Aurelia von Torbrin, die so ganz anders war als der Rest dieser verkommenen Sippe, hielten die Carmons die Burg. Dann kam der Krieg gegen die Dunklen Alten, und Roans Heer ritt Seite an Seite mit Brioless in die Schlacht. Theophil übernahm die Burg, die ihrem Abschaum treu bleiben sollte, bis Trar sie nahm.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Und nun, so hieß es, war Caldorvan zurück, als rastloser Untoter. Als sie auf dem Weg zu Caenors Burg gewesen waren - einst ein Kastell der Torbrins, dann der Dunkelwalds, die den Tod Aurelias zu verantworten hatten, schließlich eine Burg der Hun und nun wieder bretonisches Lehen - da hatten sie von den Bauern der Gegend die seltsamsten Dinge gehört. Von einem Geist, der durch die Lande zog und Gerechtigkeit suchte. "Die Königin war's!", riefen die Leute. Und sie riefen es alle. "Caldorvan ist bei ihr!", brüllte ein anderer. Er wurde den Tod nicht los. Den schwarzen Schatten, den er glaubte, für immer beseitigt zu haben.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Wieder ritt er an Briolessens Seite, als sie die Tore von Hohenfels passiert hatten, unter den ausdruckslosen Augen der Eunuchen. Jargu von Caenor hatte sie freundlich begrüßt. "Liras zum Gruße, Mylords. Willkommen in Hohenfels. Und ich sage es gleich: Ich bin nicht der Flusskönig. Ich bin ein Lord, der dem Reich zur alten Größe verhelfen will."
"Ist das so?", fragte Roan skeptisch.
"Es ist eine Tatsache, Lord Roan."
"Nun, wir sind hier, um dies zu ergründen", sagte Brioless.
Caenor nickte. "Ich verstehe, was Euch beunruhigt, Mylords."
"Sagt es uns", sprach Brioless.
"Erstens, dass Lord Giltheas und ich ein Abkommen haben. Ich kann Euch versichern, dass es auch Euch ein Vorteil sein wird. Immerhin wird der schwarze Lord gezähmt sein. Dieser Mann hält sich an Absprachen."
Roan kannte Giltheas nicht gut, aber was die Absprachen betraf, so könnte Caenor richtig liegen. Als Lebaner und damaliger Hohepriester war er sehr von der Gerechtigkeit Lebans überzeugt. "Das mag sein, doch was geschieht, wenn Giltheas mehr will als nur Thronprotektor zu sein?"
"Dann breche ich meine Waffenruhe mit ihm", sagte Caenor.
"Ihr seid von Eurer Armee überzeugt", meinte Brioless und ließ sich seinen Weinkrug füllen.
"Nun, sie sind zuverlässig und treu."
Roan trank auch einen Schluck. "Könnte wohl sein. Was ist mit der Hun, die sie ausbildet? Sie kann da einen interessanten Trick, nicht wahr?"
"Ihr meint, wie sie spricht? Nun, ich hörte, ihre Schwester kann auf ihrem Körper Bilder malen. Das sind doch nur Zaubertricks", versicherte Caenor.
"Mir geht es um Folgendes: Was geschieht mit den Eunuchen nach dem Krieg? Wenn ihre Dienste getan sind, wenn sie nicht mehr benötigt werden, oder wenn sie eigene Ambitionen entwickeln?", warf Brioless ein, und Roan nickte lediglich. Das war genau seine Sorge.
"Ich gedenke, sie in die Freiheit zu entlassen. Die Hun wird sie mitnehmen nach Samariq. Es gibt noch Städte dort, die Sklavenhandel betreiben. Nicht sehr rühmlich, aber mich sorgt es nicht, solange Lady Theresia das bekommt, was sie verdient."
"Und das wäre?", fragte Roan.
"Den Thron."
Roan lächelte. "Und einen Ehemann, nicht wahr?"
Caenor versicherte, dass er zwar werben würde, aber dem Glücklichen, den sie an seiner Stelle wählen könnte, alles Glück wünschen würde, solang die Glans ausgelöscht und das Reich seine wahre Königin hätte. Danach besprachen sie alle Details, die zu einem Bündnis führen würden. Roan und Brioless erbaten sich die übliche Bedenkzeit und verließen Hohenfels.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Der Mann ohne Armee, dachte Roan, als er die Eunuchen noch einmal betrachtete.
Allyen
"Bretonianer Clavius, ich wünsche eine Liste all derer, die eingeweiht wurden, was den Speiseplan angeht", befahl Sir Allyen.
Clavius salutierte. "Jawohl, Sir. Doch ich muss Euch mitteilen, dass diese Liste zusammen mit allen anderen Dokumenten beschlagnahmt wurde."
Das war ja interessant. Allyen hatte Mühe, sich zu beherrschen. "Und von wem, wenn ich fragen darf? Und wann?"
"Sir Starys. Er fühlt sich persönlich verantwortlich und macht sich große Vorwürfe. Er hat die Dokumente nach der Verhaftung Lord Baelons an sich genommen. Ich vermute, er sucht selbst nach dem Täter."
"Ein Bretonianer hat keine Vermutungen aufzustellen, sondern Befehle zu befolgen! Ist das klar?", raunte Allyen.
"Jawohl, Sir."
Die Tür zur Amtsstube öffnete sich und ein weiterer Bretonianer trat ein. "Sir Allyen, Clavius, ich fürchte, es gibt Schwierigkeiten. Der Gefangenentransport ist angegriffen worden. Es gibt einen Überlebenden. Jelmart. Er wird gerade versorgt."
"Geht schon", befahl Allyen, "ich werde persönlich mit Sir Starys sprechen!"
Clavius und sein Waffenbruder verließen das Zimmer und ließen Allyen allein. Der Angriff war also erfolgreich gewesen. Zwar war Lord Baelon in Lady Irinias Gewahrsam, doch wenigstens konnten die Verbündeten aus dem Norden Skogung befreien. Ein Erfolg, zweifellos. Sir Marryn hatte dem Zeugmeister eine Menge Gold gegeben, damit der markierte Wagen auf keiner Liste auftauchen würde und Marryns Besuch in den Stallungen nicht dokumentiert werden würde.
Allyen nahm sein Schwert, verschloss die Tür und lief durch die düsteren Gänge, bis er Sir Starys im Hof ausmachen konnte. "Sir Starys, ich grüße Euch."
"Liras mit Euch, Sir Allyen. Ich lasse die Rekruten Sonderübungen machen. Nach diesem traurigen Abend müssen sie auf andere Gedanken kommen. Eine Schande, was der Norden und Glorianna angerichtet haben."
Allyen zuckte nicht, ließ seine Augen stur auf Starys gerichtet. Diese Schlange wusste etwas. Er würde es sonst nicht so betonen. "Ja, eine Tragödie. Wenn Ihr so freundlich wäret, mir die Listen der beteiligten Bretonianer, Wachen, Diener, Köche und Vorkoster zu geben?"
"Aber Sir Allyen, hat Clavius Euch nicht gesagt, dass ich mir die Aufklärung dieser Schandtat auf meine eigenen Fahnen geschrieben habe?", fragte Starys.
"Sofern ich nicht altersmüde geworden bin oder dumm, steht es immer noch mir zu, diese Angelegenheit intern zu lösen, nicht wahr?", lautete Allyens scharf formulierte Gegenfrage.
"Lady Irinia persönlich hat mich damit betraut."
"Nachdem sie dem Gefangenen Skogung die Beine hat zerstümmeln lassen?"
"Bitte, Sir Allyen, verurteilt nicht mich dafür. Ich tue meine Pflicht, und Lady Irinia handelt im Namen des Königs. Beschwert Euch dort", sagte Starys mit einem feinen Lächeln.
Allyen antwortete nicht. Er würde eben auf andere Weise an die verdammten Listen kommen. Schnaufend stapfte er über den Hof, trampelte fast einen unvorsichtigen Rekruten nieder, bis er endlich die Mauern hinter sich lassen konnte und schon das Amtszimmer Lord Baelons sehen konnte. Eine kleine Gestalt huschte plötzlich vorbei und versteckte sich hinter einer Säule. "Nanu, wen haben wir denn da?"
"Bitte, verratet mich nicht", schluchzte Prinzessin Alysare.
"Holde Prinzessin, ich bestimmt nicht. Euch bedrückt, was vorgefallen ist, das verstehe ich nur allzu gut."
"Das ist es nicht."
Er gab ihr ein weißes Taschentuch. "Sprecht bitte, Prinzessin. Ihr dürft mir alles anvertrauen."
"Der König, mein Onkel..."
"Was ist?", fragte Allyen alarmiert.
"Er weint ganz schrecklich. Und er spuckt seine Dienerschaft an. Dann hat er, dann hat er..."
Allyen nahm die Hand der kleinen Prinzessin. "Was hat er getan?", fragte er brummend.
"Er wollte sich ein Hemd schneidern lassen. Aus der Haut eines Gefangenen", weinte sie.
"Bei Liras. Hat man das etwa zugelassen?"
"Sir Jamrish hat das beendet. Mein Onkel ist nun sehr böse auf ihn. Aber meine Mutter ist bei ihm, sie wird ihn beruhigen."
Allyen erinnerte sich, wie die Prinzessin ihm berichtet hatte, dass Lady Irinia ihr von der Traurigkeit der Königin erzählt hatte. Und nun war sie selbst so schrecklich traurig, die arme Prinzessin.
"Gewiss wird sie das", sprach Allyen tonlos, rief zwei Diener und befahl ihnen, das Kind auf sein Zimmer zu bringen. "Zwei Wachen. Und zwar Jorgen und Herod!"
Ihnen vertraute er. Doch der König, er hatte mit dem Tod der Königin tatsächlich den Verstand verloren. Allyen eilte in die Amtsstube des Kanzlers, um eine Abschrift der Liste zu finden.
"Bemüht Euch nicht, Sir Allyen, meine Dokumente sind alle bei meiner lieben Schwester gelandet."
"Lord Baelon, Ihr seid frei?"
"Wie man's nimmt. Aber es kommt noch besser. Hier, trinkt etwas Met. Den werdet Ihr brauchen..."
Kithei
Die freie Frau saß allein auf dem Fels, von dem aus sie das Lager der Wilderländer beobachten konnte. Kinder spielten mit ihren Wölfen, Hunden und Bären; Frauen wie Männer wetzten Axt und Schwert; einige besserten Zelte und Felle aus; wieder andere trafen gerade wieder von der Jagd ein. Die Späher hatten keine Bleichen in der Nähe gemeldet, es schien hier sicher zu sein. Grimo tollte in der Nähe mit ein paar der älteren Jungen herum. Alle schienen so glücklich zu sein.
Aber Kithei wusste, wie es sicher auch Oshinya und Sverka erfahren hatten, dass die guten Zeiten sich dem Ende neigten. Der Winter kam, und das fallende Herbstlaub schien selbst in Windstille zu zittern. Als hätte die Natur selbst Furcht vor dem Kommenden. Kithei blickte in den trüben Abendhimmel. Das Abendrot, eben noch stolz und rot wie Lebenssaft, versteckte sich hinter grauen Wolken.
"Kithei?", fragte Amra.
Sie schaute dem Mädchen in die braunen Augen. "Was ist, mein Kind?"
"Wir wollen Feiern. Das Ende des Sommers ist gekommen."
"Ja. Es ist gekommen", sagte sie nachdenklich, "ich komme gleich."
Marryns Falke hatte ihr vom Tod dieser Königin berichtet, von den darauf folgenden Ereignissen. Er schrieb, er hoffte, sie bald noch einmal zu sehen. Solang er es noch könnte.
"Ja, du wirst mich sehen. Aber du wirst mich nicht lieben", dachte sie laut und las noch einmal seinen Brief. Marryn hatte von dem geplanten Angriff berichtet, um Skogung zu befreien. Skogung, jener Mann, der ihr beigebracht hatte, dem Eis und den Bleichen zu widerstehen. Jener Mann, den sie auch liebte. Nie hatte sie Marryn gesagt, wie es um ihr Herz bestellt war. Dass sie niemals zu ihm an den Hof kommen würde. Er müsste schon seine Welt verlassen, aber dazu wäre er niemals bereit, das wusste sie ganz sicher.
Die kommenden Ereignisse würden ihr Volk in den Krieg treiben, den sie meiden wollten. Aber wenn das Grün bedroht war, dann wurden alle Waldkinder zu den Waffen gerufen, ob in der Steppe, im Moor oder in den Bergen. Oshinya würde dem Werwolf beistehen, Sverka dem Riesen. Und sie? Sie dem Land. Dann blickte sie auf die Wilderländer, wie sie tanzten und lachten. "Heute gönne ich ihnen noch den Frieden. Morgen marschieren wir."
Als die Sonne gar nicht mehr zu sehen war und tiefe Schatten den Regen brachten, als sie sah, wie ein junger Vogel, gerade geboren, verendete, weil er nicht aus eigener Kraft leben konnte, da wusste sie zwei Dinge:
Skogung war tot. Skogung war ihr Bruder.
Starys
Er war dem Land treu ergeben. Und das Land hatte einen König. Sir Starys scherte sich nicht darum, wie ein König auf den Thron kam, denn auch ein Eroberer hatte das Recht, König zu sein, wenn er seine Feinde besiegte - oder wenn er schneller war. Da gab es für Starys nicht den Hauch eines Zweifels. Als Trar ihn verraten hatte, wusste er, dass er dem Reich diente, während Lucius lieber um die Gunst einer Hexe buhlte. Eines Tages würde er diesem Mann zeigen, wozu die Macht des Reiches, der Schwarze Stab fähig war. Seinen Brief hatte Trar erneut mit Beleidigungen beantwortet, nun, bitte, er würde es noch verstehen. Jetzt gab es anderes tun. Der heimtückische Mord an Königin Thaira durfte nicht ungesühnt bleiben. Zwar empfand er es als seltsam, dass Sir Allyen nicht in die Ermittlungen einbezogen werden sollte, aber erstens war es der Befehl Lady Irinias und zweitens konnte es nicht schlecht sein, wenn er dadurch Sir Allyens Einfluss schwächen konnte. Die Begegnung im Hof jedenfalls war ihm eine Genugtuung gewesen.
"Wie steht es um den Mann?", fragte Starys den Heiler.
"Irgendein Schuft hat ihm die Beine abgeschlagen, dann hat man ihn notdürftig geheilt. Ich denke, ich kann wenig für ihn tun, Sir."
Starys nickte. "Dann befragen wir ihn, solang es noch geht. Wir müssen wissen, wer es war."
Der Sterbende sprach von einem wilden Angriff durch Völsungar. Dann, als Starys nochmals nachfragte, versicherte er, es wäre die Paladina und ihre Horde aus Gesetzlosen gewesen, dann waren es wieder alle gemeinsam, und dann wieder Giltheas.
"Das führt zu nichts. Lord Tyrell dürfte wenig begeistert sein", murmelte Starys.
"Er ist ohnehin recht erzürnt", meinte Sir Jamrish.
"Wen wundert es? Seine Schwester, die Königin, wurde im Hause Glan ermordet. Die Sache muss aufgeklärt werden. Erst recht, nachdem Lord Tyrell nun auch den Gefangenen verloren hat, den er ausdrücklich als Wiedergutmachung verlangt hat. Sir Jamrish, nehmt Euch ein paar Männer und durchsucht den vermaledeiten Garten noch einmal. Wir müssen wissen, wie der Missetäter bis in die Nähe der Prinzessin gelangen konnte!"
"Jawohl, Sir", sagte sein ehemaliger Knappe.
Starys wohnte der Totenwache bei. Sir Allyen trat ein, gesellte sich schweigend dazu. Dann verließ er den Raum, Starys ignorierend. "Er ist zornig", murmelte er leise, dann verließ auch er die Kammer und das Quartier der Bretonianer. Sein Weg führte ihn in die Gemächer der jungen Prinzessin Alysare.
"Sir Starys, ich hab doch schon alles gesagt."
Starys lächelte. "Dann bitte ich Euch, Prinzessin, wiederholt Euch. Wer hat Euch die Kette gegeben?"
"Es war ein Fremder. Und es war dunkel."
"Gibt es nichts, woran Ihr Euch erinnert?"
"Nein, Sir, ehrlich nicht."
"Und dann habt Ihr entschieden, der Königin die vergiftete Kette zu geben, nicht wahr?", fragte er ernst. Vielleicht würde etwas Druck sie einbrechen lassen.
"Ja, Sir", sagte sie leise, "aber ich wusste doch nicht, dass sie vergiftet war."
Starys nickte. "Natürlich nicht. Wann hat Glorianna Euch die Kette gegeben?"
"Lady Glorianna!", protestierte das Kind.
"Lady, bitte, dann eben Lady. Also, wann?"
"Gar nicht! Sie war es nicht, Sir!"
"Euer Onkel ist sehr enttäuscht und traurig, Mylady", gab Starys zu bedenken. Baelon. Er war der Schlüssel zum Herzen des Kindes.
"Was? Onkel Baelon? Geht es ihm denn gut? Enttäuscht ist er? Von mir etwa?", schluchzte sie.
"Das ist er. Und wenn Ihr nicht redet, dann wird ihm etwas zustoßen, aus Gram, denke ich."
Danach war Alysare bereit, alles zu gestehen, was Starys benötigte. Lord Dryr würde zufrieden sein.
Jargu
Die Hun kniete. Ihre sanften Lippen und die unsichtbare Zunge liebkosten ihn, und Jargu stöhnte. "Du bist tatsächlich zu allem zu gebrauchen. Erst schenkst du mir eine Armee, nun schenkst du mir noch mehr Zufriedenheit."
Sie antwortete nicht und setzte das Spiel fort. Jargu hatte Mühe, dabei einen Gedanken zu fassen. Nun, an sich sollte man dabei auch nicht denken. Aber die Begegnung mit Brioless und Carmon hatte ihn nachdenklich werden lassen. Beide waren skeptisch gewesen, was die Eunuchen betraf. Tatsächlich war es schon so, dass auch er sich sorgte, erst recht nach den Hinweisen der Nordfrau und nachdem er Caldorvan erblickt hatte. Man würde ihn eines Tages vermutlich tatsächlich übertrumpfen wollen, ebenso die Hun, die ihn gerade so angenehm behandelte. Der Blutige Stumpf. Er hatte ihn gerufen. Aber er dachte an die Eunuchen und nicht an den schwarzen Ritter. Wie war so etwas überhaupt möglich? Ein Untoter, der nun sein Heermeister wurde. Jargu hatte keine Ahnung von schwarzer Magie und Hexerei. Wie war es ihm also möglich gewesen, den Schrecken Torbrin zu entfesseln?
"Hör auf", befahl er.
Sie hielt inne. "Ist der große Lord nicht zufrieden, was mit seinem kleinen Lord geschieht?", fragte sie lächelnd.
"Ich will dich etwas fragen. Und antworte mir wahrheitsgemäß."
"Jawohl, Mylord."
"Wer hat Caldorvan gerufen?"
"Ihr, Lord Caenor."
"Belüge mich nicht. Ich habe dich und deine Eunuchen gerufen. Den Blutigen Stumpf. Nicht dieses Monster!", raunte er.
Sie lächelte unschuldig. "Das ist dasselbe."
"Sprich deutliche Worte, sonst wirst du sterben."
"Mylord, das werde ich nicht. Legt Hand an an mir, und die Eunuchen machen Euch zu einem der ihren", zischte sie dabei.
Daran hatte er keinen Zweifel. "Es ist Magie nötig, um den Untoten zu rufen. Wer hat das getan? Das ist alles, was ich wissen will", sagte er, als er erkannte, dass er keine Wahl mehr hatte, als dem Willen des Stumpfes zu folgen.
"Lord Trar."
"Das ist eine Lüge. Lord Trar ist kein Freund von schwarzer Magie."
"Dann wart Ihr es doch?", lächelte sie.
"Nein. Ich habe Euch gerufen. Aber nicht ihn. Man sagt, Sir Gregorius und Caldorvan wären dieselbe Person. Steckt Tyrell dahinter?"
"Wir interessieren uns nicht für Tyrell. Mylord, ich weiß nicht, wer Caldorvan gerufen hat. Aber als wir zu Euch kamen, war er mit uns. Und er dient der großen Sache."
"Und was ist diese große Sache?"
"Der Drachenfürst wird sterben. Und die Liebende wird den König erstechen."
"Petyr? Sein Weib ist tot."
Wieder lächelte die Hun. "Wer sagt, dass es um Petyr geht? Das Reich wird noch viele Herrscher sehen, Lord Caenor. Betet, dass Ihr der letzte sein werdet, der dem sterbenden König nachfolgt."
Dann spielte sie wieder mit seinen Lenden. Jargu lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte daran, Theresia zu verführen. König Jargu von Caenor, dachte er.
"Ja, mein kleiner König", sagte sie und lutschte.
Roymar
"Die Wache der Nacht erobert den Drachenfürsten, sonst wird das Land der Aufgehenden Sonne fallen. Der König fällt durch einen Dolch, den die Liebende trägt", murmelte Sir Roymar von Farth und wiederholte die Weissagung des Gesandten Yaruns, der mit seiner Armee, riesig genug, eine ganze Stadt zu plündern und die doch nur eine Vorhut war, seinen Soldaten gegenüber stand. In den letzten Tagen hatte man sich angenähert, teilweise an gemeinsamen Feuern gesessen. Es war eine ebenso absurde wie ernste Lage, in der sich alle Beteiligten befanden. Er, der in Ungnade gefallene tectarische General, sollte ein Reich schützen, dessen König er ebenso stürzen wollte wie die Yaruner selbst, sollte die Weissagung nicht entsprechend befolgt werden.
"Reis nennt man das, nicht wahr?", fragte Roymar einen der Yaruner.
"So ist es, General. Er lässt sich vielfältig einsetzen", erklärte der Samurai.
"Mh, ich verstehe. Wie ein gutes Beil, nicht wahr?", murmelte er.
"Eher wie guter Wein", antwortete der Yaruner.
So verliefen diese Gespräche. Jeder wusste, was auf dem Spiel stand und dass man in knapp einem Monat Feinde sein könnte, und doch verhielt man sich hier wie in einem gemeinsamen Lager. Die Yaruner sahen in ihrem Feldzug keinen anderen Sinn, als den Weissagungen zu folgen. Ansonsten hegten sie keinerlei Groll gegen Roymars Soldaten oder gegen Bretonia. Wer auch immer die Liebende war, wer auch immer der Drachenfürst, man konnte nur hoffen und beten, dass es sie beide auch wirklich gab.
"General? Nachricht aus Bretonia", sagte ein Meldereiter.
"Seid Ihr von dort aus bis an diese schimmelige Küste geprescht, Soldat?"
"Ja, Sir."
"Dann erholt Euch mindestens eine Nacht. Esst Reis, die Yaruner haben eine Menge davon", brummte Roymar und las das Pergament. Die Königin gestorben, Dryr würde bald den Norden angreifen, der König kaum bei Verstand.
"Na fein, und ich hocke am Ende der Welt und warte, bis wir uns die Schädel spalten", knurrte er. Dann erhob er sich, ließ sich noch etwas von diesem interessanten Reisschnaps bringen, um den Abend nicht ganz allein verbringen zu müssen. Er dachte an seinen Sohn, der im Kampf gefallen war, an seine liebende Frau, die in Tectaria allein eine einsame Villa zu behüten hatte. Wenn man in Ungnade fiel, wurde man in ferne Einsätze geschickt, damit das Gerede daheim ausblieb. Die Eheleute wurden dabei natürlich außer Acht gelassen. So war das immer schon gewesen. Er dachte daran, wie sie nun auf dem Balkon stand, nach Osten schaute, um sich die bretonische Küste vorzustellen, an der ihr edler Mann für das Reich stritt. Dass er in Wahrheit mit dem Feind speiste und trank, würde sie wohl kaum ahnen. Ein leiser Windhauch berührte Roymars Haar, er zog sein Schwert und fuhr herum. "Wer da?"
Da sah er eine Frau, weiß wie Schnee, aber sanft wie ein Seidenumhang, hinter dem ein Licht schimmerte.
"Gerechtigkeit...", flüsterte der Geist.
Baelon
Thaira. Seine Tränen waren kaum getrocknet, da flossen sie wieder über seine kalten Wangen. Den Hunger nahm er kaum wahr, auch nicht den Durst, während er das Gefühl hatte, im Kerker zu verrotten. Gefoltert hatte man ihn nicht; sicher wollte Petyr seinen Bruder unversehrt wissen, denn die Proteste der Ritter, bis auf Starys und Jamrish, würden kaum verstummen.
Er malte mit dem Finger Thairas Namen in den Staub, den er sich mit Ratten teilte. Sobald eine über die Buchstaben trippelte, trat er mit dem Stiefel nach ihr. Einmal hatte er eine erwischt. "Schaut, der Rattenkönig", hatte ein Gefangener gespottet, der ihn sicher nicht einmal kannte. Irgendwann hatte man den Mann geholt, weil Seine Majestät ihn und einen Schneider sprechen wollte. Was für eine Teufelei ging nun wieder in Petyrs Kopf vor, der ihn so betrogen hatte? Baelon wollte dem Reich und seinen Freunden den Frieden bringen, aber Petyr hatte alles zerstört.
Baelon glaubte nicht daran, dass sein Bruder des Mordes fähig gewesen wäre, zumindest nicht durch eigene Hand. Aber wer genoss einen Vorteil? Tyrell, um noch mehr Druck auszuüben? Nein, Unsinn. Giltheas? Da war alles möglich. Der Kriegstreiber Dryr? Nein, er war ein Söldner des Königs, kein Meuchler. Und wenn Alysare doch das Ziel war, wonach es aussah? Alysare. Wie mochte es dem armen Kind nun gehen? War es in Sicherheit? Er wusste es nicht. Baelon wusste nichts mehr. Es gab nur noch ihn und den Kerker. Irgendwann hatte man Skogung geholt und in die Folterkammer geführt. Baelon glaubte, die Stimme seiner Schwester zu hören, dann ein Beil, das durch Fleisch schlug und einen schnell verstummenden Schrei Skogungs.
Die Tür wurde aufgeschlossen. Licht kam herein, und Baelon war für einen Moment geblendet. Leider war der folgende Anblick nicht sehr schön, denn es handelte sich um seine Schwester. "Was schlägst du mir nun ab, liebste Schwester?"
"Gar nichts, Baelon. Du bist hübsch, wie du bist."
"Danke, aber ich hatte nicht vor, in deinem Bett zu landen. Belassen wir es beim Kerker", sagte Baelon.
"Aber, aber. Keine Unterstellungen, Mylord."
"Lord? Ich bin ein Gefangener wie alle anderen geworden, Lady Irinia. Und Ihr seid hier, um nun was zu tun? Soll ich etwas gestehen, was ich nicht getan habe? Dann geht einfach, ja?"
Irinia schmunzelte. "Du willst sicher verhindern, dass ich dir doch etwas abschlagen lasse, oder? Dann spar dir die Vorträge, denn auf dich wartet Arbeit."
"So? Die Stiefel von Sir Starys polieren, damit er dem Schwarzen Stab sauber gegenüber steht, wenn er ihre Verbrechen befiehlt? Oder soll ich dem König ein Schlaflied singen, damit er den Gram über den Tod der Frau vergisst, die er ja wohl so abgöttisch geliebt haben musste, dass er sie sogar öffentlich zu Boden schlägt?"
"Baelon, mäßige dich. Die Königin ist vergiftet worden, und das Reich ist in Trauer. Nun, bis auf Lord Dryr vielleicht, der bereits seine Truppen vorbereitet."
Baelon lachte. "Ja, Lord Dryr ist keine sensible Natur, du hingegen schon, oder? Das Reich ist also in Trauer. Wie tief sitzt diese Trauer, dass du die Zeit findest, den Gefangenen derart zu quälen? Ach, nein, du verarbeitest auf diesem Weg deine Trauer, nicht wahr?"
"Baelon! Ich brauche dich! Die Ritter hören auf dich, und ich habe für diesen ganzen Unsinn keine Zeit. Mein Kind ist in Trauer und ich will es behüten. Hast du mich verstanden?"
Er lachte immer noch. "Sicher, das Regieren ist so leicht, oder? Hast du das auch Petyr gesagt, bevor er sich den Thron nahm, den unser Vater für den König oder eine Königin zu beschützen geschworen hatte? Aber, ich sage dir etwas: Ich werde helfen. Erstens ist es besser, wenn ich frei bin und zweitens habe ich kein Interesse, in einem verwesenden Reich zu sterben, Irinia."
Sie lächelte. "Ich wusste, du wirst vernünftig sein. Dann erkären wir mich zur Regentin, ja?"Statistik:Verfasst von Meister — 22 Sep 2010, 15:43
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