Augen der Vergangenheit
Auszüge aus historischen Berichten und Deutungen. Die Sammlung wurde von Abt Gernot begonnen und später von weiteren Geistlichen fortgeführt bis zu den Dunkeljahren. Mit dem Langen Winter folgte eine Epoche weniger geschichtlicher Aufzeichnungen, sodass uns aus dieser Zeit wenig bekannt ist. Die vorliegenden Auszüge beschreiben das Jahr 216 n.G.B. Wie schon Baelon IV. und Emes I. anregten, wollen auch wir dazu anhalten, diese Jahre als Kernjahre zu bezeichnen. Hier liegen die Ursachen für die Neue Eiszeit und die vorhergehenden Dunkeljahre und den Langen Winter. Wenn wir gegen das Vergessen bestehen wollen, müssen wir die Vergangenheit begreifen. - Enoch Klamm, Archäologische Fakultät der Polonius-Universität, Neu-Bretonia im Jahre 346 n.d.D.
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Die Lage in Samariq
Für den folgenden Bericht stützen wir uns auf Dokumente aus den Jahren 214 bis 216 n.G.B., Berichte über den Krieg gegen die Dunklen Alten einige Jahre zuvor, handschriftliche Aufzeichnungen Dakhil Al Khans, sowie bezeugten Berichten der Wichtin Leala, die im Jahr 216 n.G.B. nach Samariq aufgebrochen war, um ihre Familie zu finden. Die Entdeckung des zwölften Liedes, das zuvor aus dem Shal-Amur Tempel gestohlen wurde, fällt in dieselbe Epoche.
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Das erneute Hereinbrechen der Sieben Plagen, nach Legenden der Hun verursacht durch den sogenannten Meshiha Deghala, einer vermutlichen Personifikation entropischer Energien (siehe auch: Shaitan, Vampir, Phaeton), hatte einen Exodus der Hamzahedin El Tajah zur Folge. Zur selben Zeit erschienen im bretonischen Tiefenwald die Wichte, die in der Heimat der Hun als Berater gelten. Dies hatte wiederum eine große Menge an neuem Wissen zur Folge, das fortan Bretonia und seinen Verbündeten zur Verfügung stehen sollte im Kampf gegen die Dunklen Alten, der in einer vereinten Streitmacht und mit der Hilfe Ecaltans des Weisen siegreich am Tempel Amurs in Samariq ausgefochten wurde. Bekanntlich folgte dann nach Fertigstellung des Rosentempels von Akasha der Exodus auf die Insel Blyrtindur, wo der Zykus von Cüd das erste Mal von Sterblichen erlebt wurde, sowie später das Verbotene Buch enträtselt worden war.
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Nach dem Krieg war das ohnehin verwüstete Land noch weiter geschwächt worden. Die verschiedenen Nomadenstämme der Wüste bekämpften sich gegenseitig, und Städte wie Bashra, Alipo und Sabia fielen einigen Raubzügen zum Opfer. Mit dem Erstarken des Shaitan Khaliq, einem Djinn und nach allgemeiner Auffassung der heutigen Dämonologie verwandt mit dem Dybbuk und Vampiren, welche als Gemeinsamkeit eine Herkunft aus entropischer Energie aufweisen, und der gleichzeitigen Invasion Bretonias durch das Abyssarium aus der sogenannten Außenwelt, entstand durch eine magische Invokation eine unsichtbare Kuppel über dem gesamten Kontinent Samariq, die erst durch das Eingreifen der Hüter Blyrtindurs nach Offenbarung der zwölf Lieder und ihrer Aufenthaltsorte verschwand. Während dieser Zeit aber gelang es einer entropischen Essenz sowie einem Unberührbaren namens Yassir, das Land zu verlassen - dies soll aber im Abschnitt über die Lieder und das Verschwinden des Faulwassers behandelt werden.
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Heute also ist Samariq eine einzige Wüste ohne Hauptstadt. Die einzige Gemeinsamkeit der Menschen sind Amur und seine Tempel, und selbst hier beanspruchen verschiedene Sekten die jeweiligen heiligen Stätten für sich, sodass man von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen kann. Einzig Bashra kann sich als große Stadt am Fluß Ma'at noch halten. Aber wie lange?
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Versuch einer Darstellung und Analyse der diplomatischen Konflikte in Bretonia im Jahre 216 n.G.B. als Folge der Invasion durch Entropiepersonifizierungen, namentlich Vampire
Verschiedene Faktoren führten zu einer zeitweiligen Verschärfung des diplomatischen Tons, sowie bewaffneter Konflikte, die zeitgleich mit dem Erscheinen der Vampire (siehe Phaeton) stattfanden. Rückblickend herrscht die gemeinsame Auffassung aller Historiker, dass dieses Geschehen zwar nicht direkt durch das Auftreten der Vampire unter dem sogenannten Hüter des Blutes ausgelöst wurde, jedoch ohne diese keine Grundlage gehabt hätte. Selbst Persönlichkeiten aus dieser Epoche stimmten noch zu ihren Lebzeiten zu, dass gewisse Probleme anders hätten gelöst werden können.
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Um die Implikationen zu verstehen, die mit dem Erwähnen der geheimen Kavernen, welche die Kontinente Bretonia und Midgard verbinden (es handelt sich um ein Labyrinth von Tunneln unter dem Meeresboden), auftraten, muss festgehalten werden, dass zu Beginn des Konfliktes zwei beziehungsweise drei Völkern diese unterirdischen Reisemöglichkeiten bekannt waren: den sogenannten Drow (nahezu ausgelöscht bei der Heilung des Faulwassers), den Zwergen und ihren nahen Verwandten, den Dvergen, die als eigenes Volk betrachtet werden müssen. Alle drei Völker betrachteten diese Gänge als Staatsgeheimnis, da ein Missbrauch unangenehme Folgen für alle Beteiligten hätte. So haben selbst in bewaffneten Konflikten untereinander, weder die Drow, noch die Zwerge oder Dverge aufgehört, ihre Anteile des Tunnelsystems zu bewachen und instandzuhalten. Auch wurden diese niemals in diplomatischen Gesprächen erwähnt, und es war unausgesprochenes Gesetz, das Wissen darüber niemals mit Bewohnern der Oberfläche zu teilen.
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Errichtet wurden die Tunnel von keinem der genannten Völker; sie fanden sie vor in dem Zustand, in dem sie entdeckt wurden. Vermutungen und Forschungen zeigen an, dass diese Gänge mit der Spaltung Varathessas in verschiedene Landmassen entstanden sind. Vielleicht nannten die Zwerge, bevor sie im Langen Winter ausstarben, die Tunnel deshalb die "Adern der Welt", da es sich nach altem Volksglauben bei Varathessa, Bretonia, Midgard und den anderen Ländern um die Körper toter Giganten handelte.
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Mit dem Auftreten der Vampire unter dem sogenannten Hüter des Blutes (siehe Phaeton) kam es zu verstärkten Nachforschungen über Reisemöglichkeiten der Vampire zwischen den Kontinenten, da das Gerücht, sie fürchteten fließendes Wasser, sich hartnäckig hielt (siehe auch Knoblauch und Aberglaube). Tatsächlich, wie wir heute wissen, handelt es sich bei diesem Mythos um eine Halbwahrheit, denn es ist das Faulwasser, Hauptbestandteil der Malstromwesen, das einen Vampir zeitweise unschädlich machen kann. Die Entdeckung einiger Bestände Faulwassers im Wilderland bestätigte damals diese Annahme. Heute sind wir uns sicher, dass es das Ansinnen der Zendavesta war, als sie durch eine Zeitmanipulation rückwirkend die Faulwasserwesen entstehen ließen, aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung von Zeit (wie das Polonische Buch stehen auch sie außerhalb der Zeit und sind lebende Konstanten), eine von vielen Waffen gegen den Hüter des Blutes zu schaffen, um ihre eigene Zukunft zu sichern.
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So wurde eine alte Aufzeichnung über einen Vampir, welcher der Namenlose Pfähler genannt wurde, gefunden. Dies hat alles andere in Bewegung gebracht. Irgendwann muss ein Brief die damalige Herrin der Kelten, Lariena, erreicht haben, der diese Tunnel erwähnt. Als die Keltin die unangenehmen Implikationen erkannte, ist sie vermutlich nach Skjöldbur gereist, um sich mit einem Dverg namens Rewan (der genaue Name ist nicht bekannt, manche Forscher nennen diese Person auch Rewulf) und dem damaligen König Alikir zu beraten. Letzterer ist später - dies gilt als gesichert - zurück nach Bretonia gereist, um sich mit Königin Theresia I. zu beraten, sowie mit einer Frau namens Kithei, die vermutlich einen Stamm im heutigen Brandarien anführte, zu besprechen. Es ist hervorzuheben, dass Alikirs Eingreifen zwar vornehmlich Eigeninteressen zuzuschreiben ist, ihm aber ebenso an Frieden gelegen war, weshalb er um Diskretion bat, der Frau Kithei aber Unterstützung zusicherte, da das damalige Brandarien (Wilderland zu dieser Zeit) direktes Opfer dieser Entdeckung geworden war.
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Eine Eskalation des Konfliktes entstand, als der bretonische Geheimdienst unter Sir Theornon auf eine Expedition dieser Tunnel bestand, um das Risiko für das Reich Bretonia abzuwägen. Zwar stimmten die Zwerge zu, aber nachdem in den Tunneln die Zwerge den bretonischen Stoßtrupp in einen Hinterhalt führten und alle Beteiligten ermordeten, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Königreich unter dem Berg und Bretonia. Es ist ungesichert, ob der Stoßtrupp eigenmächtig gehandelt hat oder auf Weisung von König Alikir, jedoch sind gegenwärtige Einschätzungen eher so einzustufen, dass vielmehr eine Fraktion der Zwerge unter Fremdeinfluss diese Eskalation zu verschulden hatte.
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Der Jäger aus der Kälte - Versuch einer Deutung
Verschiedene Quellen beschreiben den Jäger aus der Kälte auf unterschiedliche Art und Weise, es herrscht bis heute keine Einigkeit. Einig indes ist man sich, dass der Jäger aus der Kälte (kurz: Jäger) zwar körperlos ist und allgegenwärtig, aber keine Gottheit im eigentlichen Sinne darstellt. Eine Auslöschung des Jägers war also von Anfang an ein Unternehmen, das scheitern musste - dass es anders ist bei dem damaligen Winterkönig Dholon und dem Eisigen Heerwurm, steht außer Frage, da Anteile des Heerwurms keine Manifestationen des Jägers waren (wie zum Beispiel die Wesen aus Eis), sondern rekrutierte Söldner aus den Stämmen der Hel, sowie sogenannte Eiselfen, die sich Dholon aufgrund seiner Herkunft anschlossen und etwa die Hälfte des Eisigen Heerwurms ausmachten. Dholon selbst galt als Sterblicher, dessen Macht und Fähigkeiten eng gebunden waren am Jäger, der ihn nicht nur rekrutierte, sondern ebenso als Herold von Eis und Frost eingesetzt hat. Die Ankunft des Alten Winterkönigs Ormurs änderte die Verhältnisse natürlich schlagartig.
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So hatte das Einsetzen des Grünherzes zur Folge, dass nicht nur die Mission des sogenannten Tannenmannes eine Wende nahm (siehe: Personifizierungen von Mythen, Julfest), sondern ebenso jene von Gwayan Einohr (siehe auch: Der Krieg der Elemente, 218 bis 220 n.G.B.) und der Alten Krähe der Vestfold. Ihre Verbündeten aus Skjöldbur, so Berichte von Zeugen, brachen kurz nach ihnen auf in das sogenannte Jorganschelf.
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Der Jäger aus der Kälte, so der Volksglaube, war früher ein Gigant wie Jorgan, nachdem das Schelf benannt worden war. Aus Gram über den Tod seiner "Mutter" und "Geschwister" fiel er auf die Erde und schlief viele Winter. Aber es war der Schwarzstern (eine Personifizierung der Leere der Schöpfung, letztlich Entropie), der ihn aufweckte und ihm die Macht gab, die er zur Zeit der Schelfkriege (216 n.G.B.) zwischen den Anhängern Ormurs und denen Dholons, besaß. Interessant ist hier, dass der Schwarzstern den Namen Khaliq trug. Damit wird auch eine direkte Assoziation mit der Entropie, den Vampiren (Shaitan bei den Hun) und dem Meshiha Deghala (siehe dort) geweckt.
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Eine andere Quelle hat einen ähnlichen Beginn, schreibt das Erwecken des Jägers aber nicht dem Schwarzstern, sondern dem sogenannten Verbotenen Buch zu, das zu diesem Zeitpunkt an zwei Orten gesichtet werden konnte: in Tectaria und im Mysterium. Das Buch soll einen Schatten auf den Jäger geworfen haben, sodass hinter dem Thron des Winterkönigs nun eine entropisch aufgeladene Leere herrschen sollte wie zu Beginn der Schöpfung, als nur das Chaos regierte. Ist der Jäger damit ein weiterer Repräsentant des Chaos und der Entropie wie Phaeton es war?
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Wir denken, beides trifft zu. Sowohl entropische Kräfte als auch die Naturelemente machen das Wesen des Jägers aus. Er ist definitiv ein Noncorpus, aber seine Verkörperlichung geschieht nicht wie bei einem Vampir oder Dybbuk, sondern durch die Schwärze der Leere, die ihn geweckt hat. So ist er selbst Eis und Frost, die er beherrscht. Und zwar, wie wir heute wissen, über das Schelf hinaus. Der Winter selbst ist seine Kraft, und nur ein weiser Winterkönig kann ihn besänftigen, damit die Ereignisse zwischen 213 und 216 n.G.B. sich nicht wiederholen. So können wir dankbar über den Winterkönig sein, der uns in der Neuen Eiszeit davor beschützt, vom Jäger aus der Kälte erfroren zu werden.
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Der Fall Tectarias
Es ist nicht sicher zu sagen, wann die Invasion des Eisigen Heerwurms, kommandiert von Marathir im Auftrage des Jägers aus der Kälte und des sogenannten Winterkönigs Dholon, wirklich begonnen hat. Aus dem Jahr 214 n.G.B. geht noch hervor, dass Tectaria zwar seine Blütezeit überschritten hatte, aber es findet sich noch keinerlei Erwähnung der Wesen aus dem Eis und anderer Geschehnisse, die ein solches Ereignis andeuten würden. Wohl aber liegen einige Ursachen oder Teilfaktoren in der Vorgeschichte begründet:
Einige Jahre zuvor fand im Reich Bretonia der sogenannte Thronfolgekrieg statt, in dem unter anderem das Haus Breton, Haus Glan, Haus Dryr, Haus Caenor und Haus Torbrin um den vakanten Thron stritten. Hier kam es zum ersten Erscheinen der Wesen aus dem Eis, die nach der Neuweihung des Tempels von Eis und Feuer sich aus unbekannten Gründen wieder zurückgezogen haben. Die Berichte über einen unnatürlich langen Winter im präkirchlichen Tectaria, aus dem sich der Glaube an eine Personifizierung des Winters in einer anthropomorphen Form innerhalb der Landbevökerung ergab, sowie das Erstarken der tectarischen Geistlichkeit, sind höchst spekulativ und unvollständig; jedoch zeigt sich auch hier ein unerklärtes Zurückziehen der genannten Wesen.
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Diese Schwächung Tectarias nach dem Exodus von Liranus I. ist es auch, welche die weiteren Enwicklungen begünstigt hat: Der Fall Tectarias begann nicht mit dem Auszug des Hauses Breton und seiner Gefolgsleute und Vasallen. Vielmehr kam es kurz darauf zu einer Stärkung der Macht der Kirche, da das Volk durch gezielte Propaganda und "Erziehungsmaßnahmen" angehalten wurde, das Haus Breton als eine verfluchte Blutlinie zu betrachten, deren Wohlergehen nicht mehr abhängt vom tectarischen Eingott, sondern seiner niederen Engel Liras und Leban. Der Exkommunikation des Liranus folgte eine Zeit großer Einigkeit in Tectaria. Viele Menschen, die vorher gegen die Kirche standen, fühlten sich ihr nun näher als zuvor. Gleichsam war dies der Beginn des Niedergangs des einst so riesigen Reiches mit seinen über 20 Provinzen, einer riesigen Armee aus Templern und Konquistadoren und einer Armada, die selbst die Flotte Yaruns aus diesen Tagen an Größe überstiegen hat.
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Denn die fortschreitende Kolonisierung Marjastikas zur Erforschung der Legenden über die Königin des Westens, sowie vorerst erfolglose Expeditionen, welche die Existenz der Insel Blyrtindur belegen sollten, kosteten viel Gold. Gold, das aus den Beuteln der Bevölkerung kommen musste. Konnte bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Propaganda der Kirche, der Verkauf von Ablässen und das Predigen von Demut durch Kirchenzehnt diese Kosten kompensieren, so begann der finanzielle und gesellschaftliche Niedergang und Fall des Reiches mit dem Feldzug gegen Bretonia. In rückblickender Analyse ist es für einen Historiker kaum möglich, die genauen Gründe des Feldzuges zu erkennen. Tectaria benötigte keinerlei Wirtschaft, keine Waren oder gar Lebensraum außerhalb seiner Grenzen. So kommt nur eines in Betracht: Es war religiöser Wahn und Irrsinn, der die Kirche dazu getrieben hat, in der Bevölkerung zahllose Bürger zwangsweise zu rekrutieren und ebenso die Templer und Konquistadoren auf eine hoffnungslose Reise zu schicken. Bretonia stand zwar noch im Krieg gegen die Dunklen Alten, aber die Streitmacht des Tiefenwaldes, die Nordmannen, das Reich Bretonia und ebenso Verbündete aus Yarun, welche mit dem Neubau des Rosentempels von Akasha durch Lethos Cyrian I. ein gemeinsames Ziel hatten, konnte die Invasion durch Tectaria zurückhalten.
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Die Kirche konnte diese Kosten nicht mehr tragen, und die Bevölkerung verarmte. Aus dieser Unzufriedenheit angesichts verschärfter Repressalien gegen Unschuldige, um auch noch den letzten Heller herauszupressen, sowie durch Missernten in den vergangenen Jahren, da es konstant kälter wurde in den Sommermonaten, erwuchs eine neue erstarkte Rebellion gegen die Kirche, wie sie seit den Tagen des Liranus nicht mehr gesehen worden war.
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Das erneute Auftreten des Jägers aus der Kälte geht also konform mit dem Erscheinen Phaetons. Diese Zusammenhänge und wie dies alles erklärt werden kann durch die polonischen Formeln des Albertus Magnus, werden an anderer Stelle erläutert. (...) Der Eisige Heerwurm hatte also zwei Ziele: Die Quelle Blyrtindurs und Tectaria. Es ist heute nicht mehr zu erforschen, was der Grund für die Invasion Tectarias war, aber sie erfolgte ein Jahr nach der ersten Sichtung der Wesen aus dem Eis und der Krieger des Winterkönigs auf der Insel Ithacia, wo noch heute die Ruine des Leuchtturms zu besichtigen ist. Was die Aggressoren dort unternehmen wollten, wissen wir nicht. Wohl aber kam es zeitgleich zu Angriffen in Midgard und auch Samariq. Diese endeten nach der Befreiung der Vestfold von den Wesen des Faulwassers, was später erörtert werden soll.
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Kurz darauf kam es zu ersten Eroberungen der tectarischen Küstenregionen durch den Eisigen Heerwurm. Die Bucht von Breton gefror mitten im Frühling über Nacht, sodass die Armada stillstand und nicht eingreifen konnte, da auch viele Soldaten den kalten Temperaturen zum Opfer gefallen waren. Von dort zog der Heerwurm zur Hauptstadt, die sich noch drei Wochen halten konnte, bevor auch sie fiel. Die Rebellen verbündeten sich kurzfristig mit den Templern der Kirche, um die Bevölkerung zu retten, und eine kleine Flotte von Schiffen konnte so die Provinz Davoria verlassen, um den Heiligen Vater außer Landes zu bringen. Es war jedoch dieser Exodus, der bei vielen Tectariern auf Hass und Unverständnis traf. So schlossen sich mehr und mehr Bürger der Rebellion an, die fortan gegen den Eisigen Heerwurm kämpften, um das Land zu beschützen. Die Kirche indes, unter Bischof Merovin, schaffte es, mit den Heermeistern des Feindes in Verhandlungen zu treten.
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Das Reich Tectaria existierte nicht mehr und stand unter Herrschaft des Jägers aus der Kälte. Rebellen zogen sich in die verlassenen Gebirgsregionen zurück und fanden immer mehr Anhänger, während die Kirche zur Marionette des Eisigen Heerwurms geworden war. Sir Theornon, Lady Hlifa, Lebaner Owen und Junker Callum bestätigten diese Geschehnisse nach ihrer Reise im Jahre 216 n.G.B. Auch stützen wir diesen Bericht auf Aufzeichnungen, die wir im Nachlass des Hüters Erecs und seiner Stellvertreterin Aethel gefunden haben.
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Über den Vormarsch der Jütungen und den Fall der Ostfold
Wenn wir über Kriege in Midgard berichten, dann müssen wir stets im Auge behalten, dass es sich bei Midgard nie um ein vereintes Königreich wie zum Beispiel Bretonia oder eine omnipotente Theokratie wie Tectaria handelte. Midgard war bis nach dem Langen Winter eine Stammesgesellschaft, unterteilt in Grenzen, die sich je nach Größe und Vormarsch eines Stammes änderten, und es gab keinen gemeinsamen Regenten, der in irgendeiner Form die Stämme vereinigt hätte. Ein erster Versuch fand nach dem Jahr 206 n.G.B. statt, als die Sippen der Huginner und Waräger sich unter Entscheidungsträgern wie Wulfus, Hrafna (damals Tharon), Donar und Rodod vereinten zum Stamm der Norwingar. Dieser neue Stamm siedelte nach dem Konflikt mit König Lerhon I. in der Ostfold, kehrte aber zurück, um die Nördlichen Schwarzberge und Festung Nordstein von der Blodhord zu befreien - später wurde die Blodhord ein starker Verbündeter von Midtjord und Tilhold, beide nördlich der Marmorbrücke und südlich Nordsteins gelegen. Krieger aus der Ostfold siedelten ebenso in den Nordlanden, sodass man ab etwa 212 n.G.B. von einem vereinten Reich der Nordmannen unter Hetman Tjoenn und Hetfrau Branda (seiner Schwester) sprechen kann, während es in Midgard immer noch zahlreiche Stämme gab, die stets in Konflikte gegeneinander verwickelt waren. Die prominentesten Beispiele wären die Jütungen (Ostfold und Jütheim), Markomannen (Vestfold), Alanen (verschiedene Regionen nördlich des Godewaldes und im Inland), verschiedene Sippen von Hel-Verehrern (nördliches Midgard und Schelf), Gepiden (Küstengebiete und Flusslande im Kernland Midgards), sowie die Völsungar (Godewald). Mit dem Erstarken des Faulwassers wurden die Völsungar stark dezimiert, deren Hetman Skogung (bretonisch: Widukind oder Wittekind, Waldkind) und dessen Vertrauter Skjalgur gemeinsam mit einer Gruppe Kriegern bereits in Bretonia verweilten und die sogenannten "Wölfe" jagten (siehe Bretonische Geschichte, der Tod von Lerhon I.). Später spielte der Völsungar Skjalgur eine Schlüsselrolle im Thronfolgekrieg, wie auch die Alanin Hlifa, die später Sir Theornon ehelichte.
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Es gab also oft schon einen Vormarsch eines bestimmten Stammes, sei es durch Geltungsdrang oder durch Gebietsansprüche. Der Vormarsch der Jütungen im Jahr 216 n.G.B. fiel in eine Zeit, in der Hetman Hrafna und Teile seiner Sippe außer Landes waren, auf der Reise in das sogenannte Schelf (siehe: Der Jäger aus der Kälte - Versuch einer Deutung). Außerdem hatte dieser Vormarsch keinerlei weltliche Ursachen im eigentlichen Sinne.
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Der Angriff auf die Nördlichen Schwarzberge ist also mitnichten eine direkte Invasion durch die Ostfold gewesen; wohl aber geschah er mit Einverständnis ihres Hetmans Blakkur, der zu diesem Zeitpunkt allen Wissens nach bereits ein Vampir war und damit unter direktem Einfluss des Namenlosen Pfählers sowie Phaetons. Zeugen berichteten, dass die Schwarzen Schiffe am Horizont zu sehen waren, aber auf keinen Ruf geantwortet haben. Später, nachdem Königin Theresia I. bereits alle Vasallen zu den Waffen gerufen hatte, kam es zum Verschwinden der Schiffe. Ein unnatürlicher Nebel zog an den Küsten auf, insbesondere in den Nordlanden, die schließlich Opfer eines Angriffs wurden, in dessen Folge Schwert und Schild der Nördlichen Schwarzberge vom Feind entweiht und benutzt wurden.
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Der Vormarsch in Midgard indes war eine direkte Einmischung des Hüters des Blutes in die Geschicke dieses Landes, aber ausgeführt durch Hetman Blakkur, der die zeitweilige Schwächung Skjöldburs (aufgrund von Truppenabmärschen, siehe Reisen der Zwerge und Hun) ausnutzte, um im Namen seines neuen Herrn zuerst die Festung in der Vestfold und anschließend den Godewald und die Handelsstraße zu besetzen. Der eigentliche Marsch begann einige Wochen darauf, als Truppen der Ostfold zuerst die Vestfold einschlossen, um anschließend einen Kampfverband zum Heiligtum des Heimdall (einer der vergessenen Götter) zu senden.
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Die Belagerung und anschließende Besetzung Skjöldburs waren die Folge.
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Eine Frage der Sichtweise: Die Entscheidungen Brulunds
Um zu verstehen, was die Entscheidung Brulunds, das sogenannte Verbotene Buch (heute: Buch der Polonischen Geschichte) zu erschaffen, begünstigte, muss das Wesen dieses Gegenstandes zuerst erläutert werden:
Das Verbotene Buch besitzt besondere Eigenschaften, die sich aus den polonischen Formeln ergeben, welche heute aus bekannten Gründen verboten wurden.
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Die polonischen Formeln befähigen den Anwender, in die Vergangenheit und die Zukunft zu sehen. Außerdem kann eine Transformation eines Namens in eine polonische Gleichung eine magomathische Verbindung zu jedem Träger dieses Namens herstellen, sodass der Anwender der Formel direkten Einfluss auf dessen Charakter, Herkunft, Entscheidungen und Verhaltensweisen besitzt. Ursache dafür liegt in den entropischen Eigenschaften der Formeln, die eine Wandlung von Lebensenergie in nekromantische Energie begünstigen, den Verfall einer Sache oder eines Wesens also beschleunigen, sodass Handlungsweisen und Entscheidungen immer auf eine schnell zu erreichende Zukunft von Verfall und Chaos ausgerichtet werden.
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Eine weitere Eigenschaft ist Schlüsselement der polonischen Formeln und damit des Verbotenen Buches selbst: Die Formeln sind in der Lage, magische Ströme auf magomathische Weise aufzulösen und neue Gleichungen zu formen. Das Buch erschafft auf diese Art Dinge und Wesen scheinbar aus dem Nichts. Doch das Nichts ist Entropie und damit Substanz. Dies erklärt auch das sich häufende Erscheinen von Entropiefeldern im Jahre 216 n.G.B. als Phaeton den Erzähler Kenan zwang, aus dem Buch zu lesen und darin zu schreiben. Das Herz der Insel Blyrtindurs ist Kern der polonischen Formeln, sodass hiermit auch die Legendenbildungen der Insel erklärt werden können.
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Der letzte wichtige Aspekt des Buches ist die Tatsache, dass es aufgrund der polonischen Eigenschaften reproduzierend und sich selbst wandelnd ist. Der Homunculus-Zwischenfall, als die entropischen Energien einen Noncorpus zum Corpus machten (siehe auch: Dybbuk) ist Indikator für diese Einschätzungen. Das Buch ist erschaffend und zeitlos, da es an mehreren Orten und zu allen Zeitpunkten existiert, auch zu einem Zeitpunkt, als noch die Leere das ausmachte, was heute unser Cosmos ist.
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Die Entscheidung von Albertus Magnus, eine Kopie des Buches zu erstellen ist eigentlicher Beginn der Erschaffung desselben. Es war vermutlich der Hüter Ofeigur, der ihn letztlich dazu ermutigte, da der wahre Name Phaetons (ausgedrückt in polonischen Formeln) im Buch zu finden war und so erst die eigentliche Waffe gegen den Hüter des Blutes darstellte. In dem Unwissen, dass der Dybbuk Isabella (zu dieser Zeit unter anderem Namen) bereits in physisch manifestierter Form nach dem Namen suchte, wurde das Projekt also begonnen.
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An dieser Stelle soll abschließend die Frage erlaubt sein, ob die Entscheidung, dieses Projekt unter absoluter Geheimhaltung durchzuführen, gerechtfertigt war - angesichts der Tatsache, dass bei der Befreiung der "Nacht" eine Entscheidung getroffen wurde, die ebenso im Nachhinein als Fehler gewertet wurde (siehe: Auslöschung der Nephyr). Hier spaltet sich die Forschung in zwei Lager. Gelehrte der ersten Gruppe vertreten die Auffassung, dass die bewusste Entscheidung ein Fehler war, obwohl nach deterministischer Theorie es unvermeidlich war, da es schon geschehen war. Denn erst diese Wahl hat dazu geführt, dass die Nephyr ihre anfängliche Zurückhaltung (aus Furcht vor der Auslöschung durch den Urmohn, da noch in Hetman Hrafnas Besitz) aufgaben und den Befehlen Phaetons folgten. Das andere Lager jedoch besteht darauf, dass die bewusste Entscheidung ebenso unvermeidlich war wie ihr Ausgang, denn in dieser Epoche gab es noch nicht die Freiheit, die wir heute haben. "Der Kampf gegen Phaeton war kein eigentlicher Krieg, es war ein Aufeinandertreffen von Determinismus und Freiheit. Es war ein Konflikt zwischen Herrschaft und freiem Willen. Wie können wir da glauben, dass es Albertus Magnus freie Wahl war, das Buch jetzt zu erschaffen und nicht, wenn es die Geschichte erlaubt, was sie ohnehin tat?", fragt dazu der bekannte Philosoph und Freidenker Baelian von Glan.Statistik:Verfasst von Tharon — 18 Jul 2017, 14:15
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